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Auch im Winter auf die Weide

Die Erzeugerpreise für Rindfleisch haben sich in der letzten Zeit wieder etwas erholt. Aber richtig rentabel ist die Rindermast noch nicht wieder. Es sei denn, es gelingt, die Kosten drastisch zu senken. Gut möglich wäre das bei Stallbau und Futter. Das billigste Futter kommt wie eh und je von der Weide und die Stallbaukosten sind natürlich dann gering, wenn man ganz auf den Stall verzichtet und die Rinder Sommer wie Winter auf der Weide lässt. Für die Tiere wäre das überhaupt kein Problem. 50 Pferde hält beispielsweise ein Reiterhof im Elsaß schon seit Jahr und Tag im Freien. Gegen den Willen des Staates, der mehrfach per Gericht versucht hat, die Freilandhaltung zu unterbinden. Ohne Erfolg. Denn den Tieren geht es dabei bestens. Entgegen der öffentlichen Meinung, die auch hierzulande häufig eine falsch verstandene Tierliebe pflegt. Themen, die den Deutschen Grünlandtag am Wochenende in Gießen beschäftigt haben.

Von Michael Schlag | 14.11.2005
    Kühe können den Winter auch bei Frost auf der Weide verbringen, ohne dass die Kälte ihnen schadet; vorausgesetzt die Weide hat alle nötigen Elemente, damit die Tiere sich vor der Kälte im Freien schützen können. Ralf Waßmuth von der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft in Jena nennt vor allem zwei Dinge, die bei der Winterweide stimmen müssen:

    " Schutz vor Wind ist ganz wichtig, weil Wind dem Tier doch sehr große Wärmemengen entzieht. Darüber hinaus ist es wichtig, die Liegefläche der Tiere einzustreuen, um eine isolierende Wirkung zum kalten, feuchten Boden zu erzielen. Die Tiere brauchen kein Dach über dem Kopf. Sie sind von der Evolution her gesehen ausgestattet mit sehr vielfältigen Anpassungsreaktionen, die es ihnen letzten Endes ermöglichen, auch ohne Dach über dem Kopf zu überwintern, ohne krank zu werden. "

    So wächst Rindern in der kalten Jahreszeit ein Winterfell, ihr Stoffwechsel schaltet auf höheren Energieverbrauch für Körperwärme und sie laufen weniger, um keine Energie für Bewegung zu vergeuden. Als Windschutz können Hecken oder Waldränder dienen, oder auch Wände aus Strohballen. So geschützt ertragen die Tiere selbst Temperaturen von minus 30 Grad. Außerdem braucht ein Weiderind im Winter jeden Tag drei Kilo Stroh als Bodenstreu, damit es sich zum Wiederkäuen hinlegt, nur so kann es die nötige Energie für seine körpereigene Heizung gewinnen. Damit Fleischrinder und Mutterkühe die Landschaftspflege übernehmen, müssten die Weideflächen in den Mittelgebirgen der alten Bundesländer aber größer sein. Denn auf sehr kleinen Flächen sind Maschinen billiger. Friedrich Kuhlmann, Professor für Landwirtschaftliche Betriebswirtschaft an der Universität Gießen untersuchte das am Beispiel des Hohen Westerwaldes.

    " Für die Mutterkuhhaltung ist deswegen auch eine bestimmte Feldstücksgröße notwendig, weil auf größeren Flächen die Kontrollfahrten, die Kontrollgänge je Hektar abnehmen und außerdem die Kosten für die Zaun-Instandhaltung. Weil größere Flächen - pro Hektar gerechnet - geringere Zaunkosten verursachen als kleinere Flächen. "

    Profitieren könnten die Fleischrinderhalter von der jüngsten Agrarreform. Zwar fallen die Produktionsprämien für Rindfleisch weg. Doch Weidehaltung kann jetzt stärker in Agrar-Umweltprogrammen als Leistung für Landschaftsschutz und Fremdenverkehr unterstützt werden. Zum Beispiel mit Investitionshilfen für die regionale Vermarktung, sagt Wolfgang Reimer, vom Bundesverbraucherministerium:

    " Die Landwirte, die nicht nur produktionsorientiert sind, haben natürlich eine Chance gerade in den benachteiligten Gebieten, die ja landschaftlich wunderschön sind. Und wo die Betriebe durch die Weidehaltung einen großen gesellschaftlichen Nutzen auch für den Tourismus hervorbringen, wollen wir eigentlich diese positiven Leistungen miteinander verbinden. Warum soll man nicht viel stärker das regionale Rindfleisch über die regionale Gastronomie vermarkten und da ein richtiges Erlebnis draus machen. "

    Doch die größte Sorge der Halter von Weiderindern ist nicht die Politik und auch nicht die Wirtschaftlichkeit, sondern die Akzeptanz der Verbraucher. Obwohl der Weidegang von Kühen als ideale Form der Tierhaltung gilt - wenn die Tiere im Winter im Schnee stehen, dann fehlt das Verständnis der Bevölkerung. Mancher habe schon entnervt aufgegeben, wenn Heiligabend die Polizei auf dem Hof erschien, weil Nachbarn meinten, der Bauer behandele seine Tiere schlecht, so Wilhelm Opitz von Boberfeld, Professor für Grünlandwirtschaft an der Uni Gießen:

    " Das ist ein Riesenproblem bei der Bevölkerung. Das wir dann sehr häufig mit Tierquälerei in Verbindung gebracht. Wenn man sich auch da von gewissen Eckdaten leiten lässt ist das alles andere als Tierquälerei. Ich möchte in dem Zusammenhang nur einmal Rechnungen von Tierärzten ins Feld führen, die haben bei der Stallhaltung im Winter - warm, häufig dann auch sehr feucht - wesentlich mehr zu tun als bei der Winter-Außenhaltung. "