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Attraktion in Taiwan
Wie der Regenbogenopa ein Dorf vor dem Abriss rettete

Yong-Fu Huang wollte ein ehemaliges Militärdorf vor dem Abriss retten und griff zu Pinsel und Farbe, um die Fassaden zu bemalen. Heute ist sein Werk eine Touristenattraktion - und der Regenbogenopa im ganzen Land bekannt.

Von Marie Ludwig | 05.05.2019
Der "Regenbogenopa" Yong-Fu Huang
Der "Regenbogenopa" Yong-Fu Huang (Deutschlandfunk / Marie Ludwig)
Wenn in Taiwan die Nacht beginnt, hört man sie schon vom Weiten: die Müllwagen. Angekündigt von allbekannten Melodien wie "Für Elise" von Beethoven oder Weihnachtsliedern in der Adventszeit, sammelt die Abfuhr quer durch die Stadt die Überbleibsel des Alltags ein. Dann - gegen 23 Uhr nachts wird es selbst in der Millionenstadt Taichung im Westen Taiwans ruhiger. Die aberhundert Motorroller sind geparkt, stehen schweigend in Reih und Glied; die Garküchen am Straßenrand sind geschlossen, nur die Leuchtreklame an den Hochhäusern blinkt stumm vor sich hin.
Erst, wenn alle schlafen, steht einer auf, nimmt Pinsel und Farbe in die Hand und malt. Nicht irgendetwas. Yong-Fu Huang verziert Häuserfassaden - vom Boden bis zum Dachgiebel in knallbunten Farben. Und das immer nachts, dann, wenn ihn keiner stört. Heute ist seine Häusersiedlung eine Touristenattraktion, doch vor rund zehn Jahren hatte alles ganz anders begonnen:
"Am Anfang ging es mir nur darum, das Haus nicht zu verlieren, aber daraus wurde bald mehr."
Huang Yong Fu erinnert sich noch gut daran, wie er nach Taichung kam. Er floh als militärisches Gefolge von Chian Kai Shek zusammen mit rund zwei Millionen Menschen von China nach Taiwan. Shek war Gegenspieler des kommunistisch gesinnten Mao Zedongs, der den chinesischen Bürgerkrieg 1949 für sich gewonnen hat. Nach der Flucht diente Huang 29 Jahre lang der taiwanesischen Luftwaffe, ging schließlich in Rente und blieb in dem Militärdorf wohnen, das ihm von der taiwanesischen Regierung zugewiesen wurde. Einst gab es rund 900 solcher Siedlungen im ganzen Land – doch mit der Expansion der Städte mussten die meisten der Militärdörfer für neue und größere Bauten Platz machen. So kam es, dass auch vor Huangs Dorf – damals vor zehn Jahren – die Bulldozer standen.
"Diese Siedlung sollte eigentlich ein Park werden. Zahlreiche Häuser wurden schon abgerissen. Aber Opa - der wollte nicht gehen. Er wollte seine Siedlung beschützen und hat einfach damit angefangen, die Häuser zu bemalen. Er wollte die letzten Erinnerungen des Dorfes bewahren."
Kunststudenten unterstützten den Protest
Ding-Ji Wei ist Manager des bunten Dorfes geworden. Er nennt Huang – wie auch alle anderen hier in Taichung – den Regenbogenopa oder einfach nur den Opa. Dass dieser sein Zuhause und zeitgleich auch die Geschichte der Militärdörfer mit dem Pinsel verteidigte, hat nicht nur ihn aufmerksam werden lassen. Auch die ansässigen Kunststudenten unterstützten den friedlichen Häuserkampf und demonstrierten mit Opa Huang für den Erhalt des Dorfes.
"Ich sprach dann mit den Behörden, setzte mich für Opa ein. Ich verlangte, dass die Bulldozer den Ort verlassen und dann irgendwann waren wir so viele und haben die Regierung endlich überzeugt: Das Dorf darf bleiben. Für immer."
Bunte Malereien des Regenbogenopas in Taichung
Bunte Malereien des Regenbogenopas in Taichung (Deutschlandfunk / Marie Ludwig)
Wei ist stolz auf die bunte Fabelwelt, die Huang zwischen den elf, der einst 300-Häuser-Siedlung geschaffen hat. Zwar sind sie inzwischen fast alle unbewohnt, bis auf eines, in dem wohnt der inzwischen 96-jährige Huang immer noch selbst. Tagsüber, wenn um sein Häuschen hunderte Touristen herumwuseln, sitzt er an einem Tisch am Souvenirshop und schaut ihnen dabei zu, wie sie vor seinen Malereien stehen, grinsen, Peace-Zeichen und Kussmünder formen und ihre Selfies machen. So auch drei junge Mädchen. Die junge Taiwanerin, die ihren Freundinnen das Dorf zeigt, kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus:
"Ich finde es toll, was der Regenbogenopa hier erschaffen hat. Die Menschen, die hierher kommen, sind glücklich, weil einem die bunten Farben so entgegen strahlen. Ich finde den Ort einfach klasse, denn wo gibt es so etwas schon? Im Zentrum findet man so einen Ort bestimmt nicht. Wir lieben es hier."
Attraktives Ziel für Touristen
Wenn Besuch kommt, fährt sie deshalb oft aus der Hochhausstadt heraus und sorgt für knallbunte Erinnerungsfotos. Denn eine farblose Fläche, die gibt es in Opas Regenbogenwelt nicht – zumindest dort nicht, wo Huang mit seinem Werk fertig ist. Erst, wenn vom Boden bis zum Giebel alles mit Schnörkeln, Punkten und folkloristisch anmutenden Motiven verziert ist, ist er zufrieden. So soll seine Kunst sein; so hat er es einst von seinem Vater als Kind gelernt.
"Wenn ich es jetzt mit professioneller Kunst vergleiche, ist seine Kunst eher laienhaft, abstrakt und kindlich anmutend, aber ich finde es gut, dass er so einen Ort erschaffen hat."
Sagt ein anderer Besucher. Er und seine Frau erkennen viele Symbole der chinesischen Kultur wieder: wie den Tiger und charakteristische Schriftzeichen. Zusammen erzählen die Motive fast eine Art Märchen. Denn betritt man Huangs Regenbogendorf, vereinen sich die Tierwesen, klassische Ornamente und auch Alltagsstars aus dem Fernsehen zu einer Geschichte. Einer Geschichte, die ein kleiner, hutzeliger Mann mit den strahlend blauen Augen malt, der inmitten seiner Kunst tagein tagaus sitzt – wie in einer beliebten Dauerausstellung. Eintritt zu nehmen, daran hat Huang noch nie gedacht. Er freut sich einfach, nicht mehr alleine im Dorf zu sein. Ans Aufhören will er gar nicht erst denken:
"Es gab nie wirklich eine Zeit, in der ich keine Lust hatte, zu malen. Ich wache jeden Morgen auf und dann fange ich an. Das ist wirklich meine Leidenschaft und hält mich jung. Es fließt einfach aus mir heraus. Meine Kunst entsteht eher zufällig, spontan. Ich nehme die Menschen aus meiner Umwelt als Inspiration."
Vom Soldaten zum Hausbesetzer; zum Touristenmagnet – die Geschichte vom Regenbogenopa ist eine, die hier in Taichung die Herzen erwärmt und auch Opa Huang weiß, dass seine Geschichte eine besondere ist:
"Ich bin so stolz, Regenbogenopa genannt zu werden. Es ist wie eine weitere Identität und es gibt keinen anderen, der so genannt wird. Es gibt nur mich."