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Auf der Suche nach Adam - Teil 2

Die Evolution des Menschen erscheint heute längst nicht mehr als klare, eindeutige Abstammungslinie. Durch die Suche nach Überbleibseln unserer Vorfahren versuchen Wissenschaftler, Ordnung in das Evolutionsdurcheinander zu bringen. Neuerdings erhalten sie dabei Hilfestellung aus der Molekulargenetik. Im Erbgut der heutigen Menschen finden Wissenschaftler immer häufiger Hinweise über unsere Ahnen. Vor allem ihre Herkunft, ihre Entwicklung und ihre Wanderungsbewegungen. Wann entwickelte sich der moderne Mensch, der Homo sapiens sapiens? Tötete er die anderen Früh- und Vormenschen, verdrängte er sie, oder vermischte er sich gar mit ihnen? Von der Genetik erwarten die Anthropologen Antworten auf diese Fragen. Das Human-Genom-Projekt könnte die erwarteten Informationen liefern, aber noch tobt der Wettstreit der Theorien.

Michael Lange |
    Zitat: Genesis 5. Kapitel: Dies ist das Buch des Stammbaumes Adams. Am Tage da Gott den Adam schuf, formte er ihn nach Gottes Ebenbild.



    Zitat: Als Mann und Frau schuf er sie; er segnete sie und nannte sie Mensch, am Tage, da sie erschaffen wurden.

    Das Erbgut, das Genom, des Menschen ist seit dem Jahr 2000 bekannt. Die Genetiker haben die Reihenfolge der "Buchstaben" im menschlichlichen Bauplan, die Sequenz, in Datenbanken gespeichert. Der Mann, der diese Entzifferung entscheidend vorangetrieben hat, war der amerikanische Bio-Unternehmer Craig Venter. Ein Wissenschaftler mit einer Vision.

    Diese Arbeit hat eine enorme Bedeutung für unser Wissen über die Menschheit. Sie ist wichtig für unser Selbstverständnis als Menschen, wer wir sind und wie wir als Art entstanden sind.

    In den Bauplänen im Innern der menschlichen Zellen, in den Genen, stecken Informationen über die Geschichte der Menschheit: Wann, wo und wie wurden wir Menschen zu dem, was wir heute sind? Wer waren unsere Vorfahren? In Leipzig, am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie suchen Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen nach Antworten auf diese Fragen. Immer häufiger mit den Methoden der Molekulargenetik.

    Laborant: Das ist ein sehr dünnes Gel aus Polyacrylamid. Damit sind wir in der Lage, die Proben der Größe nach aufzutrennen.

    Bei der Gel-Elektrophorese ist manchmal Handarbeit gefordert, wenn die Erbmoleküle in der glibberigen Substanz an den Start gehen. Das Klopfen sorgt für die feine Verteilung der Proben im Gel. Dann kommt der Strom und die Auftrennung der Erbmoleküle im elektrischen Feld beginnt.

    Laborant: Das geht mit dieser Methode sehr genau. Bis auf eine Base Unterschied können wir hier Größen von Fragmenten .... bestimmen.

    Nach der Auftrennung wird das Gel in einem abgeschirmten Kasten bestrahlt. Auf dem Monitor neben dem Kasten erscheinen kleine Linien: so genannte Banden.

    Laborantin: Ich mache hier praktisch nur D.N.A.-Fragmente unterschiedlicher Länge sichtbar, indem die mit UV-Licht angestrahlt werden, was einen bestimmten Stoff aktiviert. Das ist Ethidium-Bromid, um die Fragmente sichtbar zu machen.

    Die hier untersuchten Proben von Erbmolekülen stammen von heute lebenden Menschen, und sie geben Auskunft über die Vorfahren dieser Menschen, sagt Mark Stoneking. Der aus den USA stammende Professor leitet das genetische Labor in Leipzig.

    Das ist ein ganz normales molekularbiologisches Labor. Zunächst gewinnen wir hier die Erbmoleküle, die D.N.A., aus unseren Proben. Das sind manchmal Blutproben, aber meist sind es Abstriche aus der Innenseite der Wange. Die lassen sich einfach mit einer Zahnbürste aus dem Mund kratzen. Dann taucht man die Bürste in ein kleines Röhrchen mit Flüssigkeit. Das ist überhaupt nicht schwer. In einer wässrigen Pufferlösung halten sich die Erbmoleküle monatelang ohne Kühlung.

