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Auch nach dem Tode

Das Feuilleton ist in Sachen Thomas Bernhard äußerst wortschöpferisch gewesen - gern nannte man ihn den Alpen-Beckett oder auch den Unterganghofer. Thomas Bernhard, hat sich als konsequenter Österreichhasser und als wahrer Meister der Suada einen Namen gemacht. In ihrem Nachruf spricht Elfriede Jelinek von Bernhards "wütendem Atem" – in endlosen Tiraden hat Bernhard auf den Lebensstumpfsinn mit Literatur reagiert, bis er erstickt ist.

Michael Opitz | 14.01.2004
    Nun legt der Suhrkamp Verlag eine auf 22 Bände geplante Werkausgabe seines Hausautors vor. Das Erscheinen der ersten drei Bände nahm der Verlag zum Anlass, auf das Gesamtvorhaben aufmerksam zu machen und lud zur Buchpräsentation ins Wiener Burgtheater ein, an den Ort also, an dem viele Bernhard Stücke uraufgeführt wurden, und an dem auch sein letztes Stück Heldenplatz, noch kurz vor seinem Tod, eine skandalumwitterte Premiere erlebte.

    Was von Thomas Bernhards monomanischer Wortmühle erfasst wurde, ist schonungslos zerrieben worden, der radikale Geschichtenzerstörer gilt als wortgewaltiger Weltverdunkler. Der Durchbruch gelingt ihm 1963 mit dem Roman Frost, den Carl Zuckmayer in den höchsten Tönen lobt. Von einer aufwühlenden und eindringlichen Talentprobe spricht Zuckmayer und bemerkt: "Es wird da etwas zum Anklang gebracht, was wir nicht kennen und wissen, was wir mit Erlebtem, Erfahrenem, auch mit literarischen Vorbildern kaum vergleichen können und was dem ‚Abgrund Mensch’, von dem Büchner sprach, neue Perspektiven erschließt." Bernhard wird auch in den auf Frost folgenden Romanen, Erzählungen und Dramen, es werden insgesamt 54 Einzelveröffentlichungen sein, keinen Bogen um diesen Abgrund machen – im Gegenteil, es wird ihm gerade um die Vermessung und Beschreibung von Abgründen, von katastrophalen Zuständen gehen. Dabei wird er schonungslos vorgehen, weshalb Ingeborg Bachmann von seinen Büchern sagt, dass in ihnen alles von der "schlimmsten Genauigkeit ist", dass sie von der "Verstörung" handeln, "in der sich jeder befindet."

    Mit seinem Testament, das einer letzten Regieanweisung gleicht, hat der Meister der Selbstinszenierung auch nach seinem Abgang von der Literaturbühne noch einmal für heftige Aufregung gesorgt, denn sein letzter Wille ist für Österreich eine schallende Ohrfeige:

    Weder aus dem von mir zu Lebzeiten veröffentlichten, noch aus dem nach meinem Tod gleich wo immer noch vorhandenen Nachlaß darf auf die Dauer des gesetzlichen Urheberrechts innerhalb der Grenzen des österreichischen Staats, […] etwas in welcher Form immer von mir verfaßtes Geschriebenes aufgeführt, gedruckt oder auch nur vorgetragen werden. Ausdrücklich betone ich, dass ich mit dem österreichischen Staat nichts zu tun haben will, und verwahre mich […] gegen jede Annäherung des österreichischen Staates […] in aller Zukunft. Nach meinem Tod darf aus meinem literarischen Nachlaß, worunter auch Briefe und Zettel zu verstehen sind, kein Wort mehr veröffentlicht werden.

    Bernhard nannte sein Testament seine "postume Emigration". Ein solches Testament lässt die Marketingabteilung eines Verlages nicht eben Freudentänze aufführen und eine Steilvorlage für eine Werkausgabe ist es auch nicht. Bernhard wusste, was er als seinen letzten Willen formuliert hat. Keine Erlaubnis für die Publikation von bisher unveröffentlichten Texten, die sich in Bernhards-Nachlaß finden, Spiel-, Zitier und Druckverbot seiner Texte für Österreich. Das Testament dürfte dem Alleinerben, Peter Fabjan, dem Halbbruder von Thomas Bernhard, und dem Verleger Siegfried Unseld, einiges Kopfzerbrechen bereitet haben, denn Bernhard hatte beide als Testamentsvollstrecker eingesetzt.

