"Es ist unendlich unsicher in Rom, immer gewesen im Römischen Reich. Weil es nämlich so Banden gibt, die überfallen die Leute, kidnappen die und haben dann wieder ihre Mittelsleute, die die dann auf den Sklavenmarkt bringen."
Immer musste man auf der Hut sein im Imperium Romanum, erklärt die Althistorikerin Elisabeth Herrmann-Otto. Nicht nur vor Kidnappern.
Auch seinen Besitz verwahrte man am besten hinter Schloss und Riegel, bestätigt Marcus Reuter, Museumsleiter im Römermuseum Xanten.
"Der ist aus der Mitte des dritten Jahrhunderts, im Brandschutt gefunden worden: ein klassischer Tresor, eisenbeschlagen, mit Schlössern und Schlüsseln. Das ist das Schloss, was hier daneben liegt, was dann hier noch reingesteckt wird, ein relativ komplizierter Mechanismus, der Schlüssel wird hier oben reingesteckt."
Die Römer trieben Handel mit Indien und China und bauten 100.000 Kilometer Fernstraßen. Sie schufen ein Rechtssystem, das noch heute als Vorbild dient. Aber eine Polizei kannten sie nicht. Der Staat fühlte sich für die Sicherheit seiner Bürger nicht zuständig und Verbrechen waren alltäglich. Reuter hat für eine Sonderausstellung in Xanten Fälle gesammelt.
"Wir haben eine Frau, die nach 22 Jahren Ehe von ihrem Mann erschlagen wird. Wir haben ein zehnjähriges Mädchen, das von Räubern wegen ihres Schmuckes erschlagen worden ist. Wir kennen einen erfahrenen Veteranen, der auf einer Reise getötet worden ist. Wir haben sogar einen Zenturio, der in den Alpen bei einer Dienstreise getötet worden ist. "
Diese Kapitalverbrechen kennt man aus Inschriften auf den Grabsteinen der Opfer. Blei-Täfelchen, die bei Ausgrabungen zutage kamen, liefern eine Übersicht über Diebesgut:
"Ein Schreibgriffel, zwei Bratpfannen, Handschuhe, ein Mäntelchen, gebrauchte Bettlaken zum Beispiel."
Kurz: gestohlen wurde, was nicht niet- und nagelfest war. Die Opfer hatten offenbar wenig Hoffnung, dass die Täter gefasst werden würden, daher nahmen sie Zuflucht zur Magie: Sie ritzten Flüche in die Täfelchen ein und wünschten den Dieben Krebs und Würmer an den Hals.
Andere ließen es nicht damit bewenden. Am 17. Juni 193 erstatteten die Bürger Akiaris und Onnophris eine Diebstahlsanzeige bei einem Militärposten der Provinz Ägypten:
"In der Nacht zum 15. des gegenwärtigen Monats kamen Leute, die wir nicht kennen, zu den privaten Grundstücken des Dorfes Bubaston und verschleppten unsere Kisten mit Gemüsesamen, nicht weniger als zwölf Kisten, zu einem anderen Trockenplatz. Daher reichen wir die Eingabe ein und ersuchen darum, die nötige Untersuchung anzustellen und uns zu gestatten, das Gestohlene wieder an uns zu nehmen."
Die Anzeige, auf Papyrus geschrieben, blieb im trockenen Wüstensand erhalten. Es ist eine von vielen.
"Aus einem Reiterlager, auch in Nordafrika, hat sich das ganze Archiv eines Kommandeurs erhalten, wir haben über Jahre seine gesamte Dienstpost – und jedes dritte Schriftstück, was ihm vorgelegt worden ist, waren Strafanzeigen. Und aus diesen Strafanzeigen ersieht man eigentlich regelhaft, dass die Geschädigten vor ihren Anzeigen erst mal Ermittlungen aufgenommen haben und eigentlich schon einen Täter mehr oder weniger konkret im Auge hatten. Darunter finden sich dann ganz kuriose Fälle wie eine Frau, sie hatte eine Reihe von Schafen und diese Schafe sind ihr nicht etwa gestohlen worden, sondern denen ist die Wolle abgeschoren worden und man hat nur die Wolle abtransportiert und sie entdeckte morgens ihre kahlgeschorenen Schafe und sie hatte auch schon einen Verdacht, hat den namentlich geäußert und so dann auch schon eingereicht. "
Manchmal wurden dann Haftbefehle ausgestellt, ähnlich wie heute. Marcus Reuter meint aber: Die Behörden waren wenig interessiert und nicht sehr effektiv in der Strafverfolgung.