    Die Proben stammen aus allen Teilen der Welt. Meist werden sie von reisenden Anthropologen und Sprachforschern eingesammelt, mit denen die Leipziger Molekularbiologen zusammenarbeiten. Im Labor in Leipzig werden die Erbmoleküle dann gereinigt und mit der Kopiermethode PCR vermehrt, um sie anschließend zu untersuchen. Immer mit dem Ziel: mehr über unsere Vorfahren zu erfahren.

    Alle genetischen Daten, die uns zur Verfügung stehen weisen in die gleiche Richtung. Demnach stammt die gesamte genetische Vielfalt aller Menschen, die heute die Erde bevölkern, von einer einzigen Bevölkerungsgruppe ab: Eine Population, die vor 200.000 Jahren in Afrika lebte. Wegen dieses gemeinsamen Ursprungs weisen alle Menschen weltweit eine sehr große genetische Ähnlichkeit auf.



    Zitat: Als Adam nun 130 Jahre alt war, zeugte er einen Sohn, ihm gleich und nach seinem Bilde, und nannte ihn Set. Nach der Geburt des Set lebte Adam noch 800 Jahre, und er zeugte Söhne und Töchter.

    Afrika ist die Brutstätte der Menschheit. Das zeigen fossile Knochenfunde, archäologische Grabungen und molekularbiologische Untersuchungen gleichermaßen. Bis vor etwa zwei Millionen Jahren lebten verschiedene Gattungen und Arten von Vormenschen und Frühmenschen ausschließlich auf dem afrikanischen Kontinent. Wahrscheinlich war es der Homo erectus, der aufrechtgehende Mensch, der vor knapp zwei Millionen Jahren als erster Afrika verließ. Vielleicht aber auch schon sein Vorgänger der Homo ergaster oder sogar der kleinere, affenähnlichere Homo habilis. Überreste einer frühen Form des Homo erectus oder eines späten Homo habilis wurden vor kurzem in Georgien gefunden. Diese Funde beweisen, dass schon diese Urmenschen Europa und Asien erreichten. Nach und nach besiedelten sie fast ganz Eurasien: Peking-Mensch, Java-Mensch und Homo Heidelbergensis – sie alle sind Ausprägungen oder Verwandte des Homo erectus.

    Im Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig geht es insbesondere um die Unterschiede zwischen den heutigen Menschen. Aus ihnen lässt sich die Menschheitsgeschichte rekonstruieren. Wie weit ist eine bestimmte genetische Besonderheit verbreitet? In welchen Völkern kommt sie verstärkt vor? Wann trat sie möglicherweise erstmals auf?

    Die Evolutionsgenetiker suchen nach Besonderheiten im menschlichen Bauplan: den snips. Das steht für "Single Nucleotide Polymorphisms". Ein Snip ist eine Stelle im persönlichen Bauplan eines Menschen, die in einem Buchstaben eine Besonderheit aufweist. Snips, die weit verbreitet sind, haben ihren Ursprung in einer Mutation, einer zufälligen Erbgutveränderung, die früh in der Menschheitsgeschichte aufgetreten ist. Seltene Snips sind später aufgetreten. Kommen Snips nur vereinzelt in bestimmten Landstrichen vor, stammen sie aus den letzten Jahrtausenden.

    Die Forscher in Leipzig blicken bevorzugt auf zwei kleine Bereiche des menschlichen Erbguts. Zum einen auf die Mitochondrien-D.N.A.. Das ist das eigene Erbgut der winzigen Kraftwerke in jeder Körperzelle. Dieses Erbgut wird ohne männliche Beteiligung immer von der Mutter an die Tochter weiter gegeben. Zum anderen auf die Ypsilon-Chromosomen. Das sind die männlichen Geschlechts-Chromosomen. Sie werden nur vom Vater an den Sohn vererbt.

    Das ist ein sehr leistungsfähiger Ansatz. Wenn die männliche und die weibliche Linie das gleiche Ergebnis bringen, dann stärkt das die Schlußfolgerungen, die wir gezogen haben. Gibt es Unterschiede, müssen wir uns fragen, ob sich Männer und Frauen in der Geschichte unterschiedlich verhalten haben. Das können wir erforschen, indem wir Mitochondrien-Erbgut und Y-Chromosomen vergleichen.

