Bereits 1939 - wenige Wochen nach der deutschen Eroberung Polens - wurden Polen und Juden vor allem aus Danzig-Westpreußen und Großpolen von der deutschen Polizei und der SS zwangsausgesiedelt - alles in größter Eile und Hast, damit die Menschen höchstens ihre Haut, nicht aber ihr Hab und Gut retten konnten. Die verlassenen Höfe und Wohnungen wurden dann von Deutschen in Besitz genommen, die im Rahmen der nationalsozialistischen Aktion "Heim ins Reich" eine neue Existenz in den eroberten Gebieten aufbauen sollten. Das Blatt wendet
sich, als die Rote Armee im Herbst 44 in Ostpreußen ein marschiert und die deutsche Bevölkerung schließlich aus den eroberten aber auch aus den ehemals deutschen Gebieten fliehen muss. Im Winter 1945 flüchten die ungezählten Deutsche aus Ost- und Westpreußen, Pommern und Schlesien.
Rund 30.000 Menschen leben heute in der westpolnischen Kleinstadt Swiebodzin. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges hieß die Stadt Schwiebus und gehörte zu Brandenburg. Nach dem Krieg mussten die deutschen Einwohner die Stadt verlassen. In ihre Häuser zogen nun polnische Familien. Auch sie waren Vertriebene. So, wie Janina Iwaszkiewicz aus dem ehemals ostpolnischen Wilna. Nach achtjähriger Odysee kam sie 1947 nach Swiebodzin in ein Mehrfamilienhaus in der Mlienska-Strasse, die früher Mühlenstrasse hieß. Sie wohnt noch immer dort:
Eine große, kräftige Frau öffnet die Tür: Janina Iwaskiewiecz. 77 Jahre alt, Bankkauffrau im Ruhestand. Sie trägt eine goldene Brille, einen roten Häkelpullover und einen grauen Rock. Ihr kurzes Haar ist frisch frisiert. Janina bittet herein. Geht mit schnellen, beschwingten Schritten Richtung Wohnzimmer. Sie hat Besuch: von Halina, der zwei Jahre älteren Schwester.
Die Wände im Wohnzimmer ist sonnengelb gestrichen. Tropische Grünpflanzen ranken sich über Schränke und Regale. Die Kissen auf dem Sofa sind akkurat platziert. Im mächtigen alten Büffet glänzt das Kristall.
"In diesem Zimmer haben wir 1947 unseren Vater wiedergetroffen", sagt Janina und ihre Schwester nickt. "Als wir reinkamen hat er uns nicht mehr erkannt". Acht Jahre lang hatten die Töchter ihren Vater nicht gesehen. Der Vater war im Krieg. Die Töchter und die Mutter verschleppt nach Sibirien.
Janina holt einen Stapel Fotoalben aus dem alten Büffet . "Ich glaube der Schrank ist auch noch von den Deutschen", sagt sie. Er wurde den Iwaskiewics damals zugeteilt. Genauso wie die Wohnung. Janina legt die alten Fotoalben auf den Tisch. Die beiden Schwestern beginnen darin zu blättern.
Hier habe ich was. Hier ist unsere Mama und Papa und hier sind wir, als wir klein waren. Es ist ein Wunder, dass wir die Fotos noch haben. Hier ist unsere Erstkommunion und hier ist unsere Schule. Und das ist meine Schwester 1938.
Lange schaut Janina auf das alte Bild: Das Haus der Eltern. Es ist aus Holz. Wie die meisten Häuser im ehemaligen Ostpolen. Das Haus steht nicht mehr. Die alte Heimat gehört heute zu Litauen. Fotos und Erinnerungen, das ist alles, was der vertriebenen polnischen Familie blieb. "Aus Sibirien gibt es keine Fotos" sagt Janina. Nur schreckliche Erinnerungen. An die eisige Kälte in den Lagerbaracken. An die harte Arbeit auf den kargen Feldern. An das schlechte Essen. 1939 waren sie von den Sowjets nach Sibirien verschleppt worden. Wie hunderttausende von Ostpolen. 1942 liess Stalin sie wieder frei. Nun sollten die Polen gegen die Deutschen kämpfen. Über das Nachbarland Usbekistan durften sie Sibirien verlassen. Nicht nur die polnischen Soldaten, auch die Frauen und Kinder brachen auf zu einer jahrelangen Odysse. "Unsere erste Station war Persien" sagt Janina. Und schlägt den nächsten Fotoband auf.
Das Buch erschien in diesem Jahr. Es wurde uns geschickt und heißt "die polnische Schule in der Fremde". Hier wird gezeigt, dass wir sofort nach der Ausreise aus Russland die Möglichkeit hatten, eine Schule zu besuchen. Und hier, siehst du, das ist Teheran. Und wir in der Schule. Die Perser haben uns Gebäude von der Pilotenschule zur Verfügung gestellt. Es gab keine Möbel, wir saßen auf dem Boden. Hier ist der Priester und hier sind die Professoren. Und hier bin ich und meine Schwester. Unsere Haare sind abrasiert, weil wir alle Läuse hatten.
