Archiv


Auf den Spuren der großen Meister

Die englische Künstlerin Cecily Brown gilt als Expertin für erotische Posen. Ihre Kunst ist zwar als nicht so skandalträchtig wie die von Tracy Emin, aber doch zuweilen tauglicher Gesprächsstoff für Stehpartys. Die Hamburger Deichtorhallen zeigen nun erstmals in Deutschland eine größere Ausstellung mit Werken von Brown.

Von Carsten Probst |
    Die spontane Wirkung der Bilder von Cecily Brown täuscht, denn auf den ersten Blick sehen sie aus wie virtuose Kabinettstückchen: Man kommt nicht ganz dahinter, ob sie mehr wollen als schnelle Bewunderung. Viele großformatige Leinwände sind darunter, auf denen sich Figuren miteinander verschränken, verwischen, dann ganz in einem filigranen Wirbel aus Farben und schwer zu entziffernden Formen untertauchen. Dieses ständige Verwirbeln und Vermischen, das Auflösen von Körpern und Formen und ihr Wiederauftauchenlassen nimmt bisweilen regelrecht dramatische Züge an. Mitunter wirkt es, als wollte die Künstlerin eine Rettung für jenen fleischlichen Eros inszenieren, den ein Francis Bacon einst zwischen Schweinehälften und klaffenden Wunden versenkt hat. In manchen ihrer Malereien scheint Cecily Brown jedenfalls das Verschmelzen und Vermengen von Körpern ganz sexuell wörtlich zu nehmen, indem sie relativ explizite Liebesakte zeigt, die sich - anders als bei Bacon - zwischen heterosexuellen Paaren abspielen.

    Die kolportierten Pressefotografien der Künstlerin mit leicht geöffnetem Kussmund, die vom Boulevard prompt als "sexy" beurteilt wurden, haben ein Magazin wie den "stern" darin beflügelt, Browns Arbeiten pauschal als "Fickbilder" einzuordnen, was bei den journalistischen Enkeln Henri Nannens vermutlich durchaus anerkennend gemeint ist, aber doch den Punkt verfehlt. Es ist Cecily Brown zuzutrauen, dass sie mit allen Wassern gewaschen ist und genau solche Reaktion aus der Welt der schnellen Medien als Teil ihrer Malerei provozieren möchte.

    Ihr Arbeitsstil jedenfalls ist alles andere als virtuos und "sexy". Sie malt weder schnell noch heftig, ihre Motive entnimmt sie weder dem prallen Leben noch der Selbstbeobachtung bei der Kopulation, sondern der europäischen Kunstgeschichte und hier insbesondere der Grafik des 18. Jahrhunderts. Ihr Bilder entstehen langsam wie ein intellektuelles Puzzlespiel der Bildformeln und Motive, und die Entscheidung über die Betonung figürlicher oder abstrakter Formen fällt zumeist erst kurz vor dem Ende eines monate-, mitunter jahrelangen Arbeitsprozesses. In ihrer Sorgfalt übertrifft sie mithin noch so manchen Fotorealisten. Ihre Gemälde gleichen eher Vexierbildern, die man lange auf sich wirken lassen muss, um tiefer zu dringen und dem verwirrenden, chaotischen Spiel, das sie treiben, zu folgen.

    Man könnte vereinfachend von einer enzyklopädischen Malerei sprechen, die kühl recherchiert und zusammenträgt, die eher widerspiegelt, als durch ihre Handschrift etwas ausdrückt.

    Robert Fleck, der scheidende Direktor der Hamburger Deichtorhallen, scheint die Doppelausstellung von Cecily Brown und dem Osterreicher Herbert Brandl gar als eine Art Manifest für eine Malerei des 21. Jahrhunderts zu verstehen.

    "Das vorige Jahrhundert war dominiert von der modernen Kunst, von dem Vokabular, das zunächst die klassische Moderne ausgeprägt hat, das in einer sehr mutigen und radikalen Ablösung vom 19. Jahrhundert stattgefunden hat. Und dieses Vokabular wurde dann auch noch mal aufgelöst oder erweitert durch die Avantgardekunst der 60er-, 70er-Jahre und eklektisch verformt in der Postmoderne der 80er- und ein bisschen der 90er-Jahre. Und vielleicht stehen wir aber auch wieder vor der Aufgabe, uns vom vorigen Jahrhundert abzulösen mit dem gleichen Mut, den die Erfinder der klassischen Moderne hatten. Und so etwas wie eine Ablösung vom vorigen Jahrhundert spürt man hier in beiden Ausstellungen, und es ist eigentlich doch eine zentrale Fragestellung der Malerei heute."

    Fraglich, ob diese beiden Künstler derart monumentale Ambitionen des Ausstellungsmachers einlösen können. Fraglich auch, ob die künstlerische Abnabelung des 21. vom 20.Jahrhundert sich ausgerechnet in der Malerei manifestieren muss. Der Bezug zur klassischen Moderne spielt bei Cecily Brown vielleicht eine subtilere Rolle als bei Herbert Brandl. Brandl, der 1992 von Jan Hoet für die documenta 9 als eine Art Vorprogramm für Gerhard Richter entdeckt wurde, arbeitet mit großflächigen Farbverwischungen, die aus flüchtig betrachteten Fotografien hervorgehen und aus denen sich durchaus gefällige Landschaftsmotive herausbilden. Sie rufen durchaus eine noch erkennbare Moderne zwischen Nolde und Soulages wach. Um von einem Aufbruch in eine neue Zeit, von einer neuen Malerei zu sprechen, sind beider Werke zu zitatverliebt.