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Auf Beutezug in Ägypten

Seit der Revolution im Januar 2011 beobachtet das Deutsche Archäologische Institut in Kairo, dass die Grabräuberei in Ägypten zugenommen hat. Ein besonders drastisches Beispiel ist Assuan: Dort sind sieben Fürstengräber geplündert worden, die zuvor noch kein Mensch gesehen hatte.

Von Sabine Rossi | 19.10.2013
    "Hier sieht man noch die Leinentücher, in die die Mumien eingewickelt waren. Sie sind scharf auf die Amulette, und die Knochen werfen sie weg!"

    Monica Hanna steht in einer Mondlandschaft. Um die Archäologin herum lauter Löcher und Krater. In Beni Suef, einer Stadt rund hundert Kilometer von Ägyptens Hauptstadt Kairo, gibt es Löcher, soweit man gucken kann. Manche dieser Löcher gehen in Schächte über, die bis zu 30 Meter tief sind. Grabräuber haben hier gewütet. Die Knochen der Mumien haben sie einfach zurückgelassen. Sogar die Schädel liegen noch im Sand. Mumien, die vor mehr als 2.000 Jahren bestattet wurden.

    "Als ich das zum ersten Mal gesehen habe, war ich schockiert. Ich habe den ganzen Rückweg nach Kairo geweint. Ich habe mich so hilflos gefühlt. Das ist eine Tragödie, die größer ist als ich oder andere Menschen. Ich kann nichts weiter machen, als alles zu dokumentieren. Aber selbst das nützt nichts."

    Die Stadt Beni Suef ist kein Einzelfall – auch an anderen Orten in Ägypten plündern Grabräuber historische Stätten. Monica Hanna hat in Kairo Archäologie studiert. Heute setzt sie sich für den Schutz der Antiken in ihrer Heimat ein. Sie veröffentlicht Artikel und Fotos in Zeitungen und schickt Meldungen über den Kurznachrichtendienst Twitter in die Welt, um auf das aufmerksam zu machen, was in Beni Suef und anderswo in Ägypten passiert.

    "Grabräuberei ist wie eine Seuche, die das ganze Land befallen hat. Wo immer es archäologische Altertümer gibt, fangen die Menschen an zu graben und zu rauben."

    Ein besonders drastisches Beispiel ist Assuan ganz im Süden des Landes. Dort sind sieben Fürstengräber geplündert worden, die zuvor noch kein Mensch gesehen hatte – und die so schnell auch niemand sehen wird. Bewaffnete Banden sollen dort das Sagen haben. Der Fund hätte eine archäologische Sensation werden können. Der Chef der zuständigen Altertümerverwaltung in Kairo schwärmt von wunderschönen Wandmalereien, spricht sogar von einem zweiten Tal der Könige. Nur viel ausrichten, kann Mustafa Amin nicht.

    "Wir versuchen die Leute aufzuklären und ihnen zu sagen, dass das zu unserem kulturellen Erbe gehört, das wir bewahren müssen. Allerdings gibt es einige Menschen, die nur ihren eigenen Nutzen und ihre Interessen sehen."

    Bewaffnete Banden – in Assuan sollen sie die Bewohner der benachbarten Dörfer bilden. Sie gehören zur Volksgruppe der Nubier, die das Gebiet für sich beanspruchen und sich von der Regierung in Kairo im Stich gelassen fühlen. In den Gräbern vermuten sie Schätze, die sich zu Geld machen lassen. Ähnlich war es in Dahshur – nur ungefähr 40 Kilometer südlich von Kairo. Auf Satellitenbildern, die das Deutsche Archäologische Institut in Kairo ausgewertet hat, lässt sich erkennen, dass dort rund 500 Grabschächte ausgeräumt wurden.

    Seit der Revolution im Januar 2011 beobachtet Institutsleiter Professor Stephan Seidlmeyer, dass die Grabräuberei in Ägypten zugenommen hat. Ein Problem, dass sich nur lösen ließe, wenn die Menschen vor Ort von den Altertümern profitieren. Für Stephan Seidlmeyer ist Luxor ein gelungenes Beispiel.

    "In Luxor gibt es eine Infrastruktur von Taxifahrern, Kutschenfahrern, Handwerkern, die alle vom Tourismus leben. Im Bereich Dahshur haben wir das nicht. Da läuft die Wertschöpfung ziemlich an der lokalen Bevölkerung vorbei. Den Leuten ist dann gar nicht klar, welchen Nutzen sie daraus haben können."

    Doch auch in Luxor und anderen Orten, die bei Touristen beliebt sind, ist die Lage düster. Das dritte Jahr in Folge bleiben in Ägypten die Touristen aus. Keine Touristen heißt keine Kunden. Mit ein paar antiken Schätzen lässt sich schneller an Geld kommen. Der Schaden, der der Wissenschaft entsteht, lässt sich nicht beziffern. Für die Archäologen ist es nicht entscheidend, ob sie Gold oder anderen Schmuck finden. Viel wichtiger ist für Monica Hanna und Stephan Seidlmeyer eine Grabstätte als Ganzes – unberührt. So wie es die in Assuan waren und für die es jetzt zu spät ist.

    "In diesen Gräberfeldern liegen keine Schätze. Da wird kein Tutanchamun gefunden. Aber in diesen Gräberfeldern liegt eine vergangene Gesellschaft. Fangen wir mit den Skeletten an: Da sehen sie, welche Alterszusammensetzung so eine Pyramidenstadt hatte. Wie es den Leuten ging, welchen Gesundheitszustand sie gehabt haben, in welchen Familienverbänden sie zusammengelebt haben, und und und."

    All dies können Archäologen aus den Gräbern lesen. Dazu brauchen sie aber mehr als ein paar Knochen oder einen Armreifen.

    In Jerusalem und London sind Ende September Kunstschätze, unter anderem aus der Pharaonenzeit, aufgetaucht. Die, die in London beschlagnahmt wurden, sollten über die Internet-Auktionsbörse Ebay verkauft werden. Das ägyptische Antikenministerium setzt sich dafür ein, dass alles zurückkommt. Nach Behördenangaben sollen seit der Revolution 2011 mehr als 2.000 antike Kunstgegenstände in Ägypten gestohlen worden sein.

    Das Problem sei die Nachfrage, sagt Archäologe Seidlmeyer, vor allem aus dem Ausland. In Europa und den USA, aber auch zunehmend in Asien und in den Golfstaaten wollen sich Kunstsammler eine echtes Stück Pharaonenzeit nach Hause holen. Die meisten seien sich nicht bewusst, was sie damit anrichteten – auch nicht die Touristen, die nach einem Skarabäus fragen, und sei er noch so klein.

    "Jeder, der so ein Objekt anfasst, muss sich im Klaren sein, dass er die Ursache ist, die diese Verwüstungen hier im Land anrichtet."