"Schon als Kind liebte ich Krimis und ich wollte einfach keine Liebesgeschichten schreiben, darüber gab es bereits ein Menge Bücher. Ich fühlte mich von der Form, dem Genre angezogen, weil ich wirklich tiefer in die Leute eindringen wollte und außerdem geben einem Krimis die Möglichkeit, nicht nur das Leben von Menschen zu betrachten, sondern auch die Gesellschaft und ihre unterschiedlichen Bereiche und Elemente. Es bietet die Chance, im Kontext einer guten Geschichte über soziale Probleme und Fragen zu reden und das gefiel mir. Als ich anfing, war ich die erste mit einer afro-amerikanischen Privatdetektivin -inzwischen gibt es einige - und das war ein Vorteil. Die Form führt mich zu einer Menge Dinge, über die ich gerne reden möchte."
Dass sich Valerie Wilson Wesley keine Polizistin als Heldin wählte, hat viel mit ihrer afro-amerikanischen Herkunft zu tun:
"Ich mochte die Privatdetektivin, weil sie in so vielerlei Hinsicht wie ein Ritter auf dem Pferd ist. Sie gehört nicht richtig zum System. Ich wollte keine Polizistin, weil besonders die schwarze Gemeinschaft eine Menge Probleme mit der Polizei hat - ich übrigens auch. Ich wollte jemanden, der unabhängig ist, sein eigenen Job hat, denn für die schwarze Gemeinschaft sind kleine Unternehmen sehr wichtig. Zudem hatte ich das Gefühl, dass mir eine Privatdetektivin die Möglichkeit gäbe. Orte aufzusuchen und Dinge zu machen, die Polizisten nicht machen oder vom Gesetz her nicht machen dürfen. Sie sollte all ihre fünf Sinne so nutzen können, wie es nötig war, um Verbrechen aufzuklären. Eine solche Figur bot einem eine Menge Freiheiten."
Valerie Wilson Wesley hat sie gut genutzt und eine Frau geschaffen, die ziemlich realistisch wirkt, weil sie aus dem Leben gegriffen scheint. Tamara ist alleinerziehende Mutter. So wie viele schwarze Väter hat sich auch ihr Mann vor den Verantwortungen des Familienlebens gedrückt. In der Praxis bedeutet das: ständige Geldnot und ein schlechtes Gewissen, weil das Kind von seiner berufstätigen Mutter oft allein gelassen wird. Tamara muss jeden Cent umdrehen, weil sich ihre Detektei zwar durchaus einen guten Ruf erworben hat, aber nur wenig abwirft. Dem Sohn ein paar neue Basketballschuhe zu kaufen, wird zum echten Balanceakt. Tamara stammt aus dem Arbeitermilieu, ihre Klienten kommen aber vorwiegend aus der schwarzen Mittel- oder Oberschicht Newarks, also jener vorwiegend schwarzen Stadt, die New York gegenüber auf der anderen Seite des Hudson liegt. Valerie Wilson Wesley, die mit ihrem Mann, einem erfolgreichen Drehbuchautor, selbst zur Mittelschicht Newarks gehört, in einer freundlich-hellen Holzvilla mitten in einem schönen alten grünen Vorort wohnt, entwirft in ihren Büchern ein Bild des schwarzen Wohlstands, wie man es nur selten so anschaulich beschrieben findet. Insofern kommen ihre Krimis zumindest für deutsche Leser Erkundungen einer fremden Welt gleich, denn wenn man hierzulande etwas über die schwarze Bevölkerung in den USA erfahrt, dann eigentlich nur über die gewalttätigen Ghettoregionen, in denen Kids mit Drogen dealen und sich Jugendgangs Feuergefechte liefern. Valerie Wilson Wesley spart diesen Bereich nicht aus. Sie zeigt nur, dass es auch außerordentlich erfolgreiche Afro-Amerikaner gibt. Allerdings verdanken die ihren Aufstieg oftmals harten Kämpfen und genau dies ist eines der