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Auf der Suche nach dem echten Giotto

Giotto di Bondone lebte noch im Mittelalter: Florenz war die Stadt dieses Neuerers, aber er arbeitete auch in vielen anderen italienischen Städten. Von seinen berühmten Fresken blieben nicht viele gut erhalten. Es brauchte eine neue Technologie, mehr von Giotto sichtbar zu machen als je zuvor.

Von Thomas Migge | 05.06.2010
    Der Unterschied ist unglaublich. Der Besucher hat den Eindruck, als ob er es mit zwei vollkommen unterschiedlichen Gemälden zu tun hat. Das eine ist vergilbt und kaum zu erkennen. Es zeigt, auch wenn es in Sujet und Formensprache ähnlich aussieht, eine sehr kräftige Farbgebung. Das Thema ist die Auferstehung des Heiligen Johannes. Auf dem farbarmen Freskenbild sind die Gesichter der Heiligen, die sich bereits im Paradies befinden, nur als vage Umrisse zu sehen. Man muss schon sehr genau hinschauen, um Augen, Nasen und Münder zu erkennen.

    Auf dem anscheinend anderen Fresko sieht man nicht nur klar und deutlich die Gesichter, sondern auch die verschieden langen Bärte, die Haare und die goldenen Heiligenscheine der dargestellten Personen. Auch ein anderes Wandbild, das König Herodes an einem Tisch sitzend zeigt, dem von einem seiner Soldaten der abgeschlagene Kopf Johannes des Täufers gereicht wird, ist deutlich und mit allen Konturen und Farben zu erkennen.

    In der Cappella Peruzzi in Florenz ist dank modernster Technik ein Wunder geschehen. Nur mit Hilfe dieser Technik wird verständlich, wieso Michelangelo, um nur einen Namen zu nennen, von diesen Fresken so fasziniert war. Die Cappella befindet sich in der Kirche Santa Croce und gilt als eines der Meisterwerke von Giotto, weiß der Kunsthistoriker Arturo Carlo:

    "Wir müssen uns klar darüber werden, dass dieser Freskenzyklus, den Giotto im frühen 14. Jahrhundert für die reiche Bankiersfamilie Peruzzi schuf, jetzt wieder zu neuem Leben erweckt wird. Die Wandmalereien wurden 1714 übermalt und im 19. Jahrhundert wiederentdeckt und anschließend stümperhaft restauriert, so dass die meisten Farben nicht mehr existieren, nur noch ein Schatten ihrer selbst sind. Jetzt hingegen präsentieren sich die Bilder ganz anders."

    Die in den italienischen Medien als Sensation gefeierte Wiederentdeckung der Farben auf Giottos Fresken ist nur dank ultravioletter Strahlen möglich. Sie werden gebündelt, aber ohne dabei die poröse Oberflächenstruktur der noch verbliebenen Farbpigmente zu beschädigen. Von den auf diese Weise angestrahlten Fresken wurden Fotografien gemacht, damit man auch später, wenn die Gerüste mit den Strahlern abgebaut sind, einen Eindruck davon bekommt, wie die Malereien Giottos einmal ausgesehen haben.

    Die einzelnen Lampen mit den ultravioletten Strahlen erhellen etwas weniger als einen Quadratmeter Freskenfläche. Das ist nicht viel, zeigt aber die ganze Kunstfertigkeit Giottos. Zum Beispiel einen Lautenspieler. Dessen aus blauen und goldfarbenen Fasern gewebtes Gewand wird erst auf diese Weise erkennbar. Ohne die ultravioletten Strahlen sind nur verschwommene Konturen eines Mannes zu erkennen, der ein Instrument spielt.

    Das Projekt Giotto ist ein Experiment. Ein Joint Venture zwischen dem Nationalen Wissenschaftsinstitut CNR, dem florentiner Opificio delle Pietre Dure, einem auf Restaurierung spezialisierten Institut des Kulturministeriums, und der Getty-Stiftung in Los Angeles. Ziel des Experiments: die Wiederentdeckung der Farben jenes Freskenzyklus, der Jahrhunderte lang, bis zu seiner Übermalung, Künstler anzog und beeinflusste, vor allem während der Renaissance.

    Cristina Danti vom Opificio delle Pietre Dure: "Hier kam eine wirklich positive Zusammenarbeit zustande. Beleuchtet und fotografiert wurden sämtliche Fresken Giottos in der Capella Peruzzi. Bisher war es noch niemandem gelungen mit Hilfe nicht invasiver Technologien alte Wandmalereien in diesem Umfang zu erforschen. Eine Technik, die ganz neu ist und Schule machen wird."

    Seit Jahren sucht man in Italien, wo sich einige der weltweit angesehensten Institute zur Restaurierung alter Kunst befinden, nach einer Möglichkeit, vergilbte oder in vergangenen Jahrhunderten in ihrer Farb- und Oberflächensubstanz schwer beschädigte Wandmalereien wieder sichtbar zu machen – ohne dafür ihre Farben nachträglich aufzumalen. Was zum Beispiel im Fall der Fresken der Cappella Peruzzi auch gar nicht möglich gewesen wäre, weil die meisten Farben so gut wie unerkenntlich geworden sind.

    Insgesamt 34 Personen erforschen seit 2007 die Wandbilder in der Cappella. Auf die Möglichkeiten, die ultraviolettes Licht bietet, stieß man durch Zufall. Herbeigerufene Experten fanden anschließend heraus, dass das ultraviolette Licht in keiner Weise Beschädigungen anrichtet nichts beschädigt.

    Dank dieses Lichts werden nicht nur Giottos Sujets und Farben wieder deutlich sichtbar. Nachvollziehbar wird jetzt auch, wie es zu dem enormen Einfluss kam, den seine Bildkompositionen auf die späteren Maler der Renaissance ausübten. Überraschend ist der für die Zeit Giottos alles andere als übliche Einfluss antiker Bildbezüge innerhalb religiöser Darstellungen.

    Der Künstler war mit der von ihm wiedergegebenen Architektur, der Technik der Dreidimensionalität räumlicher Darstellungen und individueller Gesichtszüge der Bildprotagonisten seiner Zeit weit voraus. Giotto, das wird nach einem Besuch in der Cappella Peruzzi und dem Blick auf die ultraviolett erleuchteten Wandmalereien klar, war damit der vielleicht wichtigste Vorläufer der italienischen Renaissance.