    So konnten die Forscher aus Leipzig zum Beispiel zeigen, dass in den meisten Gesellschaften der letzten Jahrtausende, die Frauen ihre Heimat verlassen mussten, um sich im Dorf ihres Mannes niederzulassen. Genetische Besonderheiten der Frauen wurden deshalb weiter verteilt, während sich bei den Männern regional begrenzte Besonderheiten herausbildeten. Denn die männliche Ahnenreihe blieb stets im gleichen Dorf.

    Zitat: Insgesamt lebte Adam 930 Jahre; dann starb er. Im Alter von 105 Jahren zeugte Set den Enosch. Nach der Geburt des Enosch lebte Set noch 807 Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Insgesamt lebte Set 912 Jahre, dann starb er.

    Auf der Suche nach Adam, dem ersten Menschen - oder wie man auch sagt: dem ersten modernen Menschen - stoßen Molekularbiologen und Paläontologen immer wieder auf eine Art Urbevölkerung des Homo sapiens, die sich zum Homo sapiens sapiens weiterentwickelte. Sie lebte vor etwa 200.000 Jahren in Afrika. Vor etwa 100.000 Jahren machten sich Teile dieser Urbevölkerung auf den Weg nach Europa und Asien. Dort trafen diese Auswanderer auf verschiedene bereits dort ansässige Menschen, die von den früheren Einwanderern abstammten – möglicherweise Nachfahren des Homo erectus. Nach und nach verdrängten sie in den folgenden 80.000 Jahren diese Ureinwohner.

    Die Verdrängungs-Hypothese besagt, dass alle heute lebenden Menschen von der Homo sapiens Urbevölkerung aus Afrika abstammen. Sie ist Teil der "Out of Africa"-Theorie und besagt, dass die späten Auswanderer nach und nach die ganze Erde eroberten. Der Homo sapiens sapiens überlebte als einziger die verschiedenen anderen Menschenformen in Afrika und später auch in Europa und Asien. Ob er sie bekämpfte, tötete oder ihnen nach und nach die Lebensgrundlage entzog, ist unbekannt. Nach der Verdrängungshypothese sind alle heute lebenden Menschen Nachfahren des Homo sapiens sapiens, der vor 100.000 Jahren begann, die Welt zu erobern.

    Die meisten Wissenschaftler haben in den letzten Jahrzehnten die Verdrängungshypothese akzeptiert. Die Vertreter anderer Theorien waren auf dem Rückzug. Aber seit dem Frühjahr 2002 sorgt ein Evolutionsbiologe aus den USA für Diskussionsstoff unter den Anthropologen. Alan Templeton von der Washington-Universität in St. Louis zweifelt an der Verdrängungs-Hypothese.

    Viele Leute schauen sich die genetischen Daten an und versuchen sie mit einer bestimmten Theorie in Einklang zu bringen. Das lehne ich völlig ab. Ich lasse die Daten selbst sprechen. Deshalb benutze ich die gleichen Auswertungsmethoden, die ich für Salamander oder Elefanten verwende, auch für den Menschen, und habe die Ergebnisse jetzt in Nature veröffentlicht.

    Alan Templeton hat bereits vor einigen Jahren ein Computerprogramm entwickelt, das aus genetischen Informationen Erkenntnisse über die Evolution einzelner Arten gewinnt. Vor zwei Jahren hat er erstmals seinen Computer mit genetischen Daten des Menschen gefüttert.

    Ich wollte eine weltweite Genom-Analyse durchführen. Deshalb habe ich genetische Informationen aus verschiedenen Teilen der Welt gesammelt: insbesondere aus Afrika, Asien und Europa.

    Zunächst beschränkte Templeton seine Analyse auf zehn Regionen des menschlichen Erbguts, die von unterschiedlichen Forschergruppen untersucht worden waren. Das sei natürlich zu wenig, räumt er ein, aber immer noch umfangreicher als alles, was bisher veröffentlicht wurde.

