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Auf dem Weg aus der Talsohle

Der neue argentinische Präsident Néstor Kirchner trat seine Amtzeit unter recht negativen Vorzeichen an. Sein Vorgänger Eduardo Duhalde war ein Übergangspräsident gewesen, denn den letzten gewählten Präsidenten hatte die aufgebrachte Bevölkerung aus dem Amt gejagt. Das Land durchlebte einen Zusammenbruch der Wirtschaft. Die Folge: Millionen Menschen rutschten innerhalb weniger Monate unter die Armutsgrenze. Politiker hatten einen schlechteren Ruf denn je: Bei den Präsidentschaftswahlen bekam kein Kandidat mehr als 24 Prozent der Stimmen. Néstor Kirchner, Provinzgouverneur aus dem kalten Patagonien, wurde Präsident, weil sein Rivale, der frühere Präsident Menem, bei der Stichwahl, die zwischen den beiden erstplazierten des ersten Wahlgangs stattfinden sollte, nicht mehr antrat. Ungünstige Voraussetzungen, um ein Land zu führen.

Sheila Mysorekar |
    Doch momentan ist die Lage ruhig. Der Staat hat zwar noch kein Geld flüssig, um seine Schulden zu bezahlen, aber langsam scheint es aufwärts zu gehen. Ist Argentinien über den Berg? Jürgen Illing, der Geschäftsführer der Deutsch-Argentinischen Handelskammer:

    Kommt drauf an, wo Sie den Berg sehen. Über die Anden ist Argentinien mit Sicherheit nicht drüber - wir hatten 2001/2002 eine profunde Staatskrise, die sich ausgewachsen hat zu einer Finanzkrise, später zu einer Wirtschaftskrise. Es gibt im wirtschaftlichen Bereich eine gewissen Konsolidierung auf sehr niedrigem Niveau. Das Sozialprodukt liegt deutlich unter 100 Milliarden Dollar - 2000 lag es bei fast 300 Milliarden Dollar. Die Verhältnisse haben sich gründlich verändert; die Finanzinstitute sind sehr wacklig, aber sie funktionieren wieder, und das war 2002 nicht der Fall. Es gibt eine gewisse Konsolidierung im sozialen Bereich, nachdem sich hier in der Tat dramatische Veränderungen im Jahre 2002 ereignet haben, aber eine Konsolidierung auf einem relativ geringen Niveau, insofern ist in der Tat die Frage, ob wir über Hochgebirge oder Hügel reden. Bewegt hat sich etwas, aber relativ wenig.

    Ein Jahrzehnt lang war der argentinische Peso fest an den US-Dollar gekoppelt - zum Wechselkurs von 1 zu 1, was die argentinischen Exporte auf dem Weltmarkt überteuerte. Vor etwas über einem Jahr wertete die damalige Regierung den Peso ab, der heute nur noch ein Drittel Dollar wert ist, was die argentinischen Güter international billiger macht. Die Regierung setzt auf Export. Nicht nur nach Europa oder in die USA, sondern - zunehmend wichtiger - in die Länder des Handelspakts Mercosur - Brasilien, Uruguay, Paraguay und Argentinien. Ein großer regionaler Markt bietet einen Ausweg für die gebeutelte Wirtschaft, sagt Jürgen Illing:

    Der argentinische Markt ist heute ein Drittel so groß, wie er vor zwei Jahren war. Das heißt, für ein produzierendes Unternehmen macht es keinen Sinn, ausschließlich für den nationalen Markt zu fertigen, sondern man fertigt für eine Zulieferung an den Nachbarstaat. Wenn die Zulieferung in den Nachbarstaat aber sehr stark eingeschränkt ist, dann macht das alles keinen Sinn. Der Mercosur mit einem Freihandel in der Region ist überlebenswichtig für die nationalen Industrien in den Mercosurstaaten.

