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Attentat als Wendepunkt für Schäuble

Vor allem das Attentat hat Wolfgang Schäuble geprägt, glaubt der Journalist Hans Peter Schütz. Seither gebe es ein Leben davor und eines danach. Der "Stern"-Reporter beschreibt vor allem den Menschen in seinem Buch.

Von Peter Carstens | 17.09.2012
    "Es geht heute nicht um Bonn oder Berlin, sondern es geht um unser aller Zukunft, um unsere Zukunft in unserem vereinten Deutschland, das seine innere Einheit erst noch finden muss. Und um unsere Zukunft in einem Europa, das seine Einheit verwirklichen muss. Und deswegen bitte ich sie herzlich: Stimmen sie mit mir für Berlin."

    Wolfgang Schäubles Rede in der Bonn-Berlin-Debatte am 20. Juni 1991 brachte die Entscheidung für den Umzug nach Berlin. Seine Worte überzeugten die Wankenden und stärkten die Zweifelnden im Parlament. Sucht man den einzelnen Moment, in dem Wolfgang Schäuble Geschichte gemacht hat, findet man ihn in dieser Rede. Sucht man hingegen den Augenblick, der sein Leben am stärksten verändert hat, gelangt man unwillkürlich nach Oppenau in die Gaststätte "Brauerei Bruder". Dort versuchte am 12. Oktober 1990 ein geistig verwirrter Mann ihn zu töten. Damals war Schäuble Innenminister in der Regierung Kohl. Wenige Tage zuvor war seine politische Arbeit mit der Vereinigung beider deutscher Staaten gekrönt worden. Dann fielen die Schüsse. Die Beine gelähmt, das Gesicht von einem Einschuss gezeichnet - Schäuble war fast am Ende. Doch er kämpfte sich zurück ins Leben und in die Politik. Hans-Peter Schütz, Bonner- und später Berliner Korrespondent des "Stern", hat ihn über Jahre journalistisch begleitet und ist überzeugt:

    "Das Faszinierende am Leben von Wolfgang Schäuble ist, dass er trotz des Lebens im Rollstuhl sozusagen nie eine Sekunde daran gedacht hat, die Politik aufzugeben und auszusteigen. Ein solches politisches Schicksal hat es bisher nicht gegeben. Man hielt es eigentlich nicht für möglich, dass er das schaffen könnte, aushalten könnte. Aber er ist jetzt demnächst der Politiker, der am längsten im Deutschen Bundestag saß."

    Kein Wunder also, dass Schütz seine Biografie mit dem Attentat und dessen Folgen beginnt. Schütz, drei Jahre älter als Schäuble, beschreibt die Tatumstände und widmet sogar dem Täter eines der 23 Kapitel. Schäuble würde das nicht gefallen. Aber Schütz sucht einen persönlichen und zunächst weniger einen politischen Zugang zur Biografie des CDU-Politikers. Mit den Details seines Wirkens in Fraktion, Kanzleramt oder Innenministerium befasst Schütz sich eher beiläufig. Das mag daran liegen, dass auch für ihn das Attentat ein Schlüsselmoment des Lebens war. Er sagt:

    "Es war für mich als Journalist der schwierigste Moment, weil ich natürlich weiterarbeiten musste, quasi, denn ich hatte den Auftrag für den "Stern" ein Porträt über Wolfgang Schäuble zu schreiben. Und ich war mit einem Fotografen vor Ort und musste diesen Fotografen, der selbst sehr geschockt war, wie der Wolfgang Schäuble da vor seinen Füßen lag, anhalten, zwingen praktisch, zu fotografieren. Und die umstehenden Menschen waren natürlich nicht sehr entzückt davon, dass wir so rabiat unserem Beruf nachgegangen sind."

