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Auf der Höhe der Zeit

Der geschüttelte, nicht gerührte Martini, die technischen Spielereien, mit denen 007 ausgestattet ist, die markanten Bösewichte und die verführerischen Bond-Girls. All das findet sich auch im neuen 007-Abenteuer "Skyfall". Mit "American Beauty"-Regisseur Sam Mendes hat übrigens zum ersten Mal ein Oscarpreisträger auf dem Regiestuhl Platz genommen.

Von Jörg Albrecht | 31.10.2012
    Darin ist James Bond ein wahrer Meister. Als Held des Kalten Krieges hätte er eigentlich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks abtreten können. Doch der beste Mann im britischen MI6 hatte weiterhin alle Hände voll zu tun, immer neuen Schurken mit Weltherrschaftsplänen ihre Grenzen aufzuzeigen. In dem Moment aber, als nun wirklich alles erzählt schien und die Vorlagen von Bond-Erfinder Ian Fleming ohnehin längst aufgebraucht waren – in diesem Moment haben sich die Produzenten der Erfolgsserie eines simplen Tricks bedient. Bonds ...

    ... funktioniert nach dem Rezept: Alles auf Anfang! Es ist derselbe Trick, der in den letzten Jahren auch bei "Batman" oder "Star Trek" erfolgreich angewandt worden ist. Seit "Casino Royale" im Jahr 2006 hat Bond mit Daniel Craig nicht nur ein neues Gesicht bekommen. Das Facelift hat den in die Jahre gekommenen Helden auch in die Gegenwart gerettet. Weniger Ikone der Popkultur und noch viel weniger Comicheld als früher darf die neue Doppel-Null jetzt ganz Mensch sein. Rauer und kantiger, aber auch emotionaler und zerrissener. Zum ersten Mal ist Bond ein Held, der eine dunkle Seite offenbart, der mit seinen inneren Dämonen zu kämpfen hat.

    "Wir sind beide am Ende. – Wenn Sie das glauben, warum sind Sie dann hier? – Gute Frage. – Weil wir angegriffen werden. ..."

    Nur die uneingeschränkte Liebe zu seinem Vaterland ist ihm geblieben. All das präsentiert "Skyfall" jetzt in ganzer Pracht und könnte doch die Fans des von Ian Fleming erdachten Agenten vor den Kopf stoßen. Denn so hatte ihn sich sein Schöpfer wohl nicht vorgestellt. Aber – ganz ehrlich – nur so ist Bond überhaupt für das neue Jahrtausend zu retten gewesen.

    "Schießen Sie! – Ich kann nicht. Ich könnte Bond treffen. – Schießen Sie, verdammt noch mal! ..."

    Mit dem vermeintlichen Tod von Bond beginnt die Geschichte von "Skyfall". Die eigene Chefin ist dazu bereit gewesen, ihren besten Mann zu opfern. Andere hätten daraufhin die Doppel-Null wohl endgültig abgelegt. Und auch Bond darf ein paar Wochen unter Palmen zweifeln und tief in die Flasche blicken, bevor er sich wieder zum Dienst zurückmeldet.

    "Was hatten Sie gesagt? Schießen Sie, verdammt noch mal! – Es war eine Ermessensentscheidung. – Sie hätten mir vertrauen sollen, dass ich den Auftrag zu Ende bringe. ... Ich konnte nicht anders entscheiden. Das wissen Sie. – Ich glaube, Sie haben die Nerven verloren. – Herrgott! Erwarten Sie eine Entschuldigung? Sie kennen die Regeln. Sie spielen lange genug danach. Wir beide tun das. – Vielleicht zu lange."

    Viel Zeit für Selbstzweifel bleibt allerdings nicht, denn diesmal ist es der ganze MI6, der unter Beschuss steht. Auf die Geheimdienstzentrale mitten in London ist ein Anschlag verübt worden und eine Festplatte mit hochsensiblen Daten über die wahre Identität einer Reihe von Agenten ist in die falschen Hände geraten. Sämtliche Agenten, die in Terrororganisationen eingeschleust worden sind, müssen jetzt um ihr Leben bangen.

    "Also, wer auch immer die Liste gestohlen hat, hat sie bereits entschlüsselt. Die ersten fünf Namen wurden im Netz veröffentlicht. – War auch nur eine Frage der Zeit. ... Nächste Woche veröffentlichen die wieder fünf. ... Soll wohl ein sadistisches Spiel sein."

    Wer will, kann hier sogar eine Anspielung auf Wikileaks heraushören. "Skyfall" befindet sich ganz auf der Höhe der Zeit mit einer Geschichte, die mehr von dieser Welt ist als jedes andere der 22 bisherigen 007-Abenteuer. Im Kern ist es die Geschichte eines Rachefeldzugs, die in einem furiosen Finale in den schottischen Highlands gipfeln wird. An dem Ort übrigens, an dem Bond aufgewachsen ist. Der Rächer, der von Javier Bardem gespielt wird, ist jemand aus den eigenen Reihen. Kein Größenwahnsinniger, sondern eher eine tragische Gestalt, die eine Rechnung mit M offen hat. Direkt die erste Begegnung zwischen Bond und seinem ehemaligen Kollegen hat das Zeug zum Klassiker.

    "Ich treffe meine eigenen Entscheidungen. – Das denken Sie. Darin ist sie genial. Sie hängen stur an Ihrem Glauben an diese alte Frau? Sehen Sie, was Sie getan hat? – Na ja, jedenfalls hat sie mich nie an einen Stuhl gefesselt. – Da ist ihr was entgangen. – Sind Sie sicher, dass es hier um M geht. – Es geht um M, um Sie und mich. Wir zwei sind die letzten beiden Ratten. Wir verschlingen uns gegenseitig."

    Das Geheimnis von "Skyfall" liegt zum einen in der gradlinig erzählten Handlung, zum anderen in den – für einen Bond-Film – überraschend komplexen Figuren. Unter der Regie von Sam Mendes wird das 23. Abenteuer zu einem wuchtigen psychologischen Drama und spannenden Thriller – gespickt mit tadelloser Action. Dabei verliert Mendes nie die Zutaten aus dem Blick, die einen typischen Bond kennzeichnen. "Skyfall" ist das Destillat aus 50 Jahren Bond. Neuerfindung und Hommage zugleich. Klug geschrieben, elegant inszeniert und großartig gespielt. Das kann – das muss sie werden: Die erste Oscarnominierung für einen Bond-Film.

    "Können Sie ihn töten? – Ja. – Werden Sie es tun? – Irgendjemand stirbt immer. ..."