Dienstag, 23. April 2024

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Auf den Spuren der Dichter
Brigitte Reimanns in Hoyerswerda

Von Mirko Schwanitz | 21.08.2014
    "Ich begrüße Sie herzlich zum Brigitte-Reimann-Spaziergang durch Hoyerswerda. Wir stehen hier an der Stelle, an der Brigitte Reimann am 6. Januar 1960 nach Hoyerswerda kam und hier eingezogen ist."
    Wir sind Sachsen. Martin Schmidt vom hiesigen Kunstverein führt eine Gruppe Besucher auf den Spuren der Schriftstellerin Brigitte Reimann durch seine Stadt. Vor genau 40 Jahren erschien Reimanns Roman "Franziska Linkerhand", der zu den wichtigsten Werken der DDR-Literatur zählt.
    "Brigitte Reimann wohnte da oben unter der Regenrinne, zwischen den beiden Fallrohren - von uns aus das erste Fenster, das war ihr Zimmer, aus dem sie rausgeguckt hat."
    Zu ihren Füßen erstreckte sich ein 200 Schritt langer Anger zwischen Häuserblöcken. Die Lampen schütteten aus ihren platten Eidechsenköpfen eine Flut von kaltem Licht. Filmlicht, das alles Kantige überbetonte und eine künstliche Welt schuf, eine Atelierstraße mitten durch das ungeheuer vergrößerte Modell eine Stadt aus Gips, Leim und Pappmaché.
    Der Roman "Franziska Linkerhand" thematisierte globale Diskussionen von heute, stellte etwa die Frage, wie eine menschenwürdige Stadt aussehen müsse. Wie aktuell das Thema ist, spürt auch der Hoyerwerdaer Kunstverein. Immer öfter sind Besucher aus den USA, aus Japan, China oder Holland Gäste der Brigitte-Reimann-Spaziergänge. Martin Schmidt führt sie mit "Franziska Linkerhand" auch durch ein lebendiges Kapitel internationaler Architekturgeschichte.
    "Jede Wohnung hatte ein eigenes Badezimmer mit fließend warmem und kaltem Wasser, hatte ´ne Fernheizung - es war in diesem Sinne die modernste Stadt der Welt."
    Eine Art Laboratorium
    Hoyerswerda-Neustadt, Baubeginn 1955, war vor allem die erste in Plattenbauweise errichtete Stadt weltweit. Für Brigitte Reimann, wurde sie am Ende gleichzeitig zu einer Art Laboratorium, in dem sie wie unter einer Lupe das Scheitern der sozialistischen Idee beobachtete.
    "Da hatten die Betriebsleitungen ja die Auflage gekriegt, den Künstlern Möglichkeiten zu geben, die Arbeit kennenzulernen, mit den Arbeitern zu leben. Bloß als 1964 rauskam, dass dadurch auch eine kritische Sicht auf die Wirklichkeit rauskam, wurde diese Sache abgebrochen."
    Acht Jahre lang arbeitete Brigitte Reimann hier als Hilfsschlosserin, leitete Zirkel "Schreibender Arbeiter". Zugleich aber nutzte sie ihre Prominenz, öffentlich Kritik zu üben. In einer Brandrede hielt sie der Partei- und Staatsführung öffentlich vor, das es unwürdig sei, für 65 000 Arbeiter zwar Wohnungen, aber kein Kino, kein Kaufhaus, ja nicht einmal ein Jugendklubhaus zu bauen. Auf diese Weise, auch das erfahren die Besucher der Reimann-Spaziergänge, hat die Autorin das Bild der Stadt entscheidend mitgeprägt.
    "Es ist sofort dann begonnen worden, ein Jugendklubhaus zu bauen. Und dieses Jugendklubhaus wird heute noch benutzt. Dann hat sie gesagt, es gibt kein Kaufhaus und dann gab es einen Riesenkrach und dann wurde dieses Kaufhaus als erster Kaufhausneubau der DDR überhaupt hier errichtet."
    Rufmord vertrieb sie
    Einigen Provinzfürsten schmeckte der Einfluss und die Einmischung der Autorin gar nicht. Es war ihr Rufmord, der Brigitte Reimann am Ende aus Hoyerswerda vertrieb. Im "Franziska Linkerhand" kulminiert das alles. Am Ende schuf Reimann mit ihrem Roman auch ein großartiges Psychogramm scheiternder Ideale, meint Angela Potowski, die auf den Spaziergängen mit Hingabe Texte von Brigitte Reimann liest.
    "Ich hab sie als Schülerin selbst gelesen und bin immer wieder begeistert davon, wie sie Dinge vorausgesehen hat, die heute passieren. Also wenn die Rede ist von Hoyerswerda, einer Geisterstadt, die entvölkert wird, weil die Kohle geht zurück. Dann ist es das, woran wir jetzt kranken."
    Mehr als 30 000 Einwohner hat die Stadt seit der Wende verloren. Nicht verloren hat sie das Erbe einer bedeutenden deutschen Schriftstellerin. Daran wollen die Spaziergänge des Hoyerswerdaer Kunstvereins erinnern. Und daran, dass dieses Erbe aus viel mehr, als nur aus Worten besteht.