    Schäuble überlebte den Anschlag knapp. Bald kam Helmut Kohl an sein Krankenbett. Dann erschien ein Foto, das den Kanzler väterlich oder brüderlich neben Schäuble zeigte, dem Thronfolger. Kohl, so beschreibt es Schütz, half Schäuble in dieser Phase. Aber vor allem inszenierte er sich selbst. Schütz erzählt diese späten Jahre der Kanzlerschaft Kohl und Schäubles Aufstieg zum Kronprinzen als Geschichte von Treue und Verrat. Denn Kohl habe ausschließlich daran gedacht, die eigene Amtszeit zu verlängern. Als der Kanzler 1998 die Wahl verlor, übernahm Schäuble den CDU-Vorsitz, begleitet von Kohls ständigen Einmischungen bei jeder Präsidiumssitzung. Letztendlich, so schildert es Schütz packend und aus eigenem Zuschauen, war Kohl verantwortlich dafür, dass Schäuble in der CDU-Spendenaffäre stürzte. Er beschreibt den Konflikt der beiden Männer einfühlsam-kühl und stellt schließlich fest:

    "Er hat für Kohl nur noch ein Gefühl – Verachtung für den Menschen, nicht aber auch nur eine Sekunde für dessen politische Leistungen als Bundeskanzler. Aber natürlich weiß er zu diesem Zeitpunkt und nach den letzten Erfahrungen mit dem abgewählten Kohl sehr genau, dass er sich der gemeinsamen Vergangenheit nur schwer entziehen kann."

    Auch Angela Merkel hat Schäuble Demütigungen nicht erspart. Das gilt insbesondere für die Präsidentenfrage im Jahre 2004, als die CDU-Vorsitzende Schäuble in den falschen Glauben führte, er sei ihr Kandidat. Dann präsentierte sie den ehemaligen Währungsfondschef Horst Köhler. Als Kanzlerin verlässt sie sich heute auf Schäubles große Erfahrung und politische Professionalität in der Europa- und Finanzkrise. War es vielleicht sogar gut, dass Schäuble nicht Bundespräsident geworden ist? Schütz zögert, das so zu sehen:

    "Also das ist eine kühne These. Aber ich würde sagen, so wie er die Politik versteht, akzeptiert er das. Er tut sich allerdings schwer damit, dass er sowohl bei seinem Bemühen um die Kanzlerschaft, wie auch bei Angela Merkel, die ihn gebeten hatte, vielleicht die Präsidentschaft zu übernehmen, nicht sehr fair behandelt worden ist. Das ist ohnehin der zentrale Schwachpunkt, wenn man so will, von Wolfgang Schäuble. Dass ihm letzten Endes jene egomanische Machtsucht fehlte, die man offensichtlich braucht, um Bundeskanzler zu werden und ganz an die Spitze zu kommen."

    Meint der badische Autor, dessen Schäuble-Biografie ihre Wirkung aus der Beobachtungsgabe des Reporters und der Erfahrung des jahrzehntelangen, meist distanzierten Beobachters zieht. Die technischen Details seiner Arbeit, etwa beim Einigungsvertrag oder in der Finanzpolitik haben den passionierten Reporter nicht sehr beschäftigt. Mehr reizen ihn Anekdoten:

    "Man muss sich an seinen etwas herben persönlichen Stil gewöhnen, mit dem er auch mit Journalisten umgeht. Für mich ein Schlüsselerlebnis war, als ich ihn interviewt habe, nachdem er schon im Rollstuhl saß. Und ich stotterte mehr oder weniger herum, als ich ihm die Frage stellen wollte, wie können sie eigentlich Bundeskanzler werden wollen, da sie doch noch im Rollstuhl sitzen? Da hat er mich plötzlich sozusagen angefahren und sagte: Schütz, jetzt schwätzen Sie doch nicht so rum. In unserer badischen Heimat ist doch ganz klar, was ich bin: Ich bin ein Krüppel. Und deshalb müssen Sie mich jetzt fragen: Kann ein Krüppel Kanzler werden. – Das ist Wolfgang Schäuble, der nicht immer der Charmanteste ist, aber der Direkteste, den ich kenne."

    Schütz skizziert Schäuble als nimmermüden Kämpfer, aber auch als einen schwer gezeichneten Mann, den die Politik geprägt und verbogen hat. Sein Buch: ein kritisch-sympathisierender Beitrag zu Schäubles Geburtstag.

    Buchinfos:
    Hans Peter Schütz: "Wolfgang Schäuble. Zwei Leben", Droemer, ISBN-13: 978-3426275825, 344 Seite, Preis: 19,99 Euro