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Auf den Spuren des Verbrechens

Die Hauptstadt Schottlands birgt viele Geheimnisse. Umgeben von dicken Mauern, bauten ihre Bewohner ihre Häuser einfach in die Tiefe. Und es gibt noch mehr zu entdecken, denn Edinburgh ist eine wahre "Mördergrube".

Von Jutta Schwengsbier |
    Der kleine Folkclub Royal Oak mitten im Zentrum Edinburghs ist kaum sechs mal sieben Meter lang. An der Theke stehen einige Stammgäste mit einem Glas Guiness in der Hand. Alle Sitzplätze sind von Musikern besetzt, die hier jeden Abend live spielen. Doch obwohl der Royal Oak äußerlich eher unscheinbar ist, durch den Schriftstellers Ian Rankin ist der Pub weltberühmt.

    "Ian Rankin ist Schottlands Kriminalautor Nummer Eins. Alle seine Romane spielen in Edinburgh. Der Charakter seines Polizei-Inspektors, er heißt Rebus, dieser Inspektor Rebus geht immer im Pub Royal Oak einen trinken. Genauso wie Ranking selbst übrigens auch."

    Es ist kein Zufall, erzählt Allan Foster, dass in Edinburgh so viele Kriminalromane und Gruselgeschichten entstanden sind, Wie in einer Zeitreise führt der Autor einiger Bücher über die Literaturszene seiner Heimatstadt Edinburgh durch die Pubs der Stadt und durch ihre Unterwelt.

    "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" von Robert Louis Stevenson ist eigentlich ein Porträt des Dandys und Serienmörders Deacon Brody. Genauso basieren viele andere bekannte Kriminal- und Fantasyfiguren auf früher in Edinburgh lebenden Personen. Und auf realen historischen Ereignissen.

    "Hier hatte in den 1820er-Jahren eine Schule für Medizin gestanden. Edinburgh war schon immer einer der besten Plätze in der Welt, um Medizin zu studieren. Damals war es schwer für Medizinschulen Körper zum sezieren zu erhalten. Deshalb zahlten sie illegal für Körper."

    Das Kopfgeld der Medizinschule für Leichen, das rund ein Viertel eines Jahresgehaltes betrug, stiftete einige Banden in Edinburgh zum Grabraub an. Andere sogar zum Mord. Seine berühmte Horrorgeschichte "Die Körperräuber", die später unter anderem mit Boris Karlow als Hauptdarsteller verfilmt wurde, entwickelte Robert Louis Stevenson anhand eines realen Kriminalfalls in Edinburgh.

    "Zwei Iren kamen 1820 nach Edinburgh. William Burke und William Hare. Sie zogen los in den Untergrund von Edinburgh, um Leute zu finden, die niemand vermisst. Prostituierte. Betrunkene. In einer dunklen Straße würde dir einer auf der Brust sitzen und der andere würde Nase und Mund zuhalten. Ein schneller Tod. Ohne Spuren zu hinterlassen. Weil sie keine Körper mit Verletzungen nahmen."

    Der sagenumwobene Untergrund von Edinburgh, er liegt mitten im Zentrum der Altstadt. Immer entlang der Highstreet, vorbei an Dudelsackpfeifern und den zahllosen Touristengeschäften mit Schafwollpulovern und karierten Schottenröcken. Hier liegt der Eingang zu einem wahrhaft schottischen Hades. Einer Stadt unter der Stadt, die heute Museum ist. Die klaustrophobische Enge Edinburghs innerhalb hoher Stadtmauern hatte dazu geführt, dass Häuser nicht nur zehn Stockwerke in den Himmel, sondern auch bis zu vier Stockwerke in die Erde hinein "wuchsen". Während oben wohlhabende Bürger wohnten, lebten die Armen unter der Erde. In einer Welt voller Krankheiten und Seuchen. In Angst und Kriminalität.

