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Auf der Flucht mit Mona Lisa

Im Frühjahr 1990 - die DDR war noch ein souveräner Staat - ging bei der Bundesregierung ein schmackhaftes Angebot ein: Für 713 Milliarden Mark wollte der Berliner Brotfabrikant Horst Schiesser die DDR kaufen - gegen ein zinsloses Darlehen von der Bundesregierung. Im Gegenzug versprach er, alle Arbeitsplätze zwischen Elbe und Oder zu erhalten. Man kann sich ausmalen, wie das Land heute aussähe, hätte Schiesser den Zuschlag bekommen. Alle trügen hübsche weiße Bäckermützen und produzierten Brot für die Welt. Im Vergleich zu einem vorhergehenden Geschäft zeigte er sich nachgerade spendabel: 713 Milliarden Mark für ein Land sind viel, wenn man für den Wohnungskonzern "Neue Heimat" zehn Jahre zuvor gerade mal eine Mark gezahlt hat. Doch Bonn beharrte auf das ungleich schlechtere Geschäft der Wiedervereinigung, und über Schiesser legte sich der Mantel der Geschichte. Kaum auszudenken, was passiert wäre, hätte er einen Termin bei der Deutschen Bank erhalten ...

Florian Felix Weyh |
    Umbruchzeiten sind Einladungen an Hasadeure, und wo Ländereien ihre Staatlichkeit verändern, stehen sie Gewehr bei Fuß. Im Frühjahr 1883 eröffnete ein gepflegter Gentlemen namens James Addison Reavis den verstörten Bewohnern des US-Bundesstaates Arizona, daß der größte Teil ihres Landes ihm gehöre; tatsächlich war der Staat erst ein paar Dekaden zuvor von Mexiko an die USA gewandert. Reavis' Ansprüche datierten früher: Er konnte Besitzurkunden des spanischen Königs vorweisen, und der entsprechende Kaufvertrag zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten räumte eventuell auftauchenden historischen Ansprüchen den Vorrang ein. Man ahnt es schon: Solche Klauseln provozieren den Betrug. Zunächst aber schien kein Mittel gegen James Addison Reavis gewachsen. Er wartete mit einer Unzahl spanischer Dokumente auf, die sämtlichen juristischen und historischen Überprüfungen standhielten. Sehr schnell liefen die ersten Geschäftsleute zu ihm über, bezahlten eine moderate Pacht und hielten sich für besonders pfiffig, Anteile an einer neu gegründeten Aktiengesellschaft zur Erschließung des Landes zu erwerben - wenn schon Verlierer, dann auf der Gewinnerseite! Drei Jahre lang florierten die Geschäfte prächtig, auch hochrangige Politiker aus Washington verkehrten mit dem "Baron von Arizona", bis ein spanischer Sprachwissenschaftler dahinterkam, daß die Worte der Schenkungsurkunde zur datierten Zeit gar nicht geläufig waren. Seither ist Arizona wieder unangefochtenes Mitglied der USA.

    Rasch kann man in den Fallgeschichten "Auf der Flucht mit Mona Lisa", die der kanadische Journalist Andreas Schroeder gesammelt hat, Grundmuster ausmachen. Das paradoxe Gesetz der Überdimensionierung gehört dazu: Je unglaubwürdiger ein Schwindel, desto glaubwürdiger ist er. Kein rechtschaffener Bürger kann sich nämlich vorstellen, daß ein Betrüger mehrere Jahre harter Arbeit investiert, um die Fundamente seines Coups zu legen. Jener James Addison Reavis tat dies genau so wie der im Akkord fälschende Konrad Kujau. Geht die "kriminelle Arbeit" in den Bereich harter, körperlicher Tätigkeiten über wie etwa im Falle von Bankräubern, deren Tunnelbauten noch jedem Bergingenieur Respekt abnötigen, dann avancieren die Täter schnell zu Volkshelden. Sie werden zu umgekehrten Vorzeigekapitalisten, und da sie meist dem Proletariat entstammen, feiert man sie dort als seinesgleichen. Zugegeben, es fällt schwer, den mit planvoller Intelligenz und großem psychologischen Feingefühl operierenden Meistergaunern böse zu sein. Ausnahmslos handelt es sich im vorliegenden Band um Künstler, kreative und phantasiereiche Existenzen, denen eine Sicherheitslücke das bedeutet, was anderen eine Goldgrube ist. Folgerichtig wurde aus dem Scheckbetrüger Frank Abagnale, der die Fluggesellschaft Pan Am um Millionen prellte, ein Sicherheitsberater in der Wirtschaft. Sein einfacher Köpenick-Trick mit falscher Pilotenuniform und nachgedruckter Fluglizenz hätte im Zeitalter der Computervernetzung keine Chance mehr, aber die internationale Hackergemeinde beweist täglich aufs Neue, daß jeder Fortschritt Lücken reißt.

    Wer bei Andreas Schroeder den perfekten Kleinbetrug am Zigarettenautomaten verraten kriegt, fühlt sich fast schon animiert ihn, nachzuahmen: Münzattrappen aus Trockeneis. Kaum haben sie das Schubfach freigegeben, sind sie auch schon verdampft. Nein, kein heißer Tip, heutzutage sind Automaten dagegen gefeit. Dennoch muß vor dem Buch uneingeschränkt gewarnt werden: Die Lektüre eröffnet ganz neue Horizonte, vor allem hinsichtlich der Euro-Einführung. Denn wo immer etwas umgestellt, geändert, überschrieben wird, das lehrt die Geschichte, sind Heere von Glücksrittern zur Stelle. Rein kapitalistisch liegen sie auch gar nicht so falsch. Selbst erwischte Betrüger kommen quer durch Zeiten und Länder erstaunlich ungeschoren weg. Nach ein paar Jahren Gefängnis kann so mancher auf einen ruhigen Lebensabend blicken. "Mundus vult decipi" wußte schon ein mittelalterlicher Papst, die Welt will betrogen sein, und fügte an: "ergo decipiatur", also wird es auch geschehen. Ein unfehlbarer Satz.