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Auf dem Weg zum künstlichen Leben

Sie steht erst am Anfang ihrer Entwicklung: die synthetische Biologie. Deren erklärtes Ziel ist die Herstellung künstlicher Organismen, die dann wiederum in technische Prozesse eingebunden werden sollen. Das Ethik-Forum in Bonn beschäftigt sich mit den Auswirkungen.

Von Peter Leusch | 07.07.2011
    "Wir sind heute hier, um die Existenz der ersten synthetischen Zelle bekannt zu geben. Aus einem digitalen Code im Computer und vier Flaschen mit Chemikalien schufen wir das vollständige Erbmolekül. Wir habe es in eine Empfängerzelle verpflanzt. Und diese so in eine neue Bakterienart verwandelt."

    Es war ein Paukenschlag, als der amerikanische Genforscher Craig Venter am 20. Mai letzten Jahres der Welt verkündete, dass er im Labor das erste künstlich hergestellte Lebewesen geschaffen habe. Mit einem Schlag war auch die neue Wissenschaft - die synthetische Biologie über Fachkreise hinaus bekannt. Und Craig Venter ließ sich von der Presse als zweiter Schöpfer feiern. Doch in der Debatte, die seitdem geführt wird, widersprechen andere Vertreter des Fachs, zum Beispiel der Bielefelder Biotechnologe Alfred Pühler, der These, dass hier künstliches Leben geschaffen wurde.

    "An der Stelle kann man gut erklären, dass synthetische Biologie nichts mit künstlichem Leben zu tun hat… Was Craig Venter gemacht hat: er hat die Genom-Sequenz eines Organismus, die er vorher gekannt hat, die hat er genutzt, er hat also eine Million Bausteine der DNA in der richtigen Reihenfolge hintereinander aufgereiht, und zwar so wie er sie aus der Natur gelernt hat, er hat also das Wissen der Natur an dieser Stelle für sich genutzt, - erster Punkt, und zweiter Punkt nun: diese künstlich synthetisierte DNA … die hat er zum Leben erwecken können, in dem er wieder aus der Natur eine lebende Zelle genommen hat, und hat deren Chromosom durch das neue ersetzt."

    Streng genommen hat Craig Venter also kein wirklich neuartiges Lebewesen geschaffen, sondern ein existierendes Bakterium im Labor künstlich nachgebaut. Und dabei auch auf die Syntheseleistungen anderer Zellen, also auf die Mithilfe der Natur zurückgegriffen.

    Die synthetischen Organismen, die dabei entstehen, sind jedoch seltsame Zwitter zwischen Natur und Technik, living machines – lebende Maschinen werden sie von anderen Forschern genannt. So stellt sich hier in neuer Weise die alte philosophische Frage: Was ist Leben? Wie kann man Leben verstehen und wie soll man mit ihm umgehen?

    Dieter Sturma lehrt Philosophie an der Bonner Universität und leitet das vierte Ethik-Forum, das sich mit der synthetischen Biologie auseinandersetzt.

    "Die Frage ‚Was ist Leben?‘ ist bis heute nicht konsensfähig beantwortet worden. Es gibt eine ganze Reihe von Vorschlägen: Was man im Blick hat, wenn man von Leben redet, ist etwas wie Selbstorganisation, so etwas wie Reproduktion und man denkt natürlich an Evolution und Natürlichkeit. Und hier fangen die Probleme schon an, nämlich bei dem Begriff der Natürlichkeit, weil wir auf unterschiedliche Wiese auf die natürlichen Prozesse schon Einfluss genommen haben, und es in der Philosophie immer schwieriger wird zwischen Künstlichkeit und Natürlichkeit zu unterscheiden."

    Und die rasante Entwicklung der Biowissenschaften wird diese Unterscheidung künftig noch schwieriger machen, vielleicht sogar aufheben. Die mögliche Tragweite ihrer Forschung ist den meisten Biowissenschaftlern durchaus bewusst. Sie suchen selber den Austausch und die Diskussion mit Geistes- und Sozialwissenschaftlern. Und darin liegt eine besondere Chance, weil die synthetische Biologie ein junger Forschungszweig ist, der sich gerade erst aus der Gentechnologie herausentwickelt.

    Aber während die Gentechnologie sich an die existierende Natur hält, die sie in kleinen Eingriffen zu manipulieren versucht, verfolgt die synthetische Biologie ein radikaleres Konzept: Sie will keine partikuläre Abänderung, sondern eine systematische Herstellung, sie will das Leben von Grund auf neu konstruieren. Genauso so, wie der Ingenieur eine Brücke plant und baut.
    Alfred Pühler:

    "Dieser Forschungszweig ist jetzt nicht etwas total Neues, sondern das ist die konsequente logische Fortentwicklung der gesamten molekularen Forschung, die wir im Prinzip seit 50 Jahren in der Biologie betreiben. Die Neuigkeit - das ist jetzt der ingenieurwissenschaftliche Ansatz ist, dass man sich vorher am Reißbrett überlegt, was möchte ich gern haben. Welche Elemente muss ich zusammenbringen, kann das funktionieren, und wenn das der Fall ist, dann werde ich erst ins Labor gehen und werde diese Zelle bauen."