    "Erinnern Sie sich an die gruseligen Kulissen in Filmen wie 'Jack the Ripper‘", fragt Allan Foster. "Diese Kulissen sind erfunden und real zugleich". Nicht zufällig ähnelt auch die Winkelgasse in "Harry Potters" berühmter Zauberstadt der heute noch existierenden Untergrundstadt. Auch Joanne K. Rowling ließ sich von Edinburgh inspirieren:

    "Wenn Sie "Harry Potter" gelesen haben, dann kennen Sie sicher einen Charakter mit dem Namen Professor McGonagall. Sie kann sich in eine Katze verwandeln. Rowlings schrieb in diesem Kaffee hier ihr Buch "Harry Potter" und dort drüben starb der schottische Poet William McGonagall. Daher hat sie den Namen. William McGonagall ist ein berühmter Poet. Aber er ist berühmt als der schlechteste Poet Schottlands. Mitte des 18. Jahrhunderts rezitierte er in den Pubs hier seine Poesie. Er hatte immer einen Schirm dabei, um die Geschosse abzuwehren, die Leute ihm an den Kopf warfen."

    In den Kaffees und Kneipen Edinburghs sind nicht nur einige der berühmtesten Verbrecher- und Zaubergeschichten entstanden. Auch die berühmteste Detektivfigur der Welt hatte an der medizinischen Fakultät von Edinburgh ein scharfsinniges Vorbild, das treffsicher jedes Rätsel zu lösen wusste:

    "Wo wir jetzt stehen ist tatsächlich der Geburtsort der zwei berühmtesten Fiction Charaktere, Dr. Watson und Sherlock Holmes. Hier studierte Arthur Conan Doyle Medizin. Das war um 1880. Hier traf Conan Doyle den Mann, der ihn zu Sherlock Holmes inspirierte: Seinen Lehrer Dr. Joseph Bell."

    Mit der Pfeife im Mund und der Mütze auf dem Kopf sieht Joseph Bell auf alten Fotografien genau so aus, wie der Romanautor Conon Doyle später die Gestalt des weltberühmten Detektivs beschrieben hat. Zudem stimmen wesentliche Eigenschaften der Kunstfigur Sherlock Holmes mit dem realen Charakter von Joseph Bell überein, erzählt Allan Foster mit verschmitztem Blick

    " Er nahm ein Glas mit Katzenpisse und sagte: "Gentlemen wir könnten diese Flüssigkeit ganz leicht chemisch testen. Aber ich möchte, dass Sie Ihre Beobachtungsgabe benutzen, Ihren Geschmacks- und Geruchssinn, um mir zu sagen was das ist. Aber ich würde nichts von Ihnen verlangen, was ich nicht auch tue. Also werde ich riechen und schmecken." Dann ließ er das Glas kreisen. Alle im Hörsaal wurden grün im Gesicht und mussten fast brechen. Dann sagte Bell, "Nun meine Herrn: Ich bin enttäuscht von Ihnen. Sie sehen alles, aber Sie beobachten nichts." Diesen Text sagt Sherlock Holmes später auch immer."

    Joseph Bell hatte den Mittelfinger in die Flüssigkeit gesteckt aber seinen Ringfinger abgeleckt. Der Arzt von Queen Victoria galt als Meister der medizinischen Diagnostik und stachelte seine Studenten vor allem zur präzisen Beobachtung an. Eine Eigenschaft, die Conon Doyle später in seiner Figur des Sherlock Holmes perfektionierte.

    Dass Edinburgh zur ersten UNESCO-Literaturstadt geadelt wurde, so Allan Foster, verdanke sie jenem Pfuhl unterirdischer Verbrechen, aus dem schottische Schriftsteller bis in die heutige Zeit immer wieder Inspiration für ihre Kriminal- und Fantasyromane schöpfen. Damit ist Edinburgh wohl auch eine der wenigen Städte der Welt, die stolz auf Geschichten über ihre Mördergesellen ist. Und deren Pubs mit Gehenkten und anderen Spitzbuben um Kundschaft werben."