    In Argentinien lebt über die Hälfte der Menschen unter der Armutsgrenze. Rund 20 Millionen Arme bei einer Bevölkerung von 35 Millionen - ein Hohn für dieses reiche Land, das soviel Lebensmittel produziert und exportiert, dass es damit das Zehnfache seiner Bevölkerung ernähren könnte. Während der Finanzkrise vor rund anderthalb Jahren waren die Bankkonten eingefroren worden. Wegen der darauffolgenden massiven Proteste gegen die Wirtschaftspolitik musste die damalige Regierung zurücktreten. Die Arbeitslosigkeit liegt heute bei 21 Prozent - und sogar bei 44 Prozent, wenn man die Unterbeschäftigten hinzuzählt. Die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung arbeitet schwarz, ohne jede Absicherung. Ein Drama für die Menschen, sagt Rainer Lucht, der Caritas-Beauftragte für Argentinien:

    Ein Land, das zusammengebrochen ist aufgrund eines korrupten politischen Systems, eines fehlgeleiteten Wirtschaftssystems, aufgrund einer desaströsen Intervention internationaler Finanzinstitutionen - das alles ist wie eine Seifenblase geplatzt, auf Kosten der Masse, insbesondere der ärmeren Bevölkerung. Insofern ist das eine soziale Katastrophe geworden. Es ist alles zusammengebrochen. Die Wirtschaft ist zusammengebrochen, die sozialen Leistungen des Staats sind zusammengebrochen, mit Gesundheit, mit Müllabfuhr, mit Erziehung - nichts klappt mehr. Und das ist meines Erachtens eine soziale Katastrophe. Das ist nicht das erste Land, was davon betroffen ist, es hat andere auch gegeben, und es wird in Zukunft auch noch mehr geben, meiner Meinung nach, aufgrund einer Reihe von Defizits, die im internationalen Wirtschaftssystem und im Wirtschaftssystem der Länder ihre Gründe haben.

    Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit entwickeln die Menschen ihre eigene, aus der Not geborene Wirtschaftsstrategie: Viele der unzähligen Arbeitslosenorganisationen gründen Klein-Unternehmen, die als Kooperativen funktionieren und die Selbstversorgung ihrer Mitglieder anstreben. Auf brach liegendem Land pflanzen die Arbeitslosen Gemüse an; leerstehende Fabriken beherbergen Hühnerställe oder Bäckereien oder sie werden auf Ziegelproduktion umgestellt. Eine dieser Organisationen ist die MTD Solano, Movimiento de Trabajadores Desocupados, das heißt Arbeitslosenbewegung, aus einem Vorort der Hauptstadt Buenos Aires. Diese Gruppierung zählt etwa 10.000 Mitglieder. Der Indianer Andrés Fernández ist einer ihrer Führer.

    Für uns als Arbeitslose ist die Zukunft immer unsicher. Diese Kleinunternehmen sind momentan kaum mehr als unsere Träume, und diese Träume halten uns im Kampf aufrecht. Wir sagen immer, unsere Zukunft liegt im wachsenden Bewusstsein der Compañeros, und zwar im Hinblick darauf, genau zu wissen, wer unsere Feinde sind. Da besteht schon eine große Klarheit bei den Compañeros in den Elendsvierteln. Sie wissen, dass ihr Feind das kapitalistische System ist, das sie ausgeschlossen hat.

    In manchen Unternehmen, die pleite gehen, greifen die Arbeiter zur Selbsthilfe: Sie besetzen die Fabriken, gründen eine Kooperative, und beginnen eine eigene Produktion. Dante Aguilera arbeitet seit zwanzig Jahren bei einem Unternehmen in der Hauptstadt Buenos Aires, das Grisini herstellt, eine Art Salzstangen. Vor einigen Monaten wurde die Fabrik von den Arbeitern und Arbeiterinnen übernommen. Die Aktion begann mit einem Streik, weil die Belegschaft neun Monate lang nicht bezahlt worden war. Nun werden die Grisini unter Arbeiterselbstverwaltung produziert. Die Landesregierung hat vor kurzem die ursprünglichen Besitzer enteignet. Dante Aguilera beschreibt den ersten Tag in der Fabrik unter eigener Regie:

    Dieser Tag war etwas ganz Besonderes für uns, wirklich sehr bewegend. Es hatte uns jemand Geld geliehen für die Rohstoffe der Produktion, und so begannen wir (auf eigene Rechnung) zu arbeiten. 1500 Kilos Grisinis in acht Stunden Schicht, und von der ersten bis zur letzten Minute war das aufregend, eine große Freude. Bis jetzt sind wir zufrieden, denn wir haben die Produktion in Gang gebracht und gezeigt, dass wir Arbeiter die Fabrik weiterführen können.