Dass die Kriminalität so verbreitet war, lag zum Teil am extremen Wohlstandgefälle der römischen Gesellschaft: Die schmale Oberschicht, die alteingesessenen Adligen, die Großgrundbesitzer und Großkaufleute, schwelgten in einem unermesslichen Reichtum. Einzelne Familien besaßen ein Dutzend Villen und Tausende von Sklaven. Am unteren Ende der Bevölkerungspyramide aber stand die breite Schicht der Kleinbauern und Handwerker, deren Familien ständig in Angst vor Hunger und Armut lebten. Folglich kam es immer wieder, von der frühen Republik bis ins späte Kaiserreich, zu sozialen Spannungen und Unruhen:
"Wir wissen aus Inschriften, dass sehr viele Ärmere unter den zunehmenden Steuerlasten im 3. und 4. Jahrhundert mehr und mehr zu leiden hatten und es haben sich eine Reihe von solchen Bittschriften an den römischen Kaiser erhalten, wo die ganz explizit erklären, sie könne auf ihren angestammten Äckern nicht mehr arbeiten, es lohnt sich nicht mehr, sie drohen dann auch, es bleibt ihnen eigentlich nichts als die Flucht in die Wegelagerei. "
Viele Berufe brachten nicht genug ein, um eine Familie durchzubringen: Matrosen und Hafenarbeiter waren jeden Winter ohne Arbeit, weil die Schifffahrt eingestellt wurde. Bäcker konnten durch knappe Ernten oder steigende Getreidepreisen jederzeit in den Ruin geraten – und das Getreide wurde manches Mal von Spekulanten künstlich verknappt, denn auch Wirtschaftskriminalität war im Imperium nicht unbekannt.
"Wenn jemand allein ist und eine Familie hat, die er ernähren muss, ist er in seiner Existenz immer bedroht."
Insbesondere aber die Bauern - als Bauernsoldaten einst Stolz und Stärke Roms - gerieten immer wieder in Not, erzählt Elisabeth Herrmann-Otto. Sei es durch erdrückende Steuern oder durch die endlosen Kriege der römischen Republik: Solange sie vor Karthago standen oder durch Kleinasien marschierten, konnte zuhause niemand pflügen, säen und ernten. Folge:
"Dass die Kleinbauern verarmen durch die lange Abwesenheit vom Hof und dass sie dann ihren Hof verkaufen müssen an die Großgrundbesitzer und denen bleibt dann nur übrig, sich als Tagelöhner zu verdingen bei diesen Großgrundbesitzern oder eben in die Städte abzuwandern und da haben wir dann die Bildung eines städtischen Proletariates."
Herrmann-Otto, Professorin an der Universität Trier, hat die antike Armut in einem großen Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft untersucht: Der interdisziplinäre Sonderforschungsbereich "Fremdheit und Armut" hat seine Arbeit kürzlich abgeschlossen und vermittelt jetzt in einer spektakulären Ausstellung in Trier Einsichten in seine Ergebnisse.
"Die Männer können ja noch mehr da anfangen. Also wenn sie ein bisschen handwerklich geschickt sind, können sie einen kleinen Handwerksbetrieb aufbauen. Was aber machen die Frauen? Ein ganz großer Teil der Frauen geht in die Prostitution. Das ist aber für eine ältere Frau nicht mehr möglich."
Der römische Staat zahlte keine Sozialleistungen. So wenig wie für die persönliche Sicherheit seiner Bürger war er für ihre Unterstützung bei Krankheit und im Alter zuständig. Die beste Absicherung bot die Familie. Die ehelichen Kinder versorgten den Familienvater, der bis zu seinem Tod rechtlich die Gewalt über seine Nachkommen behielt. Die Mutter bekam Hilfe von unehelichen Kindern – was niemand anstößig fand - oder kehrte in das Haus ihres Vaters zurück. Gehörten Sklaven oder Freigelassene zur "Familia", mussten sie ihrer Herrschaft ebenfalls beistehen.
Einen gewissen Rückhalt gab auch das soziale Umfeld. Wenn ein Senator in Not geriet – er konnte während des langen Militärdienstes ebenfalls sein Landgut verlieren oder vielleicht in einer Spekulation sein Vermögen einbüßen –, dann halfen ihm die Standesgenossen für eine Weile. Die weniger Wohlhabenden waren Mitglied in Vereinen.
"Wir haben berufsspezifische Vereine, religiöse Vereine, wir haben aber auch die Vereine der kleinen Leute, die sogenannten Unterstützungsvereine, die Begräbnisvereine. Nur muss man da Folgendes sehen: Jeder, der da Mitglied ist in dem Verein, muss einen Mitgliedsbeitrag zahlen, also der kann nicht bettelarm sein. "
Wer seinen Obolus entrichtete, wurde zum Beispiel zu Banketten eingeladen, erhielt Kredite, um sich aus der Sklaverei freizukaufen oder der Verein finanzierte nach seinem Tod das Begräbnis, damit seine Seele Ruhe finden konnte.
