Migge: Die wenigen, die von ihm eingeladen worden sind, um mit ihm Kunst einzuschätzen und mit ihm preislich zu schätzen, haben verraten, dass er alles Mögliche sammelt, von barocker oder spätmittelalterlicher Malerei bis zu Pop-Art-Künstlern, bis zu jungen deutschen wilden Skulpturen, antiquarischen Möbeln. Alles, was ihm gefiel, hat Giovanni Agnelli im Laufe seines Lebens gekauft, und zwar gleich in Massen. Er hat also nicht nur ein Bild gekauft, sondern immer gleich drei, vier oder fünf Bilder eines Künstlers.
Schmitz: Hat er denn überhaupt nach bestimmten ästhetischen, motivischen oder kunsthistorischen Motiven gesammelt oder hat er alles gekauft, was gut, etabliert und teuer war?
Migge: Dazu hat er sich nie geäußert. Nur seine Frau hat vor einigen Monaten ein Interview zur Sammelleidenschaft ihres Mannes gegeben. Sie darin gesagt, dass ihr Mann ganz nach dem Herzen entscheidet. Also, das, was er ihm in einem bestimmten Moment gefällt, das kauft er.
Schmitz: War denn die Kunst für Agnelli ein Hobby unter vielen oder eine richtige Leidenschaft, möglicherweise auch verbunden mit Kenntnis und Feingefühl?
Migge: Es war eine Leidenschaft, das kann gesagt werden. Denn er hat sehr viel Geld für Kunst ausgegeben und hat viel seiner freien Zeit dazu gewidmet, sich mit Künstlern zu treffen, Galeristen kennen zu lernen und sich auch mit Kunst auseinander zu setzen. Auch wenn er ein Autodidakt war, so sagten doch verschiedene Künstler von ihm, dass er einer derjenigen Sammler war, die wirklich wussten, was Kunst bedeutet.
Schmitz: Aber warum weiß in der Öffentlichkeit niemand etwas Genaues über die Sammlung?
Migge: Es weiß niemand etwas darüber, weil sich Giovanni Agnelli bei allem, was sein Privatleben betrifft, außer die Frauen, die er geliebt hat, immer sehr zurückgehalten hat. Es ist auch so, dass die gesamte Familie Agnelli nie Paparazzi, Journalisten oder viel Öffentlichkeit innerhalb vieler Residenzen in Europa und die USA hineingelassen hat. Also immer das, was im Privatleben passiert, hat er möglichst geheim gehalten. Somit wissen auch nur ganz wenige Personen, wie viel und was er an Kunst besessen hat.
Schmitz: Wurde Agnelli unter Künstlern, beispielsweise unter Künstler der Gegenwart, als Förderer, als Mäzen wahrgenommen?
Migge: Andy Warhol soll das behauptet haben. Aber es ist so, dass Agnelli kein Geld bereit gestellt hat, um das künstlerische Schaffen von Künstlern zu fördern. Er hat vielmehr Kunst von ihnen gekauft und für Werke von Baltus und Andy Warhol mehr Geld bezahlt als der Marktpreis eigentlich gefordert hatte. Vor allen Dingen soll er das immer dann gemacht haben, wenn die Künstler bei knapper Kasse waren.
Schmitz: In Turin gibt es die Agnelli-Pinakothek. Der Bau von Renzo Piano soll ja beachtlich sein. Aber die Quantität der Exponate und die wohl etwas ideenlose und lieblose Hängung sind mit Enttäuschung aufgenommen worden. Waren Sie auch enttäuscht?
Migge: Ja, ich war auch enttäuscht. Wenn man von Pinakothek spricht, kann man natürlich nur 25 Bilder einer Stadt schenken. Aber Pinakothek ist ein großes Wort. Aber auch wenn es sich um unbezahlbare Meisterwerke handelt, sind 25 sehr wenig. Vor allen Dingen bei einem Mann, von dem bekannt ist, dass Tausende von Meisterwerken besitzt. Insofern hagelt es da sehr viel Kritik.
Schmitz: Hat er sich keinen Kurator leisten können?
Migge: Den hätte er sich sicherlich leisten können. Aber auch im Fall der Pinakothek in Lingotto ist es so gewesen, dass Agnelli alles ganz individuell entschieden hat. Er hat auch Dan Baumeister ausgewählt. Baumeister hat etwas für ihn entworfen, wo Agnelli nicht hineingeredet hat. Er hat dann die Bilder zur Verfügung gestellt und sich dann ganz allein um alles gekümmert, ohne eine Kurator zu beauftragen.
Schmitz: Wird sich denn in der Agnelli-Pinakothek in absehbarer Zeit etwas verbessern?
Migge: Das wird sicherlich nicht der Fall sein, denn er und seine Frau hatten damals zusammen entschieden, wo die Bilder aufgehängt werden. Die Tatsache, dass Agnellis Sarg heute in dieser Pinakothek zur Verehrung der Öffentlichkeit aufgestellt wird, heißt, dass es sich dort um eine Art heiligen Gral handelt, in dem sicherlich nie ein Bild um- oder weggehangen wird.
Schmitz: Gibt es schon Äußerungen von Kulturschaffenden über den Tod Agnellis in Italien?
Migge: Ja, es gibt verschiedene. Zum Beispiel meinte der angesehene italienische Kunstexperte Maurizio Calvesi, dass Italiens größter Sammler und privater Kunstkenner gestorben ist.
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