    Ivana Aguero ist eine der Arbeiterinnen, eine energische und politisch bewusste Frau. Sie steht in engem Kontakt mit anderen Fabriken, wo die Arbeiter ebenfalls die Produktionsstätten besetzt und Kooperativen gebildet haben. Sie wollen keinerlei Unterstützung von irgendeiner politischen Partei, sagt Ivana:

    Wir haben dabei gelernt, was unser eigener Wert ist, und auch, dass die Unternehmen eigentlich von den Arbeitern organisiert werden, dass die Besitzer einfach nur daran verdienen - natürlich auf unsere Kosten. Für die Zukunft wissen wir, wer wir sind und was wir wollen. Wir bleiben weiterhin Arbeiter, aber mit einer Mentalität, das Beste zu geben, um das Beste zu fordern.

    In ganz Argentinien werden mehr und mehr Fabriken von Arbeitern übernommen - rund 200, sagt man; wie viele genau, weiß niemand. Manche werden regelmäßig von der Polizei geräumt und wieder neu besetzt; andere erscheinen in den Abendnachrichten als positives Beispiel in der Krise. Präsident Kirchner hat also nicht nur eine Wirtschaftskrise zu bewältigen, sondern er muss sich auch mit einer verarmten, aber selbstbewussten Bevölkerung auseinandersetzen - Arbeitslose, die nicht auf Almosen warten, sondern zur Selbsthilfe greifen. Die argentinische Wirtschaft liegt heute fünf Prozent über dem Tiefpunkt im Jahre 2002, das heißt, es geht in geringem Maße aufwärts, aber sie befindet sich immer noch 10 Prozent unter dem Niveau des Jahres 2001. Man braucht aber nicht zu verzweifeln, meint der Ökonom Claudio Lozano von der linken Gewerkschaft CTA:

    Es gibt Auswege, vorausgesetzt, die öffentliche Hand und die Regierung sind entschlossen, eine effiziente Modifizierung der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung vorzunehmen, die in Argentinien während der Militärdiktatur aufgestellt wurde. Diese Ordnung wurde in den 90ern mit den Maßnahmen des damaligen Präsidenten Menem noch vertieft. Die bloße Tatsache, dass der Peso abgewertet wurde, löst noch nicht die Probleme der Wirtschaftsordnung. Wir haben hier Probleme, die mit der Konzentration der Märkte zusammenhängen. Die Verteilung des Einkommens ist unglaublich ungerecht. Der Staat zieht Steuern hauptsächlich von den geringeren Einkommen ein, und die Ausgaben der öffentlichen Hand sind nicht ordentlich durchdacht. Der Staat hat keine richtigen Kontrollinstanzen in der Wirtschaft, um die Entwicklung zu fördern.

    Viele Argentinier erinnern sich gut daran, dass Argentinien vor seinem Zusammenbruch als 'Musterschüler' der internationalen Finanzinstitutionen galt; ein Staat, der genau die Vorgaben in der Wirtschaftspolitik befolgt hatte, die ihm der Internationale Währungsfonds und die Weltbank diktierten. Vorgaben, die direkt in die Krise führten. Also müssen jetzt andere Wege eingeschlagen werden, sagt der Ökonom Claudio Lozano:

    Damit das Land durchstartet, muss man als erstes vermeiden, den traditionellen Rezepten der Internationalen Währungsfonds zu folgen. Seine Vorgaben haben immer zur Folge, dass die Bevölkerung an Kaufkraft verliert, und das führt zu einer weiteren Rezession. Um dies zu vermeiden, muss der Staat eine Strategie der Einkommensverteilung entwickeln, die von drei Maßnahmen abhängt: Erstens: eine Arbeits- und Ausbildungssicherung für die arbeitslose Bevölkerung. Zweitens: Kindergeld für die Minderjährigen. Und drittens: Geld für die Alten, die keine Rentenversicherung haben. Dies würde allen armen Haushalten ein Mindesteinkommen sichern, damit auch sie konsumieren und damit die Nachfrage im internen Markt erhöhen, und so auch den Anfang für eine Re-Industrialisierungsstrategie stellen. Geld dafür gibt es durchaus. Aber gleichzeitig benötigen wir eine Steuerreform, die auch auf Großverdiener Druck ausübt, und die gleichzeitig die privaten Rentenversicherungen neu überprüft. Da der Staat kaum noch Rentenversicherungen hat, gehen ihm auch hohe Einkünfte verloren. Dazu muss noch eine Sozialpolitik kommen, die von Staat und Provinz zusammen koordiniert wird. Ich möchte klarstellen, dass Argentinien große wirtschaftliche Möglichkeiten hat, anders als Länder wie zum Beispiel Nepal. Hier gibt es vielfältige Möglichkeiten, aber es herrscht eine tiefgehende Ungleichheit, die der Grund für die Ausmaße der Armut in unserem Lande ist. Ein Beispiel: Mit nur fünf Prozent des argentinischen Bruttosozialproduktes könnte man das Problem Armut lösen. Das heißt, es ist durchaus möglich, dass der Staat eine entsprechende Aktion durchführen könnte, als Priorität, um die Krise Argentiniens zu überwinden.

    Fraglich ist, ob der neue Präsident Néstor Kirchner die Absicht hat, derart radikale Veränderungen im wirtschaftlichen Sektor zu initiieren. Der 47jährige Sozialarbeiter Marcos Kuperman aus Buenos Aires glaubt jedenfalls nicht daran:

    Hier in Argentinien knüpfen wir die Hoffnungen immer daran, was wir gerade brauchen. Kirchner hat bisher nichts Grundlegendes geändert. Im Grunde geht es uns genauso (schlecht) wie vorher auch. Man hat ein etwas besseres Gefühl, aber eigentlich stehen wir genauso da wie vorher.

    Abendessen in einer Volksküche in Buenos Aires - eine der Hunderten von Suppenküchen, die Argentinier der Mittelschicht eröffnet haben, seit sich der Hunger epidemisch ausgebreitet hat. Frauen aus der Nachbarschaft kochen Eintopf und schleppen das Essen in die Volksküche - nur ein leerstehendes Ladenlokal, wo abends hungrige Familien hinkommen und kostenlos ein warmes Essen angeboten bekommen, Linsensuppe, oder Nudeln mit Soße. Für viele ist dies die einzige Mahlzeit am Tag.

    Fernando Escobar, 30 Jahre alt, geht regelmäßig bei der Volksküche essen. Der ehemalige Bauer ist eine ausgemergelte Gestalt. Zwei kleine Kinder hat er - anderthalb und vier Jahre alt. Mit ihnen zieht er ohne feste Bleibe durch die Straßen und sucht im Müll der Hauptstadt nach Essbarem, oder nach Papier, das er verkaufen kann. Abgesehen von der Suppenküche solidarischer Nachbarn erhält er keinerlei Hilfe, auch nicht für seine Kinder.

    Nein, ich bekomme keine Arbeitslosenunterstützung, ich bekomme gar nichts. Warum, weiß ich nicht. Ich brauche das dringend, und habe auch Stütze beantragt, aber nicht bekommen. Keine Ahnung, warum. Ich schlag mich eben so durch.

    Trotz seines harten Überlebenskampfes verfolgt Fernando Escobar die politische Entwicklung der letzten Monate:

    Ich vertraue den Politikern nicht, den amtierenden Präsidenten Kirchner ausgenommen. Dem Rest vertraue ich nicht. Kirchner war in den dreißig Jahren meines Lebens der erste, der mir gezeigt hat, dass ich etwas in meinem eigenen Land werden könnte. In den wenigen Monaten seiner Regierung legte er sich mit der gesamten Mafia an, und schmiss einen nach dem anderen der Mafiosi raus. Und Argentinien unterstützt ihn dabei!