    Im gemeinsamen Nachdenken unter Hinzuziehung von Bernhard Philologen hat man sich darauf geeinigt, Bernhards Testament nicht wortgetreu auszulegen, sondern sich am Sinn des Gemeinten zu orientieren. Das heißt im Klartext: das bisher unveröffentlichte Werk bleibt unveröffentlicht, hingegen darf Bernhard in Österreich wieder gespielt, zitiert und verlegt werden – 1998 wurde das Verbot aufgehoben. Das ist eine Korrektur, um es mit einem Romantitel von Thomas Bernhard zu sagen. Man kann sich vorstellen, warum sie vorgenommen wurde, wenn man hört, was Rainer Weiß, Programmdirektor des Suhrkamp Verlages, über den Stellenwert und die Bedeutung des Autors Thomas Bernhard am 16. November diesen Jahres im Wiener Burgtheater anlässlich der Präsentation der ersten drei Bände der sich auf insgesamt 22 Bände belaufenden Thomas Bernhard Werkausgabe sagte:

    Nehmen wir die laufende Spielzeit 2003/2004, werden Bernhards Stücke an 24 deutschen Theatern inszeniert und im Ausland wird er dieses Jahr an 45 verschiedenen Orten gespielt. […] In den siebziger Jahren erscheinen bei Suhrkamp 20 Bernhard Bände, in den achtziger 24. Seine Dramen, Erzählungen und Romane haben bis heute im deutschsprachigen Raum eine Gesamtauflage von über 2 Millionen Exemplaren erreicht. Parallel entwickelt sich Bernhard zu einem der gefragtesten Autoren im Ausland – für Suhrkamp nach Hesse, Frisch und Brecht ein wichtiger, sehr, sehr wichtiger Autor im Ausland. Bernhard liegt heute in 27 Sprachen vor.

    Etwa einen Regalmeter wird die Werkausgabe beanspruchen, aber unveröffentlichte Texte, die es besonders aus dem Zeitraum vor dem Erscheinen von Frost gibt, etwa das dreihundert Seiten starke Konvolut Schwarzach St. Veit, das Bernhard im Fischer-Verlag herausbringen wollte, wird sie nicht enthalten. Dass diese unbekannten Texte unpubliziert bleiben sollen, darunter mit Der Wald auf der Straße auch jenes Typoskript, mit dem Bernhard einen zweiten Versuch unternahm, sich als Autor zu etablieren, und im Suhrkamp Verlag ebenso wie zuvor scheiterte, ist mehr als bedauerlich. Darüber tröstet auch nicht Bernhards schonungslose Kritik hinweg: "Aufgeblasenes Nichts! Wie konnte so etwas passieren".

    Was die Herausgeber mit der Ausgabe versuchen, beschreibt Wendelin Schmidt-Dengler, einer der Gesamtherausgeber, so:

    Die Ausgabe, wie sie hier vorliegt, bedarf keiner Entschuldigung, sie bedarf auch keiner Erläuterung. Jedoch die Frage, warum es sie gibt, ist nur zu berechtigt. Ist es ein neuer Bernhard, wurden wir in den letzten Tagen immer wieder gefragt und ich kann dazu nur sagen: Der neue Bernhard ist auf jeden Fall der alte Bernhard und das ist gut so. Er ist der alte Bernhard, jener Bernhard, den wir kennen und wenn wir ihn aber etwa 40 Jahre nach dem Erscheinen des ersten Textes wieder lesen, so packt uns jedes Wort aufs Neue, und plötzlich haben wir den Eindruck, hier spricht jemand ganz anderer, als wir ihn vor 40 Jahren kennen gelernt haben. […] Der Sinn dieser Ausgabe ist ein pragmatischer. Zunächst einmal auf 22 Bänden das weit verstreute, auch auf Zeitschriftenartikel und auf Anthologien zerstreute Werk zusammenzufassen, zu ordnen und so einen großen Überblick über einen Zusammenhang möglich zu machen, der sonst so leicht nicht sichtbar würde. […] Dieser Zusammenhang ist nicht etwas Vordergründiges, sondern er zeigt, dass diese Werke offenkundig untereinander wie kommunizierende Gefäße verbunden sind, so singulär auch jedes einzelne für sich sein mag.