Themen, das sich durch all ihre Krimis zieht. Schon der deutsche Titel des sechsten Falls spielt darauf an: Auf dem Weg nach oben' ist die Geschichte einer sehr populären Radiomoderatorin, die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Als einer von Mandy Magics Bekannten ermordet wird und sie Drohbriefe erhält, bekommt sie es mit der Angst zu tun und heuert Tamara an. Die stößt bei ihrer Recherchen schon bald auf eine Mauer des Schweigens. Nicht nur ihre Klientin lässt sie bewusst im Ungewissen, auch deren Freundes- und Familienkreis will nicht so recht mit der Sprache rausrücken, obwohl die Bedrohung immer realer wird und schon bald ein zweites Opfer fordert:
"Ich wollte zeigen, wie sich eine Frau selbst neu erschafft - das fasziniert mich - und sie ist ungeheuer erfolgreich dabei. Aber natürlich hat jeder eine Vergangenheit und das ist interessant an Mandy und solchen Frauen, die es mit bloßer Willenskraft schaffen, sich zu ändern, die Art, wie sie sich anziehen, kleiden, reden. Aber es gibt immer etwas, was sie wieder einholen kann und das geschieht bei ihr und je mehr Tamara darüber erfährt, desto mehr wird enthüllt, desto mehr kann sie verstehen. Es ist ein sehr traurige Geschichte. Meine Bücher werden immer dunkler und trauriger. Je älter man wird, desto mehr begreift man, dass es keine einfachen Antworten gibt, nichts löst sich einfach auf. Leben hat seinen Preis und das macht einen manchmal traurig."
Die Vergangenheit, die Mandy einholt, erweist sich als höchst explosiv. Es { kommt zu einer dramatischen Endabrechung. Allerdings vermeidet Valerie Wilson Wesley auch diesmal, wie in all ihren anderen Krimis, exzessive Gewalt zu beschreiben. Sie gehört nicht zu jenen amerikanischen Thrillerautoren, die in Blut baden, sich an grausamen Folterszenen weiden, möglichst exotische Todesarten minutiös und detailliert beschreiben:
"Ich mag nichts Gewalttätiges lesen und es scheint, als ob sich Gewalt oftmals gegen junge Frauen richtet und als Mutter einer jungen Frau will ich nichts davon hören und finde es verstörend, solche Szenen zu lesen. Ich will sie nicht schreiben, spüre auch kein Bedürfnis, sie zu schreiben, außer es ist für den Plot unumgänglich, wie in "Easier to kill". Dann muss es da sein. Die Schlussszene ist die gewalttätigste, die ich jemals geschrieben habe und es hat keinen Spaß gemacht. Man muss es vor sich sehen, muss den Schrecken in jemandes Augen oder Gesicht beschreiben. Ich mag das als Schriftstellerin nicht. Man kann es auch anders lösen."
So besitzt Tamara als Privatdetektivin zwar eine Waffe, aber sie benutzt sie so gut wie nie, denn so wie ihre Erfinderin Valerie Wilson Wesley hält sie von Waffen gar nichts. Die Schriftstellerin setzt sich für eine Verschärfung der amerikanischen Waffengesetze ein, ist dafür sogar auf die Straße gegangen. So füllt sie ihre Krimis weder mit Waffenbeschreibungen noch Schusswechseln. Man vermisst nichts, denn sie versteht es auch so, spannende Geschichten zu erzählen. Und das liegt an der einfachen Tatsache, dass für Valerie Wilson Wesley die Krimis eigentlich nur eine Art von Vorwand sind, um über Menschen und deren Gefühle zu schreiben, über Wut und Elend, Glück und Enttäuschungen, Kaltherzigkeit und Großmut. Bei ihr ist der Krimi nur eine ungewohnte literarische Facette der Wiederspieglung menschlicher Schicksale.