    Die Natur als Legobaukasten für Bioingenieure – dieses Bild ist durchaus realistisch. Denn heute boomen Biopatente und Datenbanken, die wie das amerikanische MIT - das Massachusetts Institut of Technology - so genannte Biobricks, Biobausteine sammeln und im wissenschaftlichen Austausch anbieten.

    Zumeist handelt es sich noch um Grundlagenforschung - und die nutzbringenden Anwendungen, mit denen die Wissenschaftler um Forschungsgelder werben - die Biosprit-Alge und das Erdöl fressende synthetische Bakterium sind noch Zukunftsmusik. Bereits gelungen und vor der pharmazeutischen Serienproduktion steht ein künstlich erzeugtes Anti-Malaria-Medikament.

    In praktischer Hinsicht scheint das Ingenieursparadigma der synthetischen Biologie erfolgreich, aber in philosophischer Hinsicht, kritisiert der Freiburger Ethiker Giovanni Maio, bezahlen wir dies mit einem technizistisch verkürzten, ja deformierten Bild des Lebens.

    Auch Dieter Sturma meldet Bedenken an:

    "Ich glaube auch nicht, dass vom ingenieurwissenschaftlichen Standpunkt beispielsweise Leben als solches begriffen werden kann, oder umfasst werden kann.
    Dazu kommt noch, dass wir im ingenieurwissenschaftlichen Standpunkt zwei Elemente haben, einerseits die Reduktion auf einfache Elemente und dann wieder der Aufbau aus diesen einfachen Elementen - das sehen wir bei der synthetischen Biologie auch - und da muss man eben auch Fragen stellen im Hinblick auf diese Abstraktionsprozesse. Denn wenn ich etwas in kleine Teile zerlege, habe ich natürlich auch nicht mehr die ganzen Wirklichkeiten oder Kontexte im Blick - und das heißt in ethischer Hinsicht: ich muss die Kontexte bedenken."

    Auf diese Kontexte und Folgen biowissenschaftlicher Eingriffe könnte ein anderes unverkürztes Bild des Lebens besser vorbereiten: Der Philosoph Hans Jonas hat vor 25 Jahren im Blick auf die damals aufkommende Gentechnologie Unterschiede zwischen dem Lebendigen und der unbelebten Natur herausgearbeitet. Es sei etwas anderes, wenn der Ingenieur eine Brücke baut und dabei über unbelebte Materie verfügt, als wenn ein Biotechnologe ins Leben eingreift. Denn das organische Leben sei durch Komplexität, durch Selbstorganisation und eine Eigendynamik gekennzeichnet, mit der es sich partiell der Kontrolle des Menschen entzieht, insbesondere in seinen Folgen: Das Leben stellt sich selber her.
    Die Eigendynamik des Lebendigen zu unterschätzen ist aber nicht nur ethisch kritikwürdig, sondern auch höchst bedenklich hinsichtlich der praktischen Anwendung von Wissenschaft:

    Denn wenn der Mensch Leben designt, die Natur aber in eigensinniger Weise mitspinnt, weiß niemand was auf lange Sicht evolutionär herauskommt.

    In den Fokus von Politik und Öffentlichkeit hat es bislang nur der Aspekt Biosicherheit geschafft, die Sorge, dass Designermikroben aus den Labors entweichen und womöglich den natürlichen Genpool kontaminieren könnten. Zum Schutz der – in Anführungsstrichen – alten Natur haben die Biowissenschaftler selber ein Konzept entwickelt.

    "Dieses Konzept sieht so aus, dass man von bestimmten Produktionsorganismen so genannte minimale Genome entwickelt. Da sind all die Eigenschaften heraus genommen, die ein solcher Organismus braucht, um in der freien Natur überleben zu können. Denn dort muss er zum Beispiel auf viele Stresssituationen richtig reagieren können. D.h. zu hohe Temperatur, Fehlen von Nahrungsstoffen und sonstige Umgebungsparameter, die sonst nicht passen. Wenn ein solcher Organismus ausbrechen würde, durch Versehen oder einen Unfall in die Umwelt gelangen würde, hätte er keine Chance sich zu vermehren, also man kann mit synthetische Biologie in Richtung biosafety eigentlich verhältnismäßig viel machen."

    Die synthetische Biologie will die neuen Mikroorganismen so schwach konstruieren, dass sie außerhalb des Labors nicht überleben können. Doch das ist nur eine technische Antwort aus der Ingenieursperspektive, die die Dynamik und Spontaneität des Lebens unterschätzen könnte.

    Noch steckt die synthetische Biologie in den Kinderschuhen. Noch es geht es nur um primitive Organismen, um Bakterien und Algen im Labor, aber die Entwicklung ist rasant. Manche Frage, wie die nach dem Existenzrecht und den möglichen Schutzansprüchen von teilkünstlichen Lebewesen ist noch gar nicht gestellt, geschweige denn diskutiert.

    Ein interdisziplinärer Dialog in dieser frühen Phase bietet jedoch eine große Chance. Die lange Debatte um die Stammzellforschung hat gezeigt, so Dieter Sturma, dass ethische Argumente keineswegs ohnmächtig sind, sondern auch Wissenschaften auf alternative Wege lenken können, die ethisch weniger belastend sind.