Doch wenn er nichts mehr zahlen konnte, endete der Beistand schnell. Die Grundüberzeugung der Römer lautete "Do ut Des": Ich gebe, damit Du gibst. Wo keine Gegenleistung zu erwarten war, gab es keine Unterstützung. Hilfe aus Mitleid und Barmherzigkeit war unbekannt. Diese Idee verbreitete erst das Christentum, im alten Griechenland und in Rom dagegen galt Armut als selbstverschuldet.
"Armut bedeutet immer: Man ist erfolglos gewesen, man ist selber dafür verantwortlich, man bewegt sich an der Grenze zur Kriminalität und man ist, wenn man dann vielleicht noch verkrüppelt, krank und in abgerissener Kleidung umherlauft, eine Witzfigur."
Bevor einer so tief abstürzte, bot sich, solange er arbeiten konnte, noch ein letzter Ausweg:
"Da gibt es ja dann diese Möglichkeit, die für uns so unvorstellbar ist, die aber etwas über das Funktionieren dieser Gesellschaft aussagt, dass diese Leute anfangen, Teile ihrer Familie zu verkaufen. Erstmal die Kinder zu verkaufen, die Frau zu verkaufen und sich dann auch selbst zu verkaufen."
Offiziell durfte sich ein freier Römer nicht selbst in die Sklaverei verkaufen – doch ein Mittelsmann fand sich immer. Und damit eröffnete sich tatsächlich noch einmal eine neue Lebensperspektive, denn ein Sklave wurde selten brutal ausgebeutet, sondern relativ gut versorgt. Ihm bot sich sogar die Chance auf gesellschaftlichen Aufstieg - eine bessere Chance, als sie ein freier Bauer oder ein kleiner Handwerker jemals hatte: Wenn einer bei seinem Herrn eine Ausbildung erhielt, konnte er Hauslehrer oder Gutsverwalter werden, ja manchmal in die höchsten Ämter der Reichsverwaltung aufsteigen. Und nicht zu vergessen: Viele Sklaven wurden später frei gelassen. In der lateinischen Literatur ist die Figur des Freigelassenen sehr verbreitet, der es zu Reichtum und Einfluss gebracht hat – auch wenn die Oberschicht ihn als Emporkömmling verachtet.
Und wer durch die Maschen dieses Auffangnetzes hindurchfiel – wie alte Menschen, die nicht mehr arbeiten konnten und keine Kinder hatten?
"Da gibt es in Rom drei Stellen, wo sie diese absolut Armen finden: Eine Brücke, das ist die Subliquiusbrücke über den Tiber, da sitzen die Bettler, dann finden Sie die an den Ausfallstraßen, vor allem an der Via Appia zwischen den Grabmälern und dann gibt es eine sogenannte Bettlerstadt, Aricia heißt die, die liegt in so’ner Kurve und diese Leute haben natürlich nichts anderes zu tun als die ganzen Reisenden zu überfallen."
Kriminell wurden nicht nur die Verzweifelten, kriminell handelten viele Bürger, denen sich eine Gelegenheit bot - und viele Reiche, die reicher werden wollten. Das Verbrechen war im Imperium Romanum auch deshalb so verbreitet, weil ein gewisses Maß an Kriminalität akzeptiert wurde.
Wenn man sich zum Beispiel Großgrundbesitzer anguckt, die schon wohlhabend waren und ihre Macht dazu benutzten, Bauern, deren Grundstücke an ihren Grundbesitz grenzten, einfach wegzuräumen, wegzuschieben – wir wissen das aus verschiedenen Rechtsstreitigkeiten – da gibt es schon den Versuch, jedes noch so unlautere Mittel anzuwenden, um noch weiter nach oben zu kommen.
Und das fand niemand anrüchig, erklärt Michael Sommer, Dozent an der Universität Liverpool und Spezialist für die römische Mentalität. Man nutzte einfach seine Möglichkeiten - wie der bereits schwerreiche Licinius Crassus, der zielstrebig seinen Immobilienbestand vermehrte. Der Geschichtsschreiber Plutarch berichtete darüber:
"Als er beobachtete, wie häufig in Rom Häuser in Flammen aufgingen oder einstürzten, da die Gebäude zu dicht standen, kaufte er Sklaven, die Bauarbeiter und Architekten waren. Als er dann mehr als 500 angesammelt hatte, machte er es zu seiner Praxis, Häuser zu kaufen, die brannten, und die in der Nachbarschaft, die die Eigentümer aus Angst und Unsicherheit für einen lächerlichen Preis hergaben. Auf diese Weise brachte er den größten Teil Roms in seinen Besitz."
"Solche Mittel, die waren durchaus legitim. Das heißt nicht, dass alle sie gut geheißen haben, aber es ließ sich mit den Moralbegriffen der römischen Elite durchaus in Einklang bringen."
