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"Auch mal krasse Ideen haben"

Wenn es stimmt, dass wir im 21. Jahrhundert in einer Wissensgesellschaft leben, dann gerät der "Kampf um die Köpfe" immer mehr in den Mittelpunkt. Einer, der ausgezogen ist, ist Sebastian Thrun. Der 41-jährige Informatiker stammt von der Uni Bonn und ist jetzt Professor für Künstliche Intelligenz an der Stanford-Universität. In den USA hält ihn vor allem das Forschungs- und Entwicklungsklima.

Von Kay Bandermann | 10.11.2008
    Ein fensterloser Raum mit Neonlicht, schmal, unaufgeräumt. Man fühlt sich wie in einem Hobbykeller. Überall liegt Werkzeug herum, und auf dem Boden stehen Modellhubschrauber. Was wie eine Spielerei aussieht, ist für Sebastian Thrun eine Vision.

    "Wir stehen hier vor zwei Modell-Helikoptern; beide so zwei Meter lang. Und die sind beide mit Computern ausgestattet; die können sich selbst fliegen. Es gibt eine Reihe von kommerziellen Applikationen von Helikoptern. Sei es zur Inspektion von Stromleitungen; zur Vermessung des Landes über Vulkangebieten; bis zu Kriegsapplikationen natürlich: zum Fliegen durch Bagdad oder ähnliche Dinge. Da ist also ein großes Interesse am autonomen Fliegen. Also, es ist durchaus denkbar, dass in 30, 40 Jahren viele von uns einen Helikopter haben und als Transportmittel nutzen."

    Das klingt - im doppelten Sinne - abgehoben. Tatsächlich wirkt der 41-Jährige in seiner lockeren Art keineswegs weltfremd. "Künstliche Intelligenz" bedeutet für ihn, dass Systeme selbst lernen, sich zurechtzufinden. Dabei ist sein Lieblingsforschungsobjekt das Auto, das sich selbst steuert.

    # "Man stelle sich vor: Man sitzt abends in der Kneipe und trinkt sein viertes Bier und muss irgendwann nach Hause und sucht seinen Wagen. Der Wagen kommt vielleicht sogar von sich aus vorgefahren, weil er ja weiß, wo die Kneipe ist. Man sagt: "Nach Hause", legt sich schön hin. Und irgendwann piepts, weil man sich zuhause in der Garage wiederfindet. Ich glaub, das wäre ne schöne Sache."

    Und eine sichere obendrein, angesichts von Tausenden Verkehrsopfern, betont Sebastian Thrun. Seine Idee ist kein Science-Fiction. Das mit Kameras, Sensoren und Satellitenortung ausgerüstete Auto gibt es schon: Mit einem fahrerlosen VW Passat hat er bereits Langstreckenrennen gewonnen. Der Autohersteller hat sein elektronisches Forschungslabor in der Nähe von Stanford eingerichtet. Dieses rasch Umsetzen von der Forschung ohne Umschweife in die Praxis, darin bestehe der große Standortvorteil in den USA, sagt Sebastian Thrun. Das mache für ihn den Reiz aus. Die berühmteste Stanford-Gründung der jüngsten Zeit sei in Deutschland undenkbar.

    "Zum Beispiel, Larry Page und Sergey Brin, die Google gestartet haben. Das war ein Forschungsprojekt. Und die Art und Weise wie das umgesetzt wurde in eine Firma -- und es eine der interessantesten Firmen der Welt geworden, ist, dass die - durch die Universität vermittelt - Gelder haben auftreiben können, zur Firmengründung, zwei Doktoranten, die sonst nichts hatten, diese Gelder ermöglicht haben, die Firma zu gründen und die Firma wachsen zu lassen und in ein Multi-Milliarden-Dollar-Untenehmen großzuziehen. Diese Art von Symbiose finde ich gut."

    Diese Atmosphäre zieht weitere deutsche Nachwuchs-Wissenschaftler an. Zum Beispiel, den Informatiker Hendrik Dahlkamp. Der 29-Jährige wechselte vor vier Jahren nach seinem Abschluss an der Universität Karlsruhe nach Stanford und stieg in das "Auto-Team" von Sebastian Thrun ein. Praxisnah experimentieren zu können, großzügig, wenn auch nicht uneigennützig, von Industriegeldgebern unterstützt, das hat ihn beeindruckt.

    "Wir haben jede Menge Start-Ups und große Firmen in der Umgebung. Und es gibt die Möglichkeit zu Kooperationen. Es gibt die Möglichkeit, wenn man eine tolle Idee hat, sofort zu Center Road zu gehen, mit einem Venture Capitalist zu sprechen, die Idee umzusetzen und groß aufzuziehen. Es gibt in der Forschung nicht das Beharren darauf, man muss nur paper, paper, paper schreiben. Sondern macht einfach tolle Projekte und irgendwann springt auch was an Veröffentlichungen dabei raus."

    Hendrik Dahlkamp praktiziert das gerade. Mit einem Teilprojekt des "sich selbststeuernden Autos", nämlich der digitalen Bildverarbeitung, sind er und Sebastian Thrun zu Google gegangen. Daraus wurde "Street view", der neue Bilderservice der Firma, der hierzulande den Datenschützern Kopfzerbrechen bereitet. Sorgen, die Hendrik Dahlkamp nicht versteht. In Kalifornien denkt man ganz anders.

    "Die lässige Art lässt es einfach zu, auch mal krasse Ideen zu haben. Wenn es was wird, dann ist es auch ein riesiger finanzieller Erfolg für die Gründer. Ja, und wenn es nichts wird, macht man halt nächstes Jahre was anderes."

    An eine Rückkehr nach Deutschland denkt der junge Informatiker vorerst nicht. Noch weniger sein Doktor-Vater, Sebastian Thrun, obwohl er immer wieder darauf angesprochen wird. Erst kürzlich waren sechs Bundestagsabgeordnete bei ihm zu Gast. Der Informatik-Professor hat Fakten geschaffen: Er besitzt mittlerweile auch die amerikanische Staatsbürgerschaft.

    "Also ich habe hier mein zuhause gefunden. Ich bin quasi in nullter Generation Amerikaner geworden und denke, dass wir die nächsten Jahrzehnte noch hier bleiben werden."