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Auf den Spuren Tizians

Tizian malte Caterina. Die üppige Dame war Haushaltshilfe bei seinem Freund, dem Maler Pietro Aretino. Das lange Zeit verschollene Porträt gilt als eines der Meisterwerke Tizians und befindet sich in einer italienischen Privatsammlung. In Pieve di Cadore kann es jetzt endlich wieder besichtigt werden.

Von Thomas Migge | 24.11.2007
    Ihr Name ist Caterina Sandella. Ihre Kleidung elegant, der Gesichtsausdruck selbstbewusst. Caterina war die Geliebte von Pietro Aretino, dem vielleicht angesehensten italienischen Schriftsteller des 16. Jahrhunderts. Die üppige Dame trat 1528 als Haushaltshilfe in den Dienst von Aretino. Schließlich wurde sie die Mutter seiner beiden Söhne. Tiziano Vecellio kannte sie gut, denn Aretino war einer der besten Freunde des Malers. Tizian malte Caterina.

    Seit 1929 galt das Porträt als verschollen. Zum letzten Mal sah man es in Berlin. Damals wurde es Paris Bordone zugeschrieben. Heute gilt es als eines der Meisterwerke Tizians und befindet sich in einer italienischen Privatsammlung. In Pieve di Cadore kann es jetzt endlich wieder besichtigt werden. Bis zum 6. Januar, bis zum Ende einer großen Ausstellung zum Spätwerk Tizians, deren Kurator der Kunsthistoriker Lionello Puppi ist:

    "Es handelt sich um eine künstlerische Phase Tizians, die hoch interessant ist und mehr Beachtung verdient. Tizian reflektiert in seinen letzten Jahren sein Schaffen und bietet neue künstlerische Lösungen an. Eine Reflexion, die nicht nur die Ölbilder betrifft, sondern sein gesamtes Schaffen"."

    Tizians Reflexion begann mit Tod seiner Freunde: 1556 Aretino, sein Freund, sein Agent und sein Förderer. 1558 starb Kaiser Karl V., mit dem ihn eine Beziehung verband, die nicht nur die eines Herrschers und seines Künstlers war, sondern die zweier Männer, die sich verstanden. Ein Jahr später starb auch Francesco, Tizians Bruder, der ihm sehr nahe stand. Durch den Verlust geliebter Menschen und durch sein Alter wird eine Art innere Unruhe Tizians indirektes Bildthema. Auch die politischen Spannungen in ganz Europa zu Beginn der Gegenreformation trugen dazu bei .
    Lionello Puppi:

    ""Während dieser späten Lebensphase organisiert Tizian, trotz seines hohen Alters, er wurde zwischen 1480 und 1490 geboren, das genaue Datum ist unbekannt, sein Atelier ganz neu. Er band seinen Sohn Orazio und andere Personen in seine Arbeit ein. Darunter auch den deutschen Maler Emmanuel Amberger, aus Augsburg"."

    Die Ausstellung mit dem Titel "Tizian - Der letzte Akt" wird in Belluno und in verschiedenen Ortschaften des Bellunese gezeigt, an Orten, die für Tizians Alter wichtig waren. Anders als in der zeitgleich stattfindenden Wiener Tizian-Ausstellung steht hier nicht allein der Werkprozess, sondern auch der Künstler als Mensch seiner Zeit im Mittelpunkt des Interesses. Der Hauptteil der 100 Gemälde ist im Palazzo Crepadona in Belluno zu sehen. Die Kuratoren konnten den schweizer Architekten Mario Botta, einen erklärten Tizianverehrer, dafür gewinnen, die Bilder so anzuordnen - unter anderem in einem eigens von dem Baumeister entworfenen Pavillon - dass sie vor allem durch natürliches Licht erhellt werden. Bottas Aufgabe war es auch, die "Bottega", Tizians letztes Atelier zu rekonstruieren - mit Malerwerkzeugen, alten Möbeln, Büchern, Vasen etc. Diese Bottega ist zum Verständnis des alten Tizian wichtig. Er war nicht nur Maler, sondern auch ein gewiefter Geschäftsmann. Nicht nur mit seiner Kunst, sondern auch mit dem Holzhandel verdiente er viel Geld.

    Tizians Malerei war sein Leben lang wesentlich durch zwei Elemente bestimmt: Licht und Farben. Wie beim späte n Rembrandt und de m alte n Goya besticht auch Tizians Spätwerk weniger durch eine intensive Raumtiefe und bewusste Rundungen des menschlichen Körpers - Elemente die das frühere Werk bestimmt haben. Der alte Künstler nutzt breite Pinsel, mit denen die Form aus Tiefe herausmodelliert wird.
    Lionello Puppi:

    ""Das ist sehr wichtig im Unterschied zum jüngeren Tizian. Der alte Maler strich nicht selten bis zu 30 übereinander liegende Farbschichten auf die Leinwand. Auf Bildnissen verzichtete er zunehmend auf jegliches Beiwerk. Er wollte nur die Gesichter sprechen lassen, wie auf dem Spätwerk "Mann mit Flöte". Tizian beschäftigte sich mit der, wie er sie nannte, Ausstrahlung der Seele. Diese Sujets interessierten uns bei unsere Recherche nach dem alten Tizian"

    In der zweiten Hälfte der 60er Jahre des 16. Jahrhunderts, mit über 70 Jahren, ein biblisches Alter in jener Epoche, wurde Tizians Palette noch einmal farbiger. Oft dominierte ein kräftiges Lapislazuli seine Gemälde. "Der Sündenfall" und die "Schindung des Marsyas" sind die besten Beispiele für die "blaue Periode". In seinen letzten Lebensjahren verschwand dieses Blau. Ein goldener Gesamtton bestimmte fortan seine Bilder - wie auf dem Gemälde "Maria mit Kind" aus London. Dieses reiche in Belluno und im Bellunese zu besichtigende Spätwerk teilte das Schicksal der späten Werke Goyas und Rembrandts: von seinen Zeitgenossen wurde er nicht mehr verstanden, nicht mehr geschätzt und schließlich vergessen.