Jörn Rüsen: "Hier geht es darum, Wege zu finden, wie im Zeitalter der Globalisierung die Kulturen in einer halbwegs friedlichen Weise lernen miteinander umzugehen. Es gibt nicht nur ökonomischen und politischen Unfrieden oder auch sozialen Unfrieden, etwa zwischen Arm und Reich, es gibt auch geistigen Unfrieden, - z.B. in der üblichen Weise die eigene Identität in der positiven Weise der Abhebung von den negativen Eigenschaften der anderen zu stabilisieren. Und dann werden wir Weiße, - wenn wir nicht dabei sind - bei den Chinesen weiße Teufel genannt - und wenn wir dabei sind - die Langnasen, und wir reden von den Schlitzaugen, das kennen wir alle - so kann das nicht weitergehen, - ... das ist im Kern unfriedlich."
Jörn Rüsen, der ehemalige Präsident des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen, leitet das ehrgeizige Projekt mit dem Titel Humanismus in der Epoche der Globalisierung. Es will dem drohenden Clash of Civilizations, dem Kampf der Kulturen, eine gemeinsame Anstrengung entgegensetzen. Ziel dieser Arbeit ist ein neues Humanismus-Konzept, in dem die kulturellen Unterschiede wechselseitige Anerkennung finden, auf der Grundlage gemeinsam geteilter Normen.
Man kann aber nicht einfach den traditionellen Humanismus, wie er in Europa entwickelt wurde, auf die ganze Welt ausdehnen. Das lehnen nicht-westliche Kulturen als Eurozentrismus ab, weil sie ihr spezifisches Verständnis von Menschsein und Humanität darin nicht berücksichtigt finden.
Der Westen, so die Kritik, habe einen überzogenen Individualismus entwickelt, den Menschen wie die Romanfigur Robinson Crusoe entworfen.
"Robinson Crusoe ist so ein totales Individuum, weil er sein ganzes Leben organisiert, ausschließlich aus sich selber heraus. Und es gibt starke Traditionen des westlichen Denkens, in der die Zwischenmenschlichkeit konzipiert und gedacht wird wie eine äußerliche Beziehung von Robinsons. Und das ist von der Sache her nicht haltbar, das stimmt einfach nicht, weil wir unsere Individualität immer intersubjektiv entwickeln, das fängt schon mit dem Baby im Mutterleib an, und das hört auch nie auf, - diese Kritik muss man ernst nehmen und sagen: unser Individualismus ist unvollständig, wir müssen ihn durch eine soziale Dimensionierung überhaupt erst wirklich menschlich machen."
Die kritischen Stimmen kommen vor allem aus dem asiatischen Raum. In China zum Beispiel fühlt und versteht sich der Einzelne immer schon als Mitglied der Familie, des Kollektivs, der Nation, das ist nicht erst von Mao eingeführt worden, sondern entspricht der Ethik des Konfuzius. Sie hat das chinesische Menschenbild viel nachhaltiger geprägt hat als die gegenwärtige kommunistische Phase vermuten lässt, erläutert die Sinologin und Tibetologin Carmen Meinert, eine der beiden Koordinatoren des Humanismusprojektes:
"In China geht man auf ganz andere Wurzeln zurück, und die Verbindungen, die Beziehungen untereinander in einer Gruppe sind viel stärker und wirken stärker als die Individualität des Menschen. Das zeigt sich auch dadurch zum Beispiel, dass sich die Chinesen an verschiedenen Orten in der Welt, wenn es um die Sache des Nationalstaates China geht, um eine Identitätsfrage letztendlich, in dieser Gruppe wieder zusammenfinden, ... das sieht man auf allen Ebenen, sei es im staatlichen Gefüge oder auf der zwischenmenschlichen Beziehung, es gibt einen chinesischen Begriff "Qianxi" Beziehungen pflegen, das ist das A und O für den Umgang im chinesischen Kulturraum."
Humanistische Traditionen anderer Kulturen könnten die westliche Schlagseite in Richtung eines überzogenen Individualismus korrigieren, der die Menschen isoliert.
Aber welche unveräußerlichen Rechte hat der Einzelne, die kein Kollektiv, kein Machthaber antasten darf? Ein zentrales Thema des gesamten Humanismusