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Auf der Strecke geblieben

Zum Tanken, Wohnen oder Arbeiten ins Nachbarland: Mit dem Auto ist das kein Problem, seit die Grenzkontrollen zwischen den europäischen Staaten weggefallen sind. Doch Zugreisende erleben immer noch lange Wartezeiten, wenn zum Beispiel Loks vor der Grenze ausgetauscht werden.

    Remko Kragt über die verkehrstechnische Kleinstaaterei in Europa.

    Lautsprecherdurchsage: "Meine Damen und Herren, auf Gleis 2 hat in Kürze Einfahrt IC 9140 von Stettin zur Weiterfahrt nach Amsterdam-Zentral. Planmäßige Ankunft 12.30 Uhr, planmäßige Weiterfahrt 12.44 Uhr. Bitte Vorsicht an Gleis 2."

    Wenige Minuten nach der Durchsage fährt die rote Lokomotive mit dem Intercityzug in den Bahnhof von Bad Bentheim ein. Kaum steht der Zug, springt ein Rangierarbeiter zwischen Lok und Wagen und löst die Kupplung. Laut zischen die Bremsschläuche.

    Die rote deutsche Lok fährt auf ein Abstellgleis. Wenige Augenblicke später schiebt eine gelbe Zugmaschine aus den Niederlanden ihre Puffer sanft gegen den deutschen Wagen. Ein paar Handgriffe nur, und der IC ist wieder fahrbereit. Acht Mal am Tag wiederholt sich die Prozedur – vier Mal auf Gleis zwei, jeweils eine halbe Stunde später auf Gleis eins in der Gegenrichtung. Für den Lokwechsel legt der Intercity, der sonst immer nur kurz in großen Städten hält, eine ungewöhnlich lange Pause ein. Eine geschlagene Viertelstunde steht er auf dem stillen, dreigleisigen Bahnhof. Bei schönem Wetter vertreten sich Fahrgäste aus aller Herren Länder die Beine auf dem Bahnsteig - und wundern sich über den langen Aufenthalt. Ein Engländer:

    "I think, that’s interesting considering the EU. I think, it should be able to continue, but I don’t know. Somewhat confusing."

    Ein bisschen verwirrend sei das in der EU, meint der englische Passagier. Züge sollten doch einfach weiter fahren können. Eigentlich bedeute die Grenze doch nichts mehr. Vielleicht halte der Zug nur aus Tradition, mutmaßt ein Holländer. Und ganz kurz äußert ein anderer Niederländer seine Verwunderung über den Lokwechsel an der Grenze:

    "Unglaublich, unglaublich!"

    Ein anderer nimmt die Pause mit Humor. "Ach, er zijn altijd een paar kleine dingetjes in Europa, die bij te schaven zijn" (lacht herzlich). Es gebe in Europa immer ein paar Kleinigkeiten, die man verbessern könne. Aber der Mann täuscht sich. Hier geht es nicht um Kleinigkeiten. Hendrik Jan Bergveld, Verkehrsberater der niederländischen Regierung, erläutert das Problem: Die niederländische Eisenbahn brauche 1500 Volt Gleichstrom, die deutsche Oberleitung dagegen führe 15.000 Volt Wechselstrom. Hinzu kämen unvereinbare Sicherheitstechniken.

    Das Problem gebe es zwischen allen europäischen Ländern, erklärt Hendrik Jan Bergveld. Belgien etwa habe eine ganz eigene Sicherheitstechnik. Die französische Eisenbahntechnik sei wieder ganz anders. Und Spanien habe sogar eine andere Spurbreite.

    Europas verkehrstechnische Kleinstaaterei hat nicht nur technische, sondern durchaus auch politische Ursachen und war zur Zeit der Gründung der Nationalstaaten gewollt. Nun wird es noch geraume Zeit dauern, um diesen Geburtsfehler bei der europäischen Einigung zu beheben. Das gilt für die Technik genauso wie für die Spurbreiten. Prestigeobjekte wie der Thalys oder der ICE fahren dank kräftiger Investitionen inzwischen mühelos von einem Land ins andere. Bei regionalen Verbindungen im Grenzland aber werden sich die Systemfehler noch auf lange Sicht bemerkbar machen.

    Zwischen Enschede und Gronau fahre ein Dieselzug auf einer deutschen Strecke, die keine Verbindung mit dem niederländischen Netz habe, erzählt Hendrik Jan Bergveld. Genauso sei es auf einer neuen Strecke zwischen Leer und Groningen. Eine Linie mit belgischer Technik wurde nach Maastricht verlängert. So breitet sich selbst herkömmliche Bahntechnik noch über die Grenzen aus.

    Fazit: Wissenschaftler und Techniker werden noch lange zu tun haben, bis es für europäische Züge grenzenlos heißt: "Meine Damen und Herren an Gleis eins, Ihr Zug fährt jetzt ab. Vorsicht bei der Abfahrt des Zuges."