Archiv


Auf der Jagd nach Street Art

Sie ist eine echte Kennerin von Graffiti und Street Art. Die 64-jährige Berlinerin Angelika Bruer dokumentiert die schnelllebige Straßenkunst mit der Kamera. Rund 6000 Fotografien hat sie inzwischen in ihren Alben gesammelt. Und ständig kommen neu hinzu.

Von Lukas Grasberger |
    Ortstermin in einem Hinterhof von Berlin-Mitte. An den Wänden leuchten überdimensionierte Gesichter in knalligen Farben. Doch der kleinen Dame darunter wird selten etwas zu bunt: Kaum ein Foto-Motiv lässt sie sich entgehen.

    "Hier sitzt ein trauriger kleiner Junge, auch der Clown von Alias ist da."

    Auf den ersten Blick gleicht Angelika Bruer den Rentnerinnen, die am Hackeschen Markt Großstadtluft schnuppern. Auf den zweiten Blick entpuppt sich die 64-Jährige als echte Kennerin von Graffiti und Street Art:

    "Das sind meist Papiersachen, die schon zuhause fertiggemacht worden sind von den Künstlern, und dann wurden sie angeklebt. Die Wände sind immer wieder neu beklebt worden – es ist eben ne schnelllebige Sache."

    Ein abgerissenes Bild lässt sie mit einem abgeklärten Schulterzucken links liegen, auch die Comicfigur "Little Lucy" kennt Angelika Bruer längst. Bruer besitzt die wohl größte Sammlung der schnelllebigen Straßenkunst – und ständig kommen neue Bilder hinzu.

    "Jetzt muss ich noch um die Ecke rum, denn in dem Durchgang ist was Neues. Ja, jeder erzählt mir irgendwas, und die Liste wird lang und länger. Ich schätze, so 30 bis 40 Sachen müsste ich schon noch abarbeiten. Darf ich gar nicht drüber nachdenken, viel zu viel! Ist ja nicht mehr lange Zeit bis Winter. Dann bin ich nicht mehr gern unterwegs. Ist mir dann doch ein bisschen kalt zum Fotografieren"

    Die kalten Tage verbringt die Street-Art-Oma lieber beim Sichten und Sortieren ihrer Alben mit den wohl 6000 Bildern auf dem Sofa. Beim ersten Sonnenstrahl packt sie aber wieder das Jagdfieber – die Suche nach den kurzlebigen Bildern sei einfach zu spannend. Monatelang fahndete Bruer vergeblich nach dem Stadtstreicher eines französischen Künstlers in Kreuzberg – bis sie Fundorte dessen Graffitis mit Stecknadeln auf einer Karte markierte, wie Kommissare in einem Kriminalfall.

    "Ich hab's dann doch alleine geschafft, ah, das war vielleicht was. Ich hatte ja auch noch die Aufgabe, dieses Ding zu finden, weil man mir gesagt hat: Wenn ich das finde, kriege ich was anderes aus der Szene! Ich habe zehn Jahre gebraucht, bis man mir sagt, wo was stattfindet."

    Auch heute hat Bruer einen Tipp bekommen. Und tatsächlich: Ein mexikanischer Künstler arbeitet in Mitte an einem Wandgemälde.

    Selbstbewusst hält Angelika Bruer dem langhaarigen Sprayer ihr Skizzenbuch unter die Nase, in dem sie Originale sammelt. Etwas zögerlich malt dieser schließlich ein Mensch-Alligator-Mischwesen hinein. Bei ihren Söhnen übrigens kann Bruer mit solch einem Bild schwerer punkten als bei ihren gleichaltrigen Freundinnen. Ob alt oder jung – dank der Graffiti-Oma schauen beim Lauf durch die Stadt nun alle genauer hin.

    "Zuerst fanden meine Familie und Freunde das alles sehr eigentümlich, also die fanden das ätzend: Ob ich nicht was anderes im Kopf hätte. Jetzt sehen sie das doch ein bisschen anders. Ich habe ältere Bekannte, die machen auch noch Werbung überall, wenn die alten Damen dann Kaffeetrinken oder so, die nimmt dann Partei dafür. Ich habe einige Menschen dazu gebracht, anders durch Berlin zu gehen."