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Auf den Spuren von Joseph Grimaldi
Der berühmteste Clown Englands

Der 31. Mai 1837 starb Joseph Grimaldi - der Tag ist ein trauriger Tag für einen fröhlichen Berufszweig. Denn Grimaldi ist der berühmteste Clown Englands. Jedes Jahr treffen sich Clowns zum Gedenkgottesdienst. Während seiner erstaunlichen Karriere bescherte Grimaldi dem Londoner Theaterpublikum hysterische Lachanfälle – obwohl sein Leben viele tragische Wendungen nahm.

Von Jennifer Rieger | 22.05.2016
    Gedenkgottesdienst für Joseph Grimaldi am 07. Februar 2016 in London.
    Gedenkgottesdienst für Joseph Grimaldi am 07. Februar 2016 in London. (picture alliance / dpa / EPA)
    Vor der All Saints Church in Haggerston im Osten Londons hat sich an diesem Sonntagnachmittag eine kleine Menschentraube gebildet. Die Stimmung ist weniger förmlich als bei den meisten Gottesdiensten – und die Sonntagsanzüge sind deutlich bunter. Auf dem Gehweg balanciert ein Mann in grün-rot-blau-gelbem Frack auf einem großen roten Ball. Ein weiterer in Melone und Union-Jack-Jacke bedient die Drehorgel und jemand führt ein Bügeleisen an der Leine spazieren. Überall sieht man karierte Anzüge, große Schuhe und rote Nasen. Denn in der Kirche findet heute der Gedenkgottesdienst der britischen Clowns statt. Jedes Jahr kommen Clowns und Schaulustige zusammen, um Joseph Grimaldis zu gedenken. Er lebte von 1778 bis 1837 in London:
    "Joseph Grimaldi ist der Vater der modernen Clowns, die gab es nämlich schon vor Grimaldi. Charles Dickens hat Grimaldis Biografie redigiert. Grimaldi hatte sie selbst geschrieben, aber sein Schreibstil war nicht sehr gut. Grimaldi war eine Berühmtheit! Deshalb treffen wir uns heute in dieser Kirche, feiern sein Leben und bedanken uns dafür, dass er die Clowns ins Vereinigte Königreich gebracht hat."
    Smartii Pants, der Clown, steht zwischen den oberen Sitzreihen und weist die Besucher auf ihre Plätze. Er kommt aus Schottland, trägt einen übergroßen braunkarierten Anzug, einen violetten Hut und dezentes Make-up: Mund und Augen sind weiß akzentuiert, dazu eine knubbelige rote Nase und ein paar Sommersprossen.
    Langsam werden auch auf der Galerie die Sitzplätze knapp, der schottische Clown muss sich wieder seiner Aufgabe als Platzanweiser widmen. Die ersten Gottesdienste zu Grimaldis Ehren fanden ein paar Meilen weiter westlich statt, in Islington.
    "Wir sind an diesem wunderschönen sonnigen Morgen im Grimaldi Park an der Pentonville Road, gleich um die Ecke vom Bahnhof King's Cross. Dies ist der Ort, wo Grimaldi ruht. Er hat in diesem Bezirk gelebt, geboren wurde er zwei Straßen in diese Richtung."
    Im Park, gleich neben Grimaldis Grab treffe ich Mattie Faint. Er ist Mitorganisator des Clown-Gottesdienstes und Kurator eines kleinen Clownmuseums im Osten Londons.
    "Und seit 45 Jahren Clown. Was erstaunlich ist, denn ich bin erst 27."
    Mattie ist offensichtlich keine 27 mehr, er hat bereits eine lange Karriere als Clown hinter sich. 20 Jahre lang hat er in Krankenhäusern gearbeitet, als Clown Doctor:
    "Man hilft den Menschen bei schmerzlichen Verlusten, Eltern weinen an deiner Schulter. Man muss sehr freundlich sein, sehr zugänglich: Hallo, wie geht's, schön dich zu sehen! Es ist ein harter Job - und man kann nicht so tun als ob. Das Publikum ist so nah dran."
    Grimaldi sprach erwachsenes Publikum an
    Auch, wenn Clowns heutzutage als Unterhalter für Kinder angesehen werden, waren Grimaldis Stücke eindeutig für ein erwachsenes Publikum gedacht. Seine Bühnenkarriere begann sehr früh. Als Joseph zweieinhalb Jahre alt war, nahm ihn sein Vater zum ersten Mal mit auf die Bühne. Giuseppe Grimaldi war Ballettmeister im Sadler's Wells Theater in Islington – und berüchtigt für seine extremen Methoden:
    "Sein Vater war ein bisschen sadistisch. Wenn sich die Kinder bei den Proben nicht benommen haben, hat er sie in Käfige gesteckt, die über der Bühne baumelten. Einmal hat er seinem Sohn ein Affenkostüm angezogen und ihn an einem Seil im Kreis geschwungen. Das Seil ist gerissen, Joseph flog ins Publikum und landete auf dem Schoß eines Zuschauers."
    Joseph – oder Joey, wie ihn das Publikum bald liebevoll nannte – entpuppte sich als begnadeter Bühnenkünstler. Schon ab seinem dritten Lebensjahr spielte er regelmäßig im berühmten Drury Lane Theater in Covent Garden und im Sadler's Wells, das auch heute noch auf dem gleichen Fleck steht.
    "Mit 28 hatte er dann seinen großen Durchbruch mit dem Stück "Mutter Gans” im Drury Lane Theater. Die Produktion hat 20.000 Pfund eingespielt - nach heutigen Standards wären das etwa zwei Millionen!"
    "Mutter Gans" war eine Pantomime, eine populäre Theaterform, die in Großbritannien noch heute traditionell zur Weihnachtszeit aufgeführt wird. Grimaldi hat die Pantomimes nachhaltig beeinflusst. Er animierte das Publikum zum Mitsingen und seine Stücke steckten voller Slapstick-Humor, oft wurden aufwendige Bühnentricks angewendet.
    Der Gedenkgottesdienst beginnt mit dem Einmarsch der Clowns. Mattie Faint geht voraus, er trägt ein Banner mit der Aufschrift "Fools für Christ", Narren für Christus. Und auch die Gebete haben eine gewisse clowneske Note:
    "Herr, vergib uns für die Zeiten, als wir unseren Sinn für Humor verloren haben. Vergib uns, wenn wir über andere gelacht haben statt mit ihnen."
    Wie jedes Jahr gibt es auch bei diesem Gottesdienst einen Clown, der die Rolle Grimaldis spielt. In weißem Kostüm mit blauen und roten Rauten und Halskrause singt er "Hot Codlins", eine Originalkomposition Grimaldis. Wie Grimaldi damals ist er komplett weiß geschminkt und trägt einen roten Hahnenkamm auf dem Kopf, auf den Wangen je ein rotes Dreieck. Auch das gehörte zu Grimaldis Errungenschaften. Er entwickelte das typische weiße Clown-Make-up – ein Weiß, das kein Blei enthielt und so etliche Clowns nach ihm davor bewahrte, sich langsam zu vergiften.
    Fas an jeder Straßenecke eine Referenz
    In Islington stolpert man fast an jeder Straßenecke über Referenzen an den berühmten Clown. Es gibt einen Pub namens "The Joker", ein Infokasten an der Außenwand des Sadler's Wells Theaters erinnert an Grimaldis Bühnenkarriere und im Museum des Stadtviertels steht eine kleine Grimaldi-Statuette in einem Glaskasten – ein Fanartikel aus dem 19. Jahrhundert.
    Mattie Faint und ich laufen die Amwell Street hinunter. Die gesamte Straße steht unter Schutz und die Gebäude haben weitestgehend ihren alten Charme erhalten. Wir laufen an einem ehemaligen Postamt vorbei, an einem früheren Milchgeschäft und an einer altertümlichen Apotheke. Wie, um die Atmosphäre der Straße zu unterstreichen, kommen uns zwei Reiter entgegen.
    Etwa zehn Minuten Fußmarsch vom Grimaldi Park entfernt liegt Exmouth Market, wo der Clown von 1818 bis 1828 lebte. Exmouth Market ist eine belebte Straße voller kleiner Läden und Cafés.
    "Hier hat Grimaldi gelebt, als er im Sadler's Wells Theater gearbeitet hat. Er hat sich dann zur Ruhe gesetzt, sein letzter richtiger Auftritt war 1823. Das hier ist sein Haus mit seiner Gedenkplakette."
    Trotz seines großen Erfolgs und seines komödiantischen Genies war Grimaldis Privatleben von Tragödien geprägt. Als Grimaldi 21 Jahre alt war, starben seine erste Frau und das gemeinsame Kind im Wochenbett. Und die akrobatischen Showeinlagen forderten ihren Tribut an seiner Gesundheit:
    "Grimaldi hatte eine Menge Probleme: Seine zweite Frau starb und sein Sohn aus zweiter Ehe ist dann auch gestorben, er hatte ein Alkoholproblem. Es gibt eine sehr traurige Geschichte von einem Arztbesuch, kurz bevor Grimaldi sich zur Ruhe setzte. Er war sehr athletisch auf der Bühne, dabei ist er oft gestürzt und hat sich verletzt – wahrscheinlich hatte er sehr starke Schmerzen, Rheuma, gebrochene Knochen ... Außerdem hatte er Depressionen, deswegen ging er inkognito zum Arzt. Der Arzt sagte, gehen sie sich Joseph Grimaldi anschauen! Ich habe so sehr gelacht, dass ich vom Stuhl gefallen bin! Und Grimaldi sah den Arzt an und sagte: Aber ich bin doch Grimaldi!"
    Grimaldi starb am 31. Mai 1837 im Alter von 58 Jahren. Obwohl er in seinen letzten Lebensjahren kaum noch laufen konnte und unter Depressionen und Alkoholismus litt, blieb der große Clown der Öffentlichkeit in Erinnerung – so sehr, dass Clowns auch nach seinem Tod als Joeys bezeichnet wurden.
    In Haggerston endet der Clowns' Church Service mit der letzten Hymne und die Joeys gehen dazu über, das zu tun, was sie am besten können – Menschen zum Lachen bringen. Vor der Kirche treffe ich Bibbledy Bob, einen Clown aus Tamworth in der Nähe von Birmingham. Ich frage, was es für ihn bedeutet, ein Clown zu sein.
    "Bis heute hat man es nicht leicht als professioneller Entertainer. Man braucht viel Zeit fürs Make-up, man muss viel herumstehen und warten und oft lange Strecken fahren. Aber das Tolle am Clownsein ist es, Menschen zum Lächeln zu bringen! Erwachsene lächeln, Kinder lächeln, Sie lächeln jetzt gerade auch! Alle lächeln, wenn sie einen Clown sehen, das finde ich schön. Es ist toll, Menschen zu unterhalten."
    Und Mattie Faint fügt noch hinzu:
    "Die meisten Leute denken, wir rennen bloß rum und sind albern. Aber Albernsein ist eine ernsthafte Sache!"