Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Attila und die Hunnen

Im dritten Jahrhunderts nach Christus setzten die "Barbaren", wie die Römer alles nannten, was von rechts des Rheins kam, der römischen Armee, dem römischen Reich und der Zivilisation der warmen Bäder, des süßen Weins und der Bürokratie immer mehr zu, bis dann Ende des vierten Jahrhunderts auch noch die Hunnen mitmischten. Das war dann endgültig kein Spaß mehr, besonders als ihr König Attila auftrat. Ihm widmet das Historische Museum der Pfalz in Speyer eine Ausstellung.

Von Wolf Schön | 11.08.2007
    Kein freundlicher Empfang im Historischen Museum der Pfalz. Die Hunnen waren da, und sie haben ihrem schrecklichen Namen alle Ehre gemacht. Aufgesprengt ist das Tor des römischen Kastells, das die wilde Reiterhorde brutal überfallen hat. Im Rücken eines Opfers steckt eins der tödlichen Geschosse, mit denen die kriegerischen Nomaden ihre Überlegenheit demonstrierten: Pfeile mit dreigeflügelten Spitzen aus Eisen, die jeden Körperpanzer des Gegners durchschlugen. Abgeschossen wurden die Wunderwaffen von so genannten Reflexbögen, mit denen die Reiterartisten in vollem Galopp vorwärts wie rückwärts treffsicher hantierten. Im vierten Jahrhundert nach Christus waren die Reiterkrieger aus den Tiefen der eurasischen Steppe wie aus dem Nichts aufgetaucht und trieben ganze Völkerscharen vor sich her. Ihr Großkönig Attila, die "Geißel Gottes", wurde zum Totengräber des Römischen Reichs, auf dessen Trümmern nach der Völkerwanderung das heutige Europa entstand.

    Bei ihrer effektvollen Inszenierung konnten sich die Kulissenbauer des Museums auf die Aufzeichnungen des ehemaligen Legionärs Marcellinus berufen, der die asiatischen Eindringlinge als "zweibeinige Bestien" beschrieb. Auch von halbrohem Fleisch als Nahrung fabuliert der schockierte Römer, weichgeritten zwischen Schenkeln und Pferderücken, des weiteren von Tiermenschen ohne Verstand, was nun aber den Rekonstruktionseifer der Ausstellungsmacher vor ernsthafte Probleme stellt. Der Zweck der ersten großen Hunnen-Schau ist ja die Darstellung der historischen Wahrheit, die bis zur Unkenntlichkeit von Propaganda, Gräuelmärchen, Sagen und Legenden verstellt worden ist. Authentisch ist tatsächlich die Modellierung einer Edelfrau mit künstlich deformiertem Schädel, dessen extreme Kegelgestalt einem rätselhaften Schönheitsideal entsprach. In Kuppelzelten aus Filz, für die eine kirgisische Jurte ein Beispiel gibt, lebten wohl die Nomadenfamilien mit ihren hölzernen Gerätschaften und zogen in Wagen über Land, wie sie noch heute in Mittelasien genutzt werden. Zum Kern der Ausstellung führt dann der Gang in einen nachgebauten Kurgan, einen typischen Grabhügel der Steppenregion. Denn sämtliche originalen Objekte verdankt die Forschung der verschwenderischen hunnischen Grabkultur. Was da in Mittel- und Osteuropa geborgen und von ungarischen wie rumänischen Museen größtenteils erstmals ausgeliehen wurde, widerspricht allen barbarischen Klischeevorstellungen: goldene Diademe mit streng geordneten Granateinlagen, kostbare Fibeln und Schläfenanhänger von orientalischer Pracht aus Frauengräbern, aus den Grabstätten der Krieger Bogen- und Sattelbeschläge aus Gold, Spangenhelme und Prunkschwerter, dazu die monumentalen Bronzekessel, deren Verwendung noch unerforscht ist. Die einstigen Besitzer haben nichts Schriftliches hinterlassen, wohingegen ihr unermesslicher Reichtum unstrittig ist. Allein von den Oströmern kassierten die Hunnen an Tributzahlungen jährlich 13 000 Pfund pures Gold.

    Attila, der Titelheld des Spektakels in Speyer, bleibt notgedrungen ein faszinierendes Phantom. Eine mittelalterliche Medaille dämonisiert ihn als Ausgeburt der Hölle mit Tierohren und Teufelsgehörn. Dagegen lobt der Historiker Priscus, der einzige antike Autor, der den Hunnenherrscher persönlich zu Gesicht bekam, Attilas Würde und persönliche Bescheidenheit. Bei einem Festbankett trank er im schlichten Gewand aus einem Holzbecher, während die germanischen Vasallen im Luxus aus Gold und Silber schwelgten. Das undurchdringliche Gemenge aus Fakten und Fiktion hat der Phantasie breitesten Raum verschafft. Als König Etzel spielt Attila im Nibelungenlied eine tragende Rolle. In Köln soll der blutrünstige Heide die heilige Ursula mit ihren elftausend Jungfrauen ermordet haben. Der Überlieferung nach starb der Hunnenkönig 453 unehrenhaft während der Hochzeitsnacht mit der Burgunderprinzessin Ildico schwer betrunken an einem Blutsturz. Die mit Schätzen gefüllte Grabanlage, angeblich unter dem Flussbett der Theiß verborgen, wurde bis heute nicht gefunden. Der Mythos Attila sorgt weiter für Stoff, aus dem die Träume und Alpträume sind.