Nach einem Jahr mussten sie Persien verlassen. Nun ging es weiter nach Afrika. Nach Kenia. "Dort wurden wir in diesen strohgedeckten kleinen Häusern untergebracht", Janina zeigt auf ein Foto. Neben den Hütten sieht man große schwarze Massai-Krieger mit Speeren. Auf einem anderen Foto: Janina,Halina und andere polnische Schüler in schmucken Pfadfinder-Uniformen. Läuse gab es keine in Afrika. Aber viele Kinder erkrankten an lebensbedrohlichen Tropenkrankheiten.
Trotzdem hätten sie in Afrika die schönsten Jahre ihrer Jugend gehabt, sagen die beiden alten Damen. Bis 1947 konnten sie dort bleiben. Dann ging es zurück nach Europa. Aber nicht in die alte Heimat, sondern in das neue Westpolen. Mehrere Wochen dauerte die Reise nach Swiebodzin, in die unbekannte Stadt im ehemaligen Deutschland. Der Empfang war nicht besonders freundlich.
Es war der 24 August, ich wollte zur Schule, aber die wollten mich nicht aufnehmen, weil ich ein Zeugnis aus Tengeru in Afrika hatte. Der Schuldirektor sah es sich an und sagte: Wer hat dieses Gymnasium in Afrika geleitet? Ich sagte: die Regierung? Welche Regierung? Die aus London. Er sagte: ob Du aufgenommen wirst, entscheidet die Schulbehörde in Poznan.
Schließlich durfte Janina aus Afrika doch ihr Abitur machen. Aber dann bleib sie erst einmal arbeitslos. Musste sich stattdessen regelmäßig bei der Polizei melden. Die von den Sowjets vertriebenen Ostpolen, wurden im kommunistischen Polen behandelt wie feindliche Spione. "Erst nach 1956, als Stalin gestorben war, konnten wir uns als normale Bürgerfühlen". Janina klappt das Buch zu. Es dauerte noch weitere 30 Jahre bis sie zum ersten mal in ihre alte Heimat fahren durfte. In das ehemalige Ostpolen.
Ich war da und habe mir alles angesehen. Alles was einmal unsers war, war abgebrannt. Auf dieser Stelle steht nun ein Haus, was von den Russen gebaut wurde. Eine Hütte, die nur ein bisschen größer ist als ich. Aber es gibt noch einen Baum und alle sagen das ist der Iwaszkiewicz-Baum. Dann kam eine Nachbarin und fragte, wer wir sind und was wir hier wollen. Wir sagten, dass wir die früheren Besitzer des Grundstückes sind. Und dass wir in Sibirien gewesen sind. Da fragte sie uns, ob wir jetzt zurückkommen wollen. Ich antwortete: Nein das wollen wir nicht! Was sollte ich denn da? Das ist nicht mehr mein Haus!
sich, als die Rote Armee im Herbst 44 in Ostpreußen ein marschiert und die deutsche Bevölkerung schließlich aus den eroberten aber auch aus den ehemals deutschen Gebieten fliehen muss. Im Winter 1945 flüchten die ungezählten Deutsche aus Ost- und Westpreußen, Pommern und Schlesien.
Rund 30.000 Menschen leben heute in der westpolnischen Kleinstadt Swiebodzin. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges hieß die Stadt Schwiebus und gehörte zu Brandenburg. Nach dem Krieg mussten die deutschen Einwohner die Stadt verlassen. In ihre Häuser zogen nun polnische Familien. Auch sie waren Vertriebene. So, wie Janina Iwaszkiewicz aus dem ehemals ostpolnischen Wilna. Nach achtjähriger Odysee kam sie 1947 nach Swiebodzin in ein Mehrfamilienhaus in der Mlienska-Strasse, die früher Mühlenstrasse hieß. Sie wohnt noch immer dort:
Eine große, kräftige Frau öffnet die Tür: Janina Iwaskiewiecz. 77 Jahre alt, Bankkauffrau im Ruhestand. Sie trägt eine goldene Brille, einen roten Häkelpullover und einen grauen Rock. Ihr kurzes Haar ist frisch frisiert. Janina bittet herein. Geht mit schnellen, beschwingten Schritten Richtung Wohnzimmer. Sie hat Besuch: von Halina, der zwei Jahre älteren Schwester.
Die Wände im Wohnzimmer ist sonnengelb gestrichen. Tropische Grünpflanzen ranken sich über Schränke und Regale. Die Kissen auf dem Sofa sind akkurat platziert. Im mächtigen alten Büffet glänzt das Kristall.
"In diesem Zimmer haben wir 1947 unseren Vater wiedergetroffen", sagt Janina und ihre Schwester nickt. "Als wir reinkamen hat er uns nicht mehr erkannt". Acht Jahre lang hatten die Töchter ihren Vater nicht gesehen. Der Vater war im Krieg. Die Töchter und die Mutter verschleppt nach Sibirien.
