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Auf der Suche nach der Seele der nordischen Architektur

Was charakterisiert die Architektur des Nordens? Eine Ausstellung im Louisiana-Museum für Moderne Kunst nördlich von Kopenhagen hat zu dieser Frage eine Ausstellung konzipiert.

Von Marc-Christoph Wagner |
    Im ersten Moment ist man ein wenig geschockt. Skandinavische Idylle, wohin man auch schaut: Eine Frau, die alleine und nackt in einem See badet. Luftaufnahmen nordischer Landschaften mit steilen Küsten und galoppierenden Pferden. Eine Idylle, wie sie uns Tourismuszentralen nicht schöner zeigen könnten – auch eine Idylle, als ob es beispielsweise einen Anders Behring Breivik nie gegeben hätte. Museumsleiter Poul Erik Tøjner weiß, das der Grad, auf dem sein Haus hier wandelt, sehr schmal ist, zumal schon der Titel der Ausstellung einen Zusammenhang zwischen Architektur und Identität postuliert:

    "Natürlich ist Identität ein belasteter Begriff, zumal er dem puren Nationalismus sehr nahe ist, der derzeit in vielen Formen und in ganz Europa erblüht. Auch die regionale Verortung – bitte entschuldigen Sie diesen Begriff im deutschen Radio – ist der Blut-und-Boden-Ideologie sehr nahe, oder lassen Sie uns das als romantischen Provinzialismus bezeichnen. Und dennoch darf man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Natürlich spielt Identität gerade in der globalisierten Welt eine Rolle, nur wie? Und vielleicht findet sich gerade hier im Norden eine vernünftige, ja im Sinne Bachs wohltemperierte Antwort auf diese Frage."

    Wenn die Ausstellung zu Beginn die Landschaften des Nordens zeigt, dann also auch um den Ausgangspunkt der hiesigen Architektur darzustellen: das raue Klima, vorhandene Materialien wie Holz und Stein, extrem schwankende Lichtverhältnisse zwischen dunklen Wintern und hellen Sommern. Schon bald aber verlässt die Schau diesen Pfad und widmet sich dem eigentlichen Kern, nämlich dem Zusammenhang zwischen Alltag und Architektur, untersucht, wie sich die Werte der skandinavischen Wohlfahrtsgesellschaften wie etwa Gleichheit, Gemeinschaft, Transparenz in öffentlichen Gebäuden spiegeln und andersherum von diesen bestärkt werden. Kurator Kjeld Kjeldsen:

    "Architektur kann ein Mitspieler, aber auch ein Gegner sein. Früher musste man sich zum Teil überwinden, eine öffentliche Institution wie ein Rathaus zu betreten. Hier aber zeigen wir Gebäude, die einladen und deren Architektur wir als dritten Lehrer bezeichnen: Der erste Lehrer, der ein Kind prägt, sind die eigenen Eltern, die eigene Familie. Der zweite Lehrer sind die Pädagogen etwa im Kindergarten. Der Dritte aber ist die uns umgebene Architektur, die einen enormen Einfluss hat auf unser Leben und wie wir uns entfalten."

    Geht es bei Ausstellungen im Louisiana wie in allen anderen Museen normalerweise um die Autonomie der gezeigten Kunstwerke, ist gerade dies hier nicht der Fall. Gute Architektur, so die Botschaft, erkennt das Spezifische eines Ortes, transformiert ihn und hebt das an ihm gelebte Leben dadurch auf eine neue Ebene. Jan Gehl, weltweit bekannter Städteplaner, der jüngst in New York dafür sorgte, dass der Broadway am Times Square für den Verkehr gesperrt wurde und so einen ganz neuen Platz im Herzen der Stadt entstehen ließ:

    "Gute Architektur hat nichts mit Form zu tun. Es geht um die Interaktion von Form und Leben, und erst wenn diese gegeben ist, dann ist die Architektur gelungen. Wenn es hingegen allein um Form geht, dann ist es gelungene Skulptur, aber das ist eine andere Kunstart."

    Architektur handelt vom Leben – so bringt es der erfolgreiche Schweizer Architekt Peter Zumthor in einem in der Ausstellung gezeigten Gespräch auf den Punkt. Und welcher andere Ort wäre besser geeignet, diese Zusammenhänge aufzuzeigen? Ein einst verlassenes, verwachsenes, ja in der Erinnerung von Museumsgründer Knud Jensen verwunschenes Anwesen, ist das direkt am Öresund gelegene Louisiana Museum mit seinem umliegenden Park zu einem weltweit beachteten Kulturort gewachsen, ohne dabei jedoch seine Intimität und menschliche Skala zu verlieren.

    "Ich glaube, das internationale Interesse für nordische Architektur ist einer einfachen Tatsache geschuldet: In ihr verbirgt sich eine Art von Humanität."

    Die Suche nach eben dieser Humanität lohnt sich. Die Ausstellung gibt – Gott sei Dank – keine endgültigen Antworten, verortet die identitätsstiftende Kraft der Architektur aber irgendwo im Leben in und um die gezeigten Entwürfe. Und weiß so auch, dass selbst die skandinavische Idylle stets eine brüchige ist.