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Auf der Suche nach den Özils

Während der deutsche Fußball für die Integration Jugendlicher mit Migrationshintergrund gelobt wird, fehlt dieser Nachwuchs anderen Sportarten wie Volleyball und auch Handball. Bielefelder Soziologen um den ehemaligen Bundesliga-Handballer Klaus Cachay bemängeln, dass der Deutsche Handballbund (DHB) bisher kaum Strategien zur Rekrutierung der Jugendlichen entwickelt habe.

Von Erik Eggers | 12.01.2013
    Jemand wie Mesut Özil oder Sami Khedira sucht man im deutschen Handball vergeblich. Der einzige Profi im aktuellen WM-Aufgebot der Nationalmannschaft ist der Kieler Kreisläufer Patrick Wiencek, dessen Eltern aus Polen stammen. Die deutschen Leistungshandballer tragen ansonsten Namen wie Strobel, Haaß oder Schmidt. Und auch weil entsprechende Stars als Vorbilder fehlen, "wandern die Migrantenkinder allesamt zum Fußball". Sagt Georg Clarke, Vizepräsident Jugend im Deutschen Handballbund (DHB).

    Aufgeschreckt hat die Funktionäre die Diagnose des Sportsoziologen Klaus Cachay in einem Aufsatz für die Zeitschrift "Sport und Gesellschaft". Demnach schließe der Handball "die größte Migrantengruppe, nämlich diejenige mit muslimischen Hintergrund, so gut wie vollständig" aus. Das bedrohe diese Sportart langfristig deshalb, weil diese Gruppe wegen des demographischen Wandels für die Mitglieder- und Talentrekrutierung immer bedeutsamer werde. Das Problem hat freilich auch historische Gründe. Handball fristet in Ländern wie der Türkei, um bei Özil zu bleiben, ein Schattendasein. Und wenn die Eltern ohne Handball aufgewachsen sind, dann schicken sie ihre Kinder lieber zu einem Sport, den sie aus ihrer Jugend kennen.

    Das Team um Cachay kritisiert indes, dass der DHB bisher kaum Strategien zur Lösung dieses Problems entwickelt habe – und es stellt die delikate Frage, ob der Handball nicht sogar durch seine Kommunikationspolitik die Migranten in der Annahme bestärkten, als Mitglieder nicht erwünscht zu sein – im Sinne einer "ethnischen Grenzziehung". Der DHB und seine Landesverbände hingegen erklären, sich der Sache bereits intensiv zu widmen. Es gebe drei zentrale Bereiche, in denen der Handball aktiv werden müsse, im Schulsport, bei den Mädchen und bei den Migranten, betont Clarke. Angedacht sei der Gang in Kindergärten und Grundschulen, um die Sportart bei diesen Kindern bekannter zu machen.

    Es gebe bereits hoffnungsvolle Ansätze bei einigen Landesverbänden. In Württemberg etwa habe der Verband drei Jahre lang die Sportart durch spielerische Aktionen in Grundschulen erklärt, so Clarke. Gleichzeitig will Clarke auch die Marketingmaschine anwerfen und Beispiele gelungener Integration promoten. Wie im Fall des Juniorennationalspielers von den Füchsen Berlin, Ramon Tauabo, ein Linkshänder mit afrikanischen Wurzeln.

    Die Wissenschaftler um Cachay sind nicht wirklich optimistisch. Sie weisen darauf hin, dass die meisten muslimischen Jugendlichen verloren gingen, weil sie nicht den Schritt von der Schul-AG in den Verein wagten. Und auch das Tempo, das der DHB bei diesen soziologischen Problemen anschlägt, bewirkt Skepsis. Vor einem halben Jahr nannte Cachay den größten Handballverband einen "trägen Tanker".