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Auf dem heißen Stuhl

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQWiG, hat einen neuen Leiter: Jürgen Windeler übernimmt am 1. September eine Organisation, die phasenweise unter Dauerbeschuss steht - von Pharmalobbyisten und Politikern, von Medien und Patienten.

Von Mirko Smiljanic |
    Beginnen wir mit ein paar medizinischen Informationen über Prof. Jürgen Windeler. Zurzeit ist er Leitender Arzt im Medizinischen Dienst beim Spitzenverband "Bund der Krankenkassen" in Essen, am 1. September 2010 wird er Chef des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQWiG, in Köln. Das klingt – medizinisch gesehen – zunächst einmal harmlos. Ist es aber nicht. Windeler wechselt von einem eher ruhigen Job in einen eher stressigen.

    "Ich bin so gesund, wie man mit gut 50 Jahren sein kann, Zipperlein hier und Zipperlein da, aber im Wesentlichen schon!"

    Der erste Augenschein bestätigt diese Eigendiagnose, auch seine psychische Grundverfassung scheint stabil zu sein – was möglicherweise etwas zu tun hat mit seiner Herkunft. Windeler ist Norddeutscher und als solcher ein in sich ruhender Mensch. Wie er zur Medizin fand, weiß er heute auch nicht mehr so genau – seine Familie spielte aber eine wichtige Rolle.

    "Meine Mutter ist Ärztin, vielleicht ist das eine gewisse Prägung, irgendwann ist bei mir der Gedanke gereift, dass Medizin etwas sehr Interessantes für mich sein kann. Ich hab dann nicht gleich einen Studienplatz gekriegt, wie das in den damaligen Zeiten der Fall war und habe dann erst einmal ein Krankenpflegepraktikum, eine längere Krankenpflegetätigkeit gemacht."

    Mitte der 80er-Jahre schrieb er seine Promotion zum Thema "Darmkrebsfrüherkennung", anschließend war er Assistenzarzt und wissenschaftlicher Mitarbeiter in Göttingen, Düsseldorf, Wuppertal und Bochum, ab 1993 beschäftigte er sich mit der Medizinische Biometrie und Klinische Epidemiologie, also mit Fragen rund um die medizinische Statistik, wie sich Krankheiten ausbreiten, ob Präventionsmaßnahmen wirklich sinnvoll sind und so weiter.

    "Der Reiz ist schon, dass man auf einer übergeordneten Ebene sich mit Medizin und günstigen Versorgungsbedingungen für Patienten beschäftigen kann.
    Der Reiz, am einzelnen Patienten zu arbeiten, einzelne Patienten zu betreuen, ist auch groß, ich habe das auch selber erlebt, aber mich hat einfach die andere Seite, die höhere Ebene, die Metaebene mehr gereizt."

    Zum Beispiel die evidenzbasierte Medizin, die in den 90er-Jahren Eingang in die deutsche Medizin fand. Sie fordert unter anderem für jedes Behandlungsverfahren empirische Beweise, bevor es am Patienten eingesetzt wird. Mit diesem Thema beschäftigt sich Windeler sich auch beim MDS, dem Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V., dessen Leitender Arzt und stellvertretender Geschäftsführer er 2004 wurde und immer noch ist. Der MDS berät die Bundesebene der Krankenkassen in allen medizinischen Fragen. Alles in allem ein ruhiger Job, weil der MDS außerhalb aller Schusslinien steht. Beim IQWiG, dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen ist das anders. Industrievertreter und Politiker möchten auf dessen Bewertungen nur zu gerne Einfluss nehmen.

    "Das IQWiG ist im Gesetz als unabhängiges Institut angelegt, es hat sich auch nach meiner Einschätzung einen sehr unabhängigen Status erarbeitet und die Beschreibungen 'politiknah' oder auch 'pharmanah' sind eigentlich eher Befürchtungen für die Zukunft gewesen, die sich aber denke ich ein Stück weit durch die Entscheidung des Vorstandes für die neue Leitung relativiert haben."

    An Selbstvertrauen mangelt es Jürgen Windeler offensichtlich nicht – eine Grundvoraussetzung für seinen neuen Posten!