Janina holt einen Stapel Fotoalben aus dem alten Büffet . "Ich glaube der Schrank ist auch noch von den Deutschen", sagt sie. Er wurde den Iwaskiewics damals zugeteilt. Genauso wie die Wohnung. Janina legt die alten Fotoalben auf den Tisch. Die beiden Schwestern beginnen darin zu blättern.
Hier habe ich was. Hier ist unsere Mama und Papa und hier sind wir, als wir klein waren. Es ist ein Wunder, dass wir die Fotos noch haben. Hier ist unsere Erstkommunion und hier ist unsere Schule. Und das ist meine Schwester 1938.
Lange schaut Janina auf das alte Bild: Das Haus der Eltern. Es ist aus Holz. Wie die meisten Häuser im ehemaligen Ostpolen. Das Haus steht nicht mehr. Die alte Heimat gehört heute zu Litauen. Fotos und Erinnerungen, das ist alles, was der vertriebenen polnischen Familie blieb. "Aus Sibirien gibt es keine Fotos" sagt Janina. Nur schreckliche Erinnerungen. An die eisige Kälte in den Lagerbaracken. An die harte Arbeit auf den kargen Feldern. An das schlechte Essen. 1939 waren sie von den Sowjets nach Sibirien verschleppt worden. Wie hunderttausende von Ostpolen. 1942 liess Stalin sie wieder frei. Nun sollten die Polen gegen die Deutschen kämpfen. Über das Nachbarland Usbekistan durften sie Sibirien verlassen. Nicht nur die polnischen Soldaten, auch die Frauen und Kinder brachen auf zu einer jahrelangen Odysse. "Unsere erste Station war Persien" sagt Janina. Und schlägt den nächsten Fotoband auf.
Das Buch erschien in diesem Jahr. Es wurde uns geschickt und heißt "die polnische Schule in der Fremde". Hier wird gezeigt, dass wir sofort nach der Ausreise aus Russland die Möglichkeit hatten, eine Schule zu besuchen. Und hier, siehst du, das ist Teheran. Und wir in der Schule. Die Perser haben uns Gebäude von der Pilotenschule zur Verfügung gestellt. Es gab keine Möbel, wir saßen auf dem Boden. Hier ist der Priester und hier sind die Professoren. Und hier bin ich und meine Schwester. Unsere Haare sind abrasiert, weil wir alle Läuse hatten.
Nach einem Jahr mussten sie Persien verlassen. Nun ging es weiter nach Afrika. Nach Kenia. "Dort wurden wir in diesen strohgedeckten kleinen Häusern untergebracht", Janina zeigt auf ein Foto. Neben den Hütten sieht man große schwarze Massai-Krieger mit Speeren. Auf einem anderen Foto: Janina,Halina und andere polnische Schüler in schmucken Pfadfinder-Uniformen. Läuse gab es keine in Afrika. Aber viele Kinder erkrankten an lebensbedrohlichen Tropenkrankheiten.
Trotzdem hätten sie in Afrika die schönsten Jahre ihrer Jugend gehabt, sagen die beiden alten Damen. Bis 1947 konnten sie dort bleiben. Dann ging es zurück nach Europa. Aber nicht in die alte Heimat, sondern in das neue Westpolen. Mehrere Wochen dauerte die Reise nach Swiebodzin, in die unbekannte Stadt im ehemaligen Deutschland. Der Empfang war nicht besonders freundlich.
Es war der 24 August, ich wollte zur Schule, aber die wollten mich nicht aufnehmen, weil ich ein Zeugnis aus Tengeru in Afrika hatte. Der Schuldirektor sah es sich an und sagte: Wer hat dieses Gymnasium in Afrika geleitet? Ich sagte: die Regierung? Welche Regierung? Die aus London. Er sagte: ob Du aufgenommen wirst, entscheidet die Schulbehörde in Poznan.
Schließlich durfte Janina aus Afrika doch ihr Abitur machen. Aber dann bleib sie erst einmal arbeitslos. Musste sich stattdessen regelmäßig bei der Polizei melden. Die von den Sowjets vertriebenen Ostpolen, wurden im kommunistischen Polen behandelt wie feindliche Spione. "Erst nach 1956, als Stalin gestorben war, konnten wir uns als normale Bürgerfühlen". Janina klappt das Buch zu. Es dauerte noch weitere 30 Jahre bis sie zum ersten mal in ihre alte Heimat fahren durfte. In das ehemalige Ostpolen.
Ich war da und habe mir alles angesehen. Alles was einmal unsers war, war abgebrannt. Auf dieser Stelle steht nun ein Haus, was von den Russen gebaut wurde. Eine Hütte, die nur ein bisschen größer ist als ich. Aber es gibt noch einen Baum und alle sagen das ist der Iwaszkiewicz-Baum. Dann kam eine Nachbarin und fragte, wer wir sind und was wir hier wollen. Wir sagten, dass wir die früheren Besitzer des Grundstückes sind. Und dass wir in Sibirien gewesen sind. Da fragte sie uns, ob wir jetzt zurückkommen wollen. Ich antwortete: Nein das wollen wir nicht! Was sollte ich denn da? Das ist nicht mehr mein Haus!