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Auf der Suche nach der inneren Stimme

Die deutsche Videokünstlerin Asta Gröting ist schon seit geraumer Zeit diversen Aspekten der menschlichen Wahrnehmung und Kommunikation auf der Spur. Dabei stieß sie auch auf das Phänomen der "inneren Stimme". Als adäquate Darstellungstechnik entdeckte sie dafür das Bauchreden. So entstand eine Reihe von Filmen, in denen eine von Asta Gröting gebastelte Puppe intime Gespräche mit wechselnden Menschen führt. 13 dieser Videos stehen jetzt im Mittelpunkt einer Schau im "MARTa Herford".

Von Stefanie Müller-Frank |
    Schlägt ein von Menschenhand geschaffenes Wesen die Augen auf, droht Unheil. Davon erzählt nicht erst die Geschichte von Pinocchio, der seinem Meister Geppetto davon läuft und allerlei Unfug stiftet. Denn was da als Holzpuppe oder Zauberbesen, Golem oder Galatea frei herum läuft, sind die Gestalt gewordenen Wünsche ihres Schöpfers. Haben die erstmal ihren eigenen Kopf, werden sie gerne frech. Das gilt auch für die Zirkusschwester der Marionette, die Bauchrednerpuppe. Verstummt der Bauchredner, ist die Puppe noch lange nicht sprachlos. Mit ihrer blauen Kutte und den großen, lidlosen Augen sitzt sie bei ihm auf dem Schoß und flüstert ihm ins Ohr, nörgelt oder schimpft - aber sie tröstet und ermutigt ihn auch. Asta Gröting hat die Puppe erschaffen, um der "inneren Stimme" ein Gesicht zu geben:

    " Der Bauchredner hat ja die nach außen gelagerte innere Stimme in Form der Puppe auf dem Schoß. Und so kann man das am besten darstellen. Weil es auch eine ganz schöne Skulptur ist: Also eine Person könnte sich theoretisch auch mit einem Handschuh unterhalten oder ein kleines Spielzeugauto in der Hand haben. Es könnte irgendwas sein, aber die Puppe ist doch dem Menschen am ähnlichsten. Und ich hatte auch Lust vor dreizehn Jahren, als ich anfing, eine Puppe zu bauen. So konnte ich endlich mal figurativ arbeiten. Meine eigene künstlerische Auffassung hat mir das damals eigentlich verboten. "

    Seit dreizehn Jahren schreibt Asta Gröting Dialoge für Bauchredner und zeichnet sie auf Video auf. Es sind Variationen jener intimen bis banalen Zwiegespräche, die wir tagaus, tagein mit uns selbst führen. "The Inner Voice", die "Innere Stimme" heißt die Serie von mittlerweile 29 Filmen. Asta Gröting versteht sie als abschließendes Werk ihres "anatomischen Zyklus": Bevor die gebürtige Herforderin 1993 begann, mit Video zu arbeiten, hatte sie wiederholt körperimmanente Prozesse in Skulpturen übersetzt. Also zum Beispiel das Nervensystem einer Hand in Holz geschnitzt, um das Fühlen freizulegen. Eine Kritikerin nannte das die "Transplantation innerer Organe in einen visuell und haptisch erfahrbaren Kontext":

    " Nachdem ich einige Jahre Skulpturen über innere Organe gemacht habe, die mich von ihrer Metapher und auch von ihrer Form her als Bildhauerin am meisten interessiert haben, dachte ich: Als letztes, was für mich jetzt noch übrig blieb, war die Geschichte, dass man im Mittelalter Körperöffnungen machte, um nach der Seele zu suchen. Weil man dachte, dass muss ein Organ sein. Da fiel mir eben ein, als Metapher, dass die Bauchrednerei eigentlich mit der Seele zu vermischen sei. Und ich hatte keine Lust eine Skulptur über einen Bauchredner zu machen, das hätte ja keinen Sinn gemacht. "

    Einen Bauchredner in Aktion zu zeigen, ist ohne Frage faszinierender. Auf vier einander gegenüberliegenden Videoleinwänden lässt sich verfolgen, wie jeder von ihnen der Puppe einen jeweils eigenen Charakterzug verleiht. Und dann? Dann passiert nichts Überraschendes mehr: Die Kamera bleibt durchgehend statisch, die Dialoge bleiben banal. Hat die innere Stimme denn kein Lampenfieber, wenn sie so öffentlich ausgestellt wird? Oder die Bauchrednerpuppe die Schnauze voll von Worten, die ihr einfach in den Mund gelegt werden? Nie steht in Zweifel, wer da spricht - kein Rollentausch, kein Aufbegehren, nicht mal eine Spur Schizophrenie. Das gilt leider auch für viele andere Videoarbeiten, die in der Ausstellung gezeigt werden: Ob Selbstspaltung, Verkehrung oder Doppelgängermotiv - sie greifen tief ins Arsenal romantisch-psychologischer Topoi der Verunsicherung. Das Medium Video selbst, die formale Umsetzung also, steht nicht in Frage: Da läuft eine Synchronschwimmerin kopfüber, quasi spiegelbildlich, unter der Wasseroberfläche, eine Varietétänzerin sägt den Ast ab, auf dem sie sitzt. Und eine verkleinerte Version der Künstlerin schaut ihr beim Blättern in dicken Bibliotheksfolianten zu - "Wissen, das zu Staub zerfällt" heißt dieses Video. Fehlt nur noch Chamissos Mann ohne Schatten: Bei Asta Gröting ist es, einmal umgestülpt, wie sollte es anders sein, nur noch der Schatten ohne Mann. Ziellos stolpert er durch das weiße Rauschen der Leinwand.