Die Kriminalität entsprang letztlich aus der Denkweise der Antike, die längst nicht so stark von ethischen Geboten bestimmt war, wie es heute in der christlich geprägten Welt selbstverständlich ist. Im alten Rom ließ man sich von der Maxime leiten: Jeder ist sich selbst der Nächste. Also trieb ein Provinzgouverneur Abgaben für Rom ein – und zugleich für die eigene Tasche. Wollte ein Senator ein Haus, ein Grundstück, ein Geschäft haben, das einem einfachen Bürger gehörte, ließ er ihn hinaussetzen. Und wenn der Bürger eine Chance sah, in der Kneipe um die Ecke einen Kupferkessel mitgehen zu lassen, tat er es. Man wäre doch dumm gewesen, die Gelegenheiten, die sich boten, nicht zu nutzen!
"Das Christentum hat ethische Maßstäbe des Handelns in die Breite getragen. Und wir dürfen das im vor-christlichen Altertum nicht voraussetzen. Da gibt es andere Maßstäbe, die uns heute vielleicht kalt vorkommen, die aber nichtsdestotrotz auch auf ihre Weise funktioniert haben. "
Im Römischen Reich herrschte nicht das Recht des Stärkeren, betont Sommer. Das Imperium hätte nicht 1200 Jahre lang bestanden, wenn es kein Unrechtsbewusstsein und keine Gesetze gegeben hätte.
"Das ist der Gedanke, der auch unserem modernen Rechtsstaat zugrunde liegt: Dass eben im Umgang der Menschen miteinander nicht das Faustrecht gelten soll, nicht das Recht des Stärkeren, sondern das Gesetz eben gerade dafür gemacht ist, den Schwachen gegen den Stärkeren zu schützen. Dieser Gedanke ist eigentlich in der gesamten antiken Rechtsphilosophie unglaublich dominant. "
Die Menschen waren zwar vor dem Gesetz nicht gleich: Vor Gericht zählten Sklaven und Frauen wenig, der Bürger galt mehr als der Fremde und der Senator genoss einen Vertrauensvorschuss gegenüber dem Handwerker. Man kann das Imperium Romanum insofern nicht als "Rechtsstaat" bezeichnen. Aber jeder Bürger konnte sein Recht einfordern – beim nächsten Militärposten und notfalls beim Kaiser selbst. Die Autoritäten griffen nicht immer entschlossen durch, doch hin und wieder setzten sie auch der Willkür der Mächtigen eine Grenze. Adlige traten schon mal vor Gericht gegen Standesgenossen auf, die Bauern das Land weggenommen hatten. Und manchmal engagierte sich der Kaiser persönlich für seine einfachen Untertanen:
"Auf einer Reise nach Syrien war der Kaiser Caracalla damit konfrontiert, dass Leuten in einem kleinen syrischen Dorf Land weggenommen worden war von Großgrundbesitzern. Und der hat zugunsten der Dorfbewohner entschieden. Da war Unrecht geschehen und der Kaiser hatte die Aufgabe, das Recht wiederherzustellen."
Nachdrücklich schritt der Staat nur ein, wenn Gesetze übertreten wurden, die sein eigenes Interesse berührten: Wer Steuern nicht zahlte, wer sich vor dem Dienst in der Armee drückte oder wer die Autorität des Kaisers nicht anerkannte, wurde mit aller Härte verfolgt und bestraft: Man ließ ihn kreuzigen oder in der Arena von wilden Tieren zerreißen.
Typisch für die Rechtspraxis ist wohl die berühmte Anklage Ciceros gegen Gaius Verres, den Gouverneur der Provinz Sizilien, meint Museumsleiter Reuter. Mit den Vorwürfen der Raffgier und der Bestechlichkeit wandte sich der Ankläger scheinbar dagegen -
"Dass sich ein Statthalter über Gebühr aus seiner Provinz bereichert hat. Das Problem war aber offenbar weniger, dass er korrupt war, sondern dass er auch den Staat betrogen hat um Steuereinnahmen."
Für Cicero wiederum war der große Auftritt eine willkommene Chance, seinen politischen Aufstieg voranzutreiben.
Die Mentalität des Do-ut-Des, des "Ich gebe, damit Du gibst", änderte sich erst im 3.Jahrhundert mit der Verbreitung des Christentums, das stattdessen die Nächstenliebe propagierte und moralische Gebote in den Alltag hineintrug. Von nun an galt das Christuswort: "Was Du dem Ärmsten meiner Brüder und Schwestern getan hast, das hast Du mir getan." Elisabeth Herrmann-Otto meint jedoch: Das alte Prinzip lebte durchaus noch fort, denn wer nun den Ärmsten gab, handelte auch nicht ganz selbstlos.
"Die Armen sind dann wieder die Fürbitter, die beten dann für ihre Wohltäter bei Gott. Also, sie geben dann doch wieder zurück."
Immer musste man auf der Hut sein im Imperium Romanum, erklärt die Althistorikerin Elisabeth Herrmann-Otto. Nicht nur vor Kidnappern.
Auch seinen Besitz verwahrte man am besten hinter Schloss und Riegel, bestätigt Marcus Reuter, Museumsleiter im Römermuseum Xanten.
"Der ist aus der Mitte des dritten Jahrhunderts, im Brandschutt gefunden worden: ein klassischer Tresor, eisenbeschlagen, mit Schlössern und Schlüsseln. Das ist das Schloss, was hier daneben liegt, was dann hier noch reingesteckt wird, ein relativ komplizierter Mechanismus, der Schlüssel wird hier oben reingesteckt."
Die Römer trieben Handel mit Indien und China und bauten 100.000 Kilometer Fernstraßen. Sie schufen ein Rechtssystem, das noch heute als Vorbild dient. Aber eine Polizei kannten sie nicht. Der Staat fühlte sich für die Sicherheit seiner Bürger nicht zuständig und Verbrechen waren alltäglich. Reuter hat für eine Sonderausstellung in Xanten Fälle gesammelt.
"Wir haben eine Frau, die nach 22 Jahren Ehe von ihrem Mann erschlagen wird. Wir haben ein zehnjähriges Mädchen, das von Räubern wegen ihres Schmuckes erschlagen worden ist. Wir kennen einen erfahrenen Veteranen, der auf einer Reise getötet worden ist. Wir haben sogar einen Zenturio, der in den Alpen bei einer Dienstreise getötet worden ist. "
Diese Kapitalverbrechen kennt man aus Inschriften auf den Grabsteinen der Opfer. Blei-Täfelchen, die bei Ausgrabungen zutage kamen, liefern eine Übersicht über Diebesgut:
"Ein Schreibgriffel, zwei Bratpfannen, Handschuhe, ein Mäntelchen, gebrauchte Bettlaken zum Beispiel."
Kurz: gestohlen wurde, was nicht niet- und nagelfest war. Die Opfer hatten offenbar wenig Hoffnung, dass die Täter gefasst werden würden, daher nahmen sie Zuflucht zur Magie: Sie ritzten Flüche in die Täfelchen ein und wünschten den Dieben Krebs und Würmer an den Hals.
Andere ließen es nicht damit bewenden. Am 17. Juni 193 erstatteten die Bürger Akiaris und Onnophris eine Diebstahlsanzeige bei einem Militärposten der Provinz Ägypten:
"In der Nacht zum 15. des gegenwärtigen Monats kamen Leute, die wir nicht kennen, zu den privaten Grundstücken des Dorfes Bubaston und verschleppten unsere Kisten mit Gemüsesamen, nicht weniger als zwölf Kisten, zu einem anderen Trockenplatz. Daher reichen wir die Eingabe ein und ersuchen darum, die nötige Untersuchung anzustellen und uns zu gestatten, das Gestohlene wieder an uns zu nehmen."
Die Anzeige, auf Papyrus geschrieben, blieb im trockenen Wüstensand erhalten. Es ist eine von vielen.
"Aus einem Reiterlager, auch in Nordafrika, hat sich das ganze Archiv eines Kommandeurs erhalten, wir haben über Jahre seine gesamte Dienstpost – und jedes dritte Schriftstück, was ihm vorgelegt worden ist, waren Strafanzeigen. Und aus diesen Strafanzeigen ersieht man eigentlich regelhaft, dass die Geschädigten vor ihren Anzeigen erst mal Ermittlungen aufgenommen haben und eigentlich schon einen Täter mehr oder weniger konkret im Auge hatten. Darunter finden sich dann ganz kuriose Fälle wie eine Frau, sie hatte eine Reihe von Schafen und diese Schafe sind ihr nicht etwa gestohlen worden, sondern denen ist die Wolle abgeschoren worden und man hat nur die Wolle abtransportiert und sie entdeckte morgens ihre kahlgeschorenen Schafe und sie hatte auch schon einen Verdacht, hat den namentlich geäußert und so dann auch schon eingereicht. "
Manchmal wurden dann Haftbefehle ausgestellt, ähnlich wie heute. Marcus Reuter meint aber: Die Behörden waren wenig interessiert und nicht sehr effektiv in der Strafverfolgung.
Dass die Kriminalität so verbreitet war, lag zum Teil am extremen Wohlstandgefälle der römischen Gesellschaft: Die schmale Oberschicht, die alteingesessenen Adligen, die Großgrundbesitzer und Großkaufleute, schwelgten in einem unermesslichen Reichtum. Einzelne Familien besaßen ein Dutzend Villen und Tausende von Sklaven. Am unteren Ende der Bevölkerungspyramide aber stand die breite Schicht der Kleinbauern und Handwerker, deren Familien ständig in Angst vor Hunger und Armut lebten. Folglich kam es immer wieder, von der frühen Republik bis ins späte Kaiserreich, zu sozialen Spannungen und Unruhen:
"Wir wissen aus Inschriften, dass sehr viele Ärmere unter den zunehmenden Steuerlasten im 3. und 4. Jahrhundert mehr und mehr zu leiden hatten und es haben sich eine Reihe von solchen Bittschriften an den römischen Kaiser erhalten, wo die ganz explizit erklären, sie könne auf ihren angestammten Äckern nicht mehr arbeiten, es lohnt sich nicht mehr, sie drohen dann auch, es bleibt ihnen eigentlich nichts als die Flucht in die Wegelagerei. "
Viele Berufe brachten nicht genug ein, um eine Familie durchzubringen: Matrosen und Hafenarbeiter waren jeden Winter ohne Arbeit, weil die Schifffahrt eingestellt wurde. Bäcker konnten durch knappe Ernten oder steigende Getreidepreisen jederzeit in den Ruin geraten – und das Getreide wurde manches Mal von Spekulanten künstlich verknappt, denn auch Wirtschaftskriminalität war im Imperium nicht unbekannt.
"Wenn jemand allein ist und eine Familie hat, die er ernähren muss, ist er in seiner Existenz immer bedroht."
Insbesondere aber die Bauern - als Bauernsoldaten einst Stolz und Stärke Roms - gerieten immer wieder in Not, erzählt Elisabeth Herrmann-Otto. Sei es durch erdrückende Steuern oder durch die endlosen Kriege der römischen Republik: Solange sie vor Karthago standen oder durch Kleinasien marschierten, konnte zuhause niemand pflügen, säen und ernten. Folge:
"Dass die Kleinbauern verarmen durch die lange Abwesenheit vom Hof und dass sie dann ihren Hof verkaufen müssen an die Großgrundbesitzer und denen bleibt dann nur übrig, sich als Tagelöhner zu verdingen bei diesen Großgrundbesitzern oder eben in die Städte abzuwandern und da haben wir dann die Bildung eines städtischen Proletariates."
Herrmann-Otto, Professorin an der Universität Trier, hat die antike Armut in einem großen Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft untersucht: Der interdisziplinäre Sonderforschungsbereich "Fremdheit und Armut" hat seine Arbeit kürzlich abgeschlossen und vermittelt jetzt in einer spektakulären Ausstellung in Trier Einsichten in seine Ergebnisse.
"Die Männer können ja noch mehr da anfangen. Also wenn sie ein bisschen handwerklich geschickt sind, können sie einen kleinen Handwerksbetrieb aufbauen. Was aber machen die Frauen? Ein ganz großer Teil der Frauen geht in die Prostitution. Das ist aber für eine ältere Frau nicht mehr möglich."
Der römische Staat zahlte keine Sozialleistungen. So wenig wie für die persönliche Sicherheit seiner Bürger war er für ihre Unterstützung bei Krankheit und im Alter zuständig. Die beste Absicherung bot die Familie. Die ehelichen Kinder versorgten den Familienvater, der bis zu seinem Tod rechtlich die Gewalt über seine Nachkommen behielt. Die Mutter bekam Hilfe von unehelichen Kindern – was niemand anstößig fand - oder kehrte in das Haus ihres Vaters zurück. Gehörten Sklaven oder Freigelassene zur "Familia", mussten sie ihrer Herrschaft ebenfalls beistehen.
Einen gewissen Rückhalt gab auch das soziale Umfeld. Wenn ein Senator in Not geriet – er konnte während des langen Militärdienstes ebenfalls sein Landgut verlieren oder vielleicht in einer Spekulation sein Vermögen einbüßen –, dann halfen ihm die Standesgenossen für eine Weile. Die weniger Wohlhabenden waren Mitglied in Vereinen.
"Wir haben berufsspezifische Vereine, religiöse Vereine, wir haben aber auch die Vereine der kleinen Leute, die sogenannten Unterstützungsvereine, die Begräbnisvereine. Nur muss man da Folgendes sehen: Jeder, der da Mitglied ist in dem Verein, muss einen Mitgliedsbeitrag zahlen, also der kann nicht bettelarm sein. "
Wer seinen Obolus entrichtete, wurde zum Beispiel zu Banketten eingeladen, erhielt Kredite, um sich aus der Sklaverei freizukaufen oder der Verein finanzierte nach seinem Tod das Begräbnis, damit seine Seele Ruhe finden konnte.
Doch wenn er nichts mehr zahlen konnte, endete der Beistand schnell. Die Grundüberzeugung der Römer lautete "Do ut Des": Ich gebe, damit Du gibst. Wo keine Gegenleistung zu erwarten war, gab es keine Unterstützung. Hilfe aus Mitleid und Barmherzigkeit war unbekannt. Diese Idee verbreitete erst das Christentum, im alten Griechenland und in Rom dagegen galt Armut als selbstverschuldet.
"Armut bedeutet immer: Man ist erfolglos gewesen, man ist selber dafür verantwortlich, man bewegt sich an der Grenze zur Kriminalität und man ist, wenn man dann vielleicht noch verkrüppelt, krank und in abgerissener Kleidung umherlauft, eine Witzfigur."
Bevor einer so tief abstürzte, bot sich, solange er arbeiten konnte, noch ein letzter Ausweg:
"Da gibt es ja dann diese Möglichkeit, die für uns so unvorstellbar ist, die aber etwas über das Funktionieren dieser Gesellschaft aussagt, dass diese Leute anfangen, Teile ihrer Familie zu verkaufen. Erstmal die Kinder zu verkaufen, die Frau zu verkaufen und sich dann auch selbst zu verkaufen."
Offiziell durfte sich ein freier Römer nicht selbst in die Sklaverei verkaufen – doch ein Mittelsmann fand sich immer. Und damit eröffnete sich tatsächlich noch einmal eine neue Lebensperspektive, denn ein Sklave wurde selten brutal ausgebeutet, sondern relativ gut versorgt. Ihm bot sich sogar die Chance auf gesellschaftlichen Aufstieg - eine bessere Chance, als sie ein freier Bauer oder ein kleiner Handwerker jemals hatte: Wenn einer bei seinem Herrn eine Ausbildung erhielt, konnte er Hauslehrer oder Gutsverwalter werden, ja manchmal in die höchsten Ämter der Reichsverwaltung aufsteigen. Und nicht zu vergessen: Viele Sklaven wurden später frei gelassen. In der lateinischen Literatur ist die Figur des Freigelassenen sehr verbreitet, der es zu Reichtum und Einfluss gebracht hat – auch wenn die Oberschicht ihn als Emporkömmling verachtet.
Und wer durch die Maschen dieses Auffangnetzes hindurchfiel – wie alte Menschen, die nicht mehr arbeiten konnten und keine Kinder hatten?
"Da gibt es in Rom drei Stellen, wo sie diese absolut Armen finden: Eine Brücke, das ist die Subliquiusbrücke über den Tiber, da sitzen die Bettler, dann finden Sie die an den Ausfallstraßen, vor allem an der Via Appia zwischen den Grabmälern und dann gibt es eine sogenannte Bettlerstadt, Aricia heißt die, die liegt in so’ner Kurve und diese Leute haben natürlich nichts anderes zu tun als die ganzen Reisenden zu überfallen."
Kriminell wurden nicht nur die Verzweifelten, kriminell handelten viele Bürger, denen sich eine Gelegenheit bot - und viele Reiche, die reicher werden wollten. Das Verbrechen war im Imperium Romanum auch deshalb so verbreitet, weil ein gewisses Maß an Kriminalität akzeptiert wurde.
Wenn man sich zum Beispiel Großgrundbesitzer anguckt, die schon wohlhabend waren und ihre Macht dazu benutzten, Bauern, deren Grundstücke an ihren Grundbesitz grenzten, einfach wegzuräumen, wegzuschieben – wir wissen das aus verschiedenen Rechtsstreitigkeiten – da gibt es schon den Versuch, jedes noch so unlautere Mittel anzuwenden, um noch weiter nach oben zu kommen.
Und das fand niemand anrüchig, erklärt Michael Sommer, Dozent an der Universität Liverpool und Spezialist für die römische Mentalität. Man nutzte einfach seine Möglichkeiten - wie der bereits schwerreiche Licinius Crassus, der zielstrebig seinen Immobilienbestand vermehrte. Der Geschichtsschreiber Plutarch berichtete darüber:
"Als er beobachtete, wie häufig in Rom Häuser in Flammen aufgingen oder einstürzten, da die Gebäude zu dicht standen, kaufte er Sklaven, die Bauarbeiter und Architekten waren. Als er dann mehr als 500 angesammelt hatte, machte er es zu seiner Praxis, Häuser zu kaufen, die brannten, und die in der Nachbarschaft, die die Eigentümer aus Angst und Unsicherheit für einen lächerlichen Preis hergaben. Auf diese Weise brachte er den größten Teil Roms in seinen Besitz."
"Solche Mittel, die waren durchaus legitim. Das heißt nicht, dass alle sie gut geheißen haben, aber es ließ sich mit den Moralbegriffen der römischen Elite durchaus in Einklang bringen."