    Dass der neue Bernhard, der alte ist, mag beruhigend sein, aber etwas Neues hätte man dennoch gern am alten Bernhard entdeckt. Legitimieren will sich die Werkausgabe dadurch, dass sie Zusammenhänge herstellt, indem sie Verstreutes zusammenführt. Aber bis auf einige Erzählungen, die in Aufsätzen und Anthologien erschienen sind, ist Bernhards Werk alles andere als schwer zugänglich. Und mit Band 14, der Kurzprosa, legen die Herausgeber gleich zu Beginn jene Texte vor, die vielleicht sogar Bernhard Kennern unbekannt waren. Martin Huber, neben Schmidt Dengler der zweite Gesamtherausgeber zur Gestaltung des Bandes:

    Der Band 14 ist der umfangreichste der drei jetzt erschienenen Bände Erzählungen Kurzprosa. […] Er versammelt einerseits die Erzählungen, die Bernhard selbst schon in Erzählbänden versammelt hat, also etwa im Erzählband Prosa, An der Baumgrenze, Midland in Stilfs, daneben die Kurzprosasammlung Ereignisse und Der Stimmenimitator […] sind enthalten und dann, das ist eine Neuerung […] verstreut erschienene Erzählungen, die teilweise nicht einmal in den einschlägigen Werkverzeichnissen nachgewiesen sind. […] Also Beruhigung, Die Frau aus dem Gusswerk oder Wiedersehen etwa, sind Texte, die, glaube ich, auch bisher einer Bernhard Leserschaft nicht bekannt waren und in einem letzten Teil sind, in Band 14, die ganz frühen Erzählungen versammelt, die Thomas Bernhard in Zeitungen, in Salzburger Zeitungen, in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre, noch veröffentlicht hat, wo es gleichsam einen Bernhard gibt, noch vor dem Bernhard, der diesen Stil gefunden hat, der heute als […] Erkennungszeichen für Thomas Bernhard steht.

    Worauf also warten? Vielleicht wirklich auf den 22. Band Der ‚öffentliche’ Bernhard, mit dem die Ausgabe 2008 ihren Abschluss finden soll. Und zwischendurch? Hoffen auf möglichst interessante Neuentdeckungen in Bernhards Nachlass, auf die die Herausgeber stoßen mögen, um sie den Bernhard-Interessierten in den Nachworten mitzuteilen, die zu jedem einzelnen Band der Werkausgabe gehören.

    Wir versuchen nun in den Nachworten wenigstens einen Einblick zu geben, wie komplex diese Entstehungszusammenhänge sind und wie aufschlussreich sie letztlich dann auch sein können. Das sei gedacht als eine Hilfe oder eine Information für den informierten Leser, der wahrnehmen kann und damit er sieht, wie sich dieses Prosagewitter […] in diesem einen Kopf zusammenbraut und dann auf den Leser übertragen wird. So ist der Einblick in die Entstehung […] eine der faszinierendsten Weisen, sich diesem Werk zu nähern. […] In kurzen Nachworten bekommen sie die Linien der Entstehung nachgezeichnet, bekommen kurze Sachkommentare und kurze Erläuterungen. Ich hoffe, dass diese neue Ausgabe doch wieder die Möglichkeit bietet, Bernhard neu und anders zu lesen.

    Thomas Bernhard
    Werke
    Hrsg. v. Martin Huber und Wendelin Schmidt-Dengler.
    Suhrkamp