    Ein großer Fehler wird in diesem Bereich immer wieder gemacht: Auf der Basis einzelner Abschnitte im Genom werden Stammbäume erstellt, und es wird so getan, als ob das Stammbäume einer ganzer Art wären. Aber es sind nur die Stammbäume eines kleinen Abschnittes im Erbgut. Über den Ursprung und die Geschichte dieses kleinen Abschnittes lässt sich damit etwas sagen – mehr nicht....... Wir dürfen deshalb diese genetischen Stammbäume nicht als die allgemeingültige Stammbäume der Art oder der Population betrachten.

    Jede einzelne Variable im Genom, jeder snip, hat einen eigenen Ursprung: eine eigene Eva oder einen Adam, auf die genau diese genetische Besonderheit zurückgeht.

    Aus der Verbreitung eines snips können die Forscher auf den Zeitpunkt schließen, zu dem er entstanden ist. Snips, die bei zwei Bevölkerungsgruppen identisch sind, weisen auf eine Verwandtschaft, einen gemeinsamen Ursprung, hin: eine Eva oder einen Adam. Indem sie die Daten mehrerer Snips oder ganzer Regionen im Erbgut zu einem Bild zusammengefügen, versuchen die Molekulargenetiker Stammbäume zu erstellen.

    Wenn Wissenschaftler zum Beispiel die Spur der Mitochondrien-Gene verfolgen und an mehreren Ästen ansetzen, dann treffen die weiblichen Abstammungslinien irgendwann auf einander. Die Forscher haben "die Eva" gefunden, von der alle Nachkommen, diesen Genabschnitt erhalten haben. Bei der Untersuchung einer anderen Region im Erbgut finden sie dann eine andere Eva oder einen anderen Adam. Jede Eva ist aber lediglich eine von vielen Vorfahren der heutigen Menschheit. Sie trug als erste diese untersuchten Genvariationen in sich. Die Wissenschaftler können dann grob rekonstruieren, wann und wo diese Eva lebte, wann und wo diese Genform erstmalig aufgetreten ist. Sie haben aber nicht "die" Urmutter der Menschheit gefunden.

    Zitat: Vor über zwei Millionen Jahren zeugte der Homo rudolfensis den Homo ergaster. Nach der Geburt des Homo ergaster lebte der Homo rudolfensis noch 400 000 Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Dann starb er. Im Alter von 200 000 Jahren zeugte der Homo ergaster den Homo erectus. Dann lebte er noch 300 000 Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Insgesamt lebte der Homo ergaster eine halbe Million Jahre, dann starb er.


    Templeton: Das besondere an meiner Analysemethode ist, dass sie zeitliche Stammbäume und die räumliche Verbreitung zusammenbringt. Die Stammbäume einzelner Erbgutabschnitte werden übereinandergelegt, und dann sucht das Computerprogramm nach Mustern in Raum und Zeit und interpretiert diese Muster.

    Durch die neuen Ergebnisse von Templeton erhält eine alte Idee wieder Auftrieb. Demnach wurden die Ureinwohner einer bestimmten Region nicht einfach verdrängt. Vielmehr kam es zu Kontakten zwischen Alteingesessenen und Einwanderern, und beide Populationen vermischten sich. Dies trat immer dann auf, wenn zwei Stämme, zwei Bevölkerungsgruppen oder Unterarten nebeneinander in einer bestimmten Region lebten.

    Die Vermischungshypothese besagt, dass verschiedene Formen des Menschen sich nicht nur bekämpft oder gegenseitig verdrängt haben. Sie haben teilweise nebeneinander gelebt und sich miteinander fortgepflanzt. Diese Vermischung hat genetische Besonderheiten über die eigene Population, die eigene Unterart, hinaus verbreitet. Deshalb müssten sich in unserem Erbgut auch Spuren von Frühmenschen finden lassen, die in den ersten Wanderungsschüben Afrika verließen und die Erde bevölkerten, bevor der Homo sapiens sapiens aus Afrika kam.

    Menschliche Populationen vermischen sich miteinander. Sie tun es heute, und sie haben es in der Vergangenheit getan. Das zeigen die Muster der Abstammungsbäume verschiedener Erbanlagen. Wenn eine bestimmte Mutation ein Gen erstmalig verändert, dann geschieht das zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Über die nachkommenden Generationen verbreitet sich diese Genvariation mit der Zeit. Aber sie könnte nie gleichzeitig existierende Populationen erreichen, gäbe es nicht die Vermischung von Erbanlagen zwischen verschiedenen Bevölkerungen. Meine Computermodelle zeigen, dass dieser Sprung einer genetischen Variation von einer Population in eine andere stattgefunden haben muss, und zwar nicht zu weit entfernten Populationen, sondern stets zu benachbarten Populationen. Das erscheint sinnvoll, damals genau wie heute.

    Schon vor einer halben Million Jahren müssen diese Prozesse stattgefunden haben, sagt Alan Templeton. Damals verbreiteten sich verschiedene Formen des Homo erectus, des aufrecht gehenden Menschen, in allen Teilen der Welt. Dabei können sich einzelne Erbanlagen schneller verbreitet haben als ganze Bevölkerungsgruppen. Einfach deshalb, weil Frauen und Männer verschiedener Sippen miteinander Geschlechtsverkehr hatten. Als Folge wanderten die Gene schneller als die Bevölkerungsgruppen.

    Wir fanden Hinweise auf zwei große Wanderungsschübe aus Afrika nach Eurasien. Der eine ist über 400 000 Jahre her, der andere etwa 100 000 Jahre. Zeitweise waren diese Auswanderer von der afrikanischen Urbevölkerung isoliert. Als sie nach Europa und Asien kamen, trafen sie auf Menschen, die dort bereits lebten. Deren Vorfahren waren früher ausgewandert. Statt sie zu vertreiben oder zu verdrängen, vermischten sie sich mit den Ureinwohnern. Und wir finden heute Spuren dieser Prozesse im Erbgut.

    Die alten Ahnenreihen und auch alle modernen Stammbäume der Menschheit, die Wissenschaftler in den letzten Jahren konstruiert haben, wären demnach Kunstprodukte, die den menschlichen Vorstellungen von der eigenen Geschichte entgegenkommen. Die tatsächliche Vergangenheit der Menschheit war jedoch viel stärker von Durcheinander geprägt.

    Zitat: Im Alter von einer Million Jahren zeugte der Homo erectus den Homo sapiens. Nach der Geburt des Homo sapiens lebte der Homo erectus noch 300.000 Jahre und zeugte Söhne und Töchter, dann starb er – und lebte zugleich weiter im Homo sapiens, im Homo sapiens sapiens und im Homo sapiens neandertalensis.


    Templeton: Keine einzige genetische Auswertung beim Menschen, die ich versucht habe, ergab einen typischen Stammbaum. Der Grund dafür ist die Durchmischung. Es gab immer wieder Populationen, die sich vermischt haben. Ein Stammbaum entsteht nur, wenn Populationen isoliert waren, und keinerlei Kontakt mit anderen Populationen stattfand. Das heißt nicht: Die Menschen müssen sich wie verrückt durchmischt haben. Diese Vermischung muss nur ab und zu vorgekommen sein. Das reicht aus, um den Stammbaum zu zerstören. Deshalb gibt es keinen einfachen Stammbaum der menschlichen Populationen.

    Die Mehrheit der Forscher teilt nicht die Meinung von Alan Templeton. Denn Beweise könne er nicht liefern. Das sagt auch Mark Stoneking vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig:

    Die Arbeit von Templeton sorgte für Kontroversen, insbesondere die Analysemethode, die er selbst entwickelt hat. Da gibt es ernstzunehmende Bedenken. Ich habe zu wenig Informationen, um darüber ein Urteil zu fällen. Ich kann nur sagen, dass das Verfahren sehr kompliziert ist, so dass es bislang kaum jemand versteht, geschweige denn nachvollziehen kann. Folglich sind die Schlußfolgerungen alles andere als gesichert, insbesondere was die Vermischung verschiedener Populationen von Menschen betrifft. Mein persönlicher Standpunkt ist der, dass es nach wie vor kein gesichertes Argument für die Vermischungs-Hypothese gibt. Allerdings haben wir auch erst sehr wenig Informationen. Zukünftige Forschungen werden zeigen, ob es die Vermischung wirklich gab oder nicht.

    Im Wettstreit Verdrängung gegen Vermischung sieht Stoneking die Verdrängung nach wie vor in Führung. Egal, ob es Vermischung gab oder nicht, die Verdrängung war der entscheidende Vorgang.