    Mafia: So nennt man in Argentinien den undurchdringlichen Filz von bestechlichen Polizisten, habgierigen Politikern und brutalen Gefängnisaufsehern. Eine der ersten Amtshandlungen Präsident Kirchners war es, die Spitzen der notorisch korrupten Polizei und der Streitkräfte auszuwechseln. Auf dem Gebiet der Menschenrechte feierte er bisher seine größten Erfolge. 90 Prozent Zustimmung hat er in der Bevölkerung - hauptsächlich wegen seiner Handlungsbereitschaft gegen die Verbrechen der Militärdiktatur.

    Ein heikler Punkt der noch jungen argentinischen Demokratie war bisher die Straflosigkeit, die die namentlich bekannten Folterer und Mörder der Militärdiktatur genossen. Umstrittene Amnestiegesetze hatten ihnen ein Leben in Freiheit beschert, ungeachtet der 30.000 Menschen, die während der Diktatur verschwunden waren. Nun wurden diese Amnestiegesetze aufgehoben, und die Verbrecher können doch noch hinter Gitter gebracht werden. Besser spät als nie, sagt der 27jährige Student Emiliano Quinteros, dessen Vater zu den sogenannten Verschwundenen gehört:

    Wir haben das Gefühl, dass dies eine Wiedergutmachung ist für die Compañeros der Menschenrechtsorganisationen, die jahrelang (gegen die Amnestiegesetze) gekämpft haben. Unser Kampf hat schließlich Einfluss auf die aktuelle politische Agenda gehabt. Das ist eine große Genugtuung.

    Präsident Néstor Kirchner hat mit seiner Entscheidung für die Aufhebung der Amnestiegesetze geschicktes politisches Kalkül bewiesen, was ihm niemand zugetraut hatte. Die überwältigende Mehrheit der Argentinier steht hinter seiner Maßnahme, die verurteilten Militärs ins Ausland auszuliefern oder in Argentinien erneut vors Gericht zu stellen. Selbst den Streitkräften ist es recht egal, was mit den gebrechlichen Ex-Diktatoren geschieht - beim Militär sind sie schon lang nicht mehr aktiv. Das heißt, Kirchner ist durchaus kein besonders mutiger Präsident, der mit einer unpopulären, aber ethisch korrekten Entscheidung in ein Wespennest tritt und einen Putsch der Streitkräfte riskiert, sondern er fügt sich lediglich einer Grundstimmung der Bevölkerung, nämlich die Menschenrechte zu respektieren. Sein Votum gegen die Ex-Diktatoren ist einfach ein populistischer Schachzug, meint die Anwältin María del Carmen Verdú:

    Es kam nicht überraschend, dass der Präsident sich für die Aufhebung der Amnestiegesetze aussprach, denn es handelte sich hierbei wirklich um eine juristische Absurdität. Jahrzehnte der ständigen Forderung nach Ende der Straffreiheit hatten ihm keine Wahl mehr gelassen.

    In Spanien, Frankreich, Italien und Deutschland liegen Haftbefehle gegen einige wenige hochrangige Militärs vor, auch gegen ehemalige Mitglieder der Junta. In Argentinien ist die rechtliche Lage jedoch kompliziert. Sowohl Abgeordnete wie auch Senatoren haben die Amnestiegesetze aufgehoben. Doch es könnte Klagen beim Obersten Gerichtshof geben, der mehrheitlich von konservativen Richtern besetzt ist, die schwerlich gegen die Militärs urteilen werden. Nun, wo die Verbrecher im eigenen Lande neu verurteilt werden können, sollen sie doch nicht ins Ausland ausgeliefert werden, heißt es von Regierungsseite. Andererseits würden in Argentinien mindesten 2400 Gerichtsfälle neu aufgerollt; hinzu kämen neue Fälle, die bei dem großen Prozess 1985 gegen die Ex-Diktatoren aus Beweisnot nicht verhandelt wurden, und bei denen inzwischen Beweise vorliegen. Es ist also noch offen, wie es weitergeht. Doch eine Atmosphäre der Rechtlosigkeit und der Ungerechtigkeit kann keine Demokratie auf Dauer unbeschadet überstehen.