Die Kriminalität entsprang letztlich aus der Denkweise der Antike, die längst nicht so stark von ethischen Geboten bestimmt war, wie es heute in der christlich geprägten Welt selbstverständlich ist. Im alten Rom ließ man sich von der Maxime leiten: Jeder ist sich selbst der Nächste. Also trieb ein Provinzgouverneur Abgaben für Rom ein – und zugleich für die eigene Tasche. Wollte ein Senator ein Haus, ein Grundstück, ein Geschäft haben, das einem einfachen Bürger gehörte, ließ er ihn hinaussetzen. Und wenn der Bürger eine Chance sah, in der Kneipe um die Ecke einen Kupferkessel mitgehen zu lassen, tat er es. Man wäre doch dumm gewesen, die Gelegenheiten, die sich boten, nicht zu nutzen!
"Das Christentum hat ethische Maßstäbe des Handelns in die Breite getragen. Und wir dürfen das im vor-christlichen Altertum nicht voraussetzen. Da gibt es andere Maßstäbe, die uns heute vielleicht kalt vorkommen, die aber nichtsdestotrotz auch auf ihre Weise funktioniert haben. "
Im Römischen Reich herrschte nicht das Recht des Stärkeren, betont Sommer. Das Imperium hätte nicht 1200 Jahre lang bestanden, wenn es kein Unrechtsbewusstsein und keine Gesetze gegeben hätte.
"Das ist der Gedanke, der auch unserem modernen Rechtsstaat zugrunde liegt: Dass eben im Umgang der Menschen miteinander nicht das Faustrecht gelten soll, nicht das Recht des Stärkeren, sondern das Gesetz eben gerade dafür gemacht ist, den Schwachen gegen den Stärkeren zu schützen. Dieser Gedanke ist eigentlich in der gesamten antiken Rechtsphilosophie unglaublich dominant. "
Die Menschen waren zwar vor dem Gesetz nicht gleich: Vor Gericht zählten Sklaven und Frauen wenig, der Bürger galt mehr als der Fremde und der Senator genoss einen Vertrauensvorschuss gegenüber dem Handwerker. Man kann das Imperium Romanum insofern nicht als "Rechtsstaat" bezeichnen. Aber jeder Bürger konnte sein Recht einfordern – beim nächsten Militärposten und notfalls beim Kaiser selbst. Die Autoritäten griffen nicht immer entschlossen durch, doch hin und wieder setzten sie auch der Willkür der Mächtigen eine Grenze. Adlige traten schon mal vor Gericht gegen Standesgenossen auf, die Bauern das Land weggenommen hatten. Und manchmal engagierte sich der Kaiser persönlich für seine einfachen Untertanen:
"Auf einer Reise nach Syrien war der Kaiser Caracalla damit konfrontiert, dass Leuten in einem kleinen syrischen Dorf Land weggenommen worden war von Großgrundbesitzern. Und der hat zugunsten der Dorfbewohner entschieden. Da war Unrecht geschehen und der Kaiser hatte die Aufgabe, das Recht wiederherzustellen."
Nachdrücklich schritt der Staat nur ein, wenn Gesetze übertreten wurden, die sein eigenes Interesse berührten: Wer Steuern nicht zahlte, wer sich vor dem Dienst in der Armee drückte oder wer die Autorität des Kaisers nicht anerkannte, wurde mit aller Härte verfolgt und bestraft: Man ließ ihn kreuzigen oder in der Arena von wilden Tieren zerreißen.
Typisch für die Rechtspraxis ist wohl die berühmte Anklage Ciceros gegen Gaius Verres, den Gouverneur der Provinz Sizilien, meint Museumsleiter Reuter. Mit den Vorwürfen der Raffgier und der Bestechlichkeit wandte sich der Ankläger scheinbar dagegen -
"Dass sich ein Statthalter über Gebühr aus seiner Provinz bereichert hat. Das Problem war aber offenbar weniger, dass er korrupt war, sondern dass er auch den Staat betrogen hat um Steuereinnahmen."
Für Cicero wiederum war der große Auftritt eine willkommene Chance, seinen politischen Aufstieg voranzutreiben.
Die Mentalität des Do-ut-Des, des "Ich gebe, damit Du gibst", änderte sich erst im 3.Jahrhundert mit der Verbreitung des Christentums, das stattdessen die Nächstenliebe propagierte und moralische Gebote in den Alltag hineintrug. Von nun an galt das Christuswort: "Was Du dem Ärmsten meiner Brüder und Schwestern getan hast, das hast Du mir getan." Elisabeth Herrmann-Otto meint jedoch: Das alte Prinzip lebte durchaus noch fort, denn wer nun den Ärmsten gab, handelte auch nicht ganz selbstlos.
"Die Armen sind dann wieder die Fürbitter, die beten dann für ihre Wohltäter bei Gott. Also, sie geben dann doch wieder zurück."