    Die Verdrängung hat definitiv stattgefunden. Sonst wären wir heute nicht moderne Menschen sondern Neandertaler. Ob es absolute Verdrängung war oder teilweise Verdrängung, das wird sich zeigen.


    Zitat: Im Alter von 200.000 Jahren zeugte der alte Homo sapiens den Homo sapiens neanderlensis und den Homo sapiens sapiens. Der Homo sapiens neandertalensis lebte noch 200.000 Jahre, dann starb er. Der Homo sapiens sapiens wurde über 200.000 Jahre alt und zeugt immer noch Söhne und Töchter.

    Europa war in den letzten 500.000 Jahren über weite Zeiträume ein unwirtliches Land. Und so kam es, dass die aus Afrika stammende Gattung Homo es dort nie längere Zeit aushielt.

    Stoneking: Immer wieder wanderten Menschen aus von Afrika nach Europa. Aber dann kam das Eis aus dem Norden und trieb die Wildtiere nach Afrika zurück. Die Menschen zogen den Tieren hinterher. In den letzten zwei Millionen Jahren ging es ständig rein nach Europa, raus aus Europa, zurück nach Afrika. Vor 300 000 bis 400 000 Jahren hielten einige Menschen durch. Sie blieben in Europa auch als es kalt wurde. Und aus diesen Menschen entwickelten sich die Neandertaler.

    Etwa 200.000 Jahre nach der Ansiedlung der Neandertaler in Europa – vor circa 100.000 Jahren kam dann der nächste große Einwanderungsschub aus Afrika. Der Homo sapiens hatte sich dort weiterentwickelt zum Homo sapiens sapiens. In Europa trafen die neuen Einwanderer dann auf die dort heimischen Neandertaler. Beide Unterarten der Gattung Mensch lebten dann fast hunderttausend Jahre nebeneinander. Vor etwa 20 bis 30.000 Jahren verschwand der Neandertaler – und der so genannte moderne Mensch hatte den unwirtlichen Kontinent Europa und wahrscheinlich die ganze Welt für sich. Denn auch in Asien gewann er schließlich die Oberhand.

    Stoneking: Wenn wir uns die genetische Vielfalt der heutigen Menschen anschauen, dann finden wir keine Variation, die auf den Neandertaler zurückgeht. In den letzten fünf Jahren haben Kollegen aus Leipzig mehrfach Genabschnitte aus Neandertaler-Knochen untersucht. Dabei zeigte sich immer wieder, dass das Erbgut der Neandertaler sich deutlich vom Erbgut heutiger Menschen unterscheidet.

    Es gibt also nach wie vor keinen Beweis für eine Vermischung von Neandertalern und "modernen" Menschen. Obwohl alle Voraussetzungen für eine Vermischung gegeben waren, will sich auch Alan Templeton zu der der Frage "Verdrängung oder Vermischung?" im "Fall Neandertaler" nicht festlegen.

    Meine Analyse hat nicht direkt mit den Neandertalern zu tun. Andere Forscher haben sich damit beschäftigt und durchaus Hinweise für Vermischungen von Neandertalern mit so genannten modernen Menschen gefunden. Eric Trinkhaus hat gemeinsam mit portugiesischen Kollegen fossile Überreste gefunden, die sich als Mischling interpretieren lassen. Der Homo sapiens sapiens könnte sich also – als er nach Europa kam – mit den dort heimischen Neandertalern vermischt haben. Aber darüber sagen meine Ergebnisse nichts aus. Das will ich klarstellen.

    Die Evolution des Menschen erscheint heute immer mehr als komplizierter, verworrener Prozess. Verdrängung und Vermischung haben möglicherweise beide ihren Platz in der Geschichte des Menschen. Welchen, das müssen zukünftige Forschungen zeigen.

    Die zu erwartende Flut von genetischen Daten wird wohl zunächst keine neuen Ahnenreihen und Stammbäume liefern. Die Fortschritte werden mehr Informationen auch mehr Durcheiander bringen. Das Bild von der Menschwerdung wird noch komplizierter werden – und auch das Menschsein bleibt eine schwierige Angelegenheit.

    Zitat: Im Alter von 182 Jahren zeugte Lamech einen Sohn. Er nannte ihn Noe, indem er sprach: "Dieser wird uns trösten bei der mühevollen Arbeit unserer Hände am Ackerboden, den der Herr verflucht hat."