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Auf der Suche nach dem verschollenen Buch

Die Prüfung steht kurz bevor, doch in der Universitätsbibliothek ist das wichtigste Buch nicht zu haben. Ausgeliehen ist es aber nicht. Aber wo genau ist es unter den zwei Millionen anderen zu finden? Die Universität Duisburg Essen nutzt den investigativen Ansatz.

Von Hilde Braun | 02.06.2009
    Lür-Henning Flake durchsucht gelbe Metallregale im zweiten Stock der Universitätsbibliothek in Essen. Die Bücher sind sorgfältig nach Zahlen und Ziffern sortiert. Stapelweise hebt er sie an, um falsch einsortierte zu finden.

    "Jetzt sind wir hier bei Buchstabe M, ich stehe jetzt gerade hier vor dem Regal, hebe ein paar Bücher hoch und kann somit hinter die Bücherreihen schauen, da sehe ich gerade ein Buch, das ist wohl dahinter gerutscht, stell ich jetzt wieder rein, gucke jetzt wieder auf die Nummer ...".

    Bei insgesamt zwei Millionen Büchern ist es normalerweise reine Glückssache, ein Exemplar am falschen Platz zu entdecken. Nebeneinander gestellt muss der Bücherdetektiv eine Strecke von 60 Kilometern Länge durchsuchen. Das ist harte Spürarbeit:

    "Der ungewöhnlichste Ort, den ich bis jetzt entdeckt habe war unter den Regalen, also nicht in den Regalen eingeordnet, wirklich unter dem Regalboden, so dass man das eigentlich gar nicht sehen konnte, außer wenn man auf Bodenhöhe durch den Raum schaut, also das war dann schon eine ganz pfiffige Idee."

    Als Bücherdetektiv muss er vor allem ein Auswahlkriterium erfüllen: Körpergröße mindestens 1,95 cm. So kann er mühelos auch die obersten Regalreihen überblicken und mit den Armen erreichen, ohne umständlich Hocker oder Leiter zu benutzen. Und sein detektivisches Gespür zeigt Erfolg: Bei zwei Stunden Arbeit pro Tag findet er bis zu drei Regalreihen verschollener Literatur, das entspricht bis zu 80 Büchern am Tag.

    " Oft sind die Leute entweder zu faul, jedes Mal die Bücher wieder zusammenzusuchen, weil die sind ja teilweise über die ganze Bibliothek verteilt, oder die haben Angst, dass Andere sich die Bücher schon genommen haben und sie dann nicht lernen können."

    Beliebtestes Versteck ist eine unauffällige Regalreihe in einer Ecke zwischen Wand und Betonpfeiler. Dort finden sich heiß umworbene Exemplare, manchmal sogar ganze Lehrpakete von bis zu 10 Büchern, vor Prüfungsterminen perfekt zusammengestellt. Sven Ender ist Vorgänger des jetzigen Bücherdetektivs und arbeitet seinen Nachfolger ein. Nach anderthalb Jahren weiß er, welche Studierenden am liebsten Verstecke in den Regalen bauen:

    "Die Juristen und die Wirtschaftswissenschaftler, also ich habe gerade schon wieder zwei Bücher gefunden. Ich möchte jetzt nicht Böswilligkeit unterstellen, aber sie verschieben die Bücher am meisten und stellen sie auch nicht ordnungsgemäß zurück."

    Die Universität spart mit dem Bücherdetektiv bares Geld. So manches Buch, dass bereits abgeschrieben wurde, ist wieder aufgetaucht. Albert Bilo ist Bibliotheksdirektor in Essen:

    "Wenn Sie sich vorstellen, dass 30 Bücher in einer Stunde gefunden werden würden, und jedes Buch kostet 30 Euro, da kann man sich ausrechnen, dass da ein nennenswerter Betrag rauskommt an Büchern, die wir nicht nachkaufen müssten, weil wir sie besitzen, sie aber an der falschen Stelle abgelegt sind."

    Finderlohn bekommt der Bücherdetektiv aber nicht. Sein Job ist ein Studentenjob mit normaler Bezahlung: 8,56 Euro die Stunde. Christoph Fedrau ist seit 15 Jahren Mitarbeiter der Bibliothek in Essen. Bisher gelang es aber noch nicht einen Bücherverstecker auf frischer Tat zu ertappen:

    "Wir gehen ja nicht durch und suchen jetzt die Leute, aber wenn jemand jetzt so ein Nest anlegt und ein bisschen vorsichtig dabei ist, kriegt das kein Bibliotheksmitarbeiter mit und deswegen ist es umso wichtiger, dass man regelmäßig durchsucht, um es dann wieder dem Bestand zuzuführen."

    Bald könnten sogenannte Radiotransponder die Arbeit des Bücherdetektivs erleichtern. Bücher, die am falschen Platz stehen, sollen in Zukunft ein elektronisches Signal aussenden. Albert Bilo:

    "Wir gehen davon aus, dass das die Zukunftstechnologie ist, und dass es nicht mehr lange dauert, dass wir unserer Bücher auch so ausstatten werden, weil wir auf die Art und Weise schneller Verbuchungsvorgänge, höhere Sicherung gegen Diebstahl aber auch Wiederauffindbarkeit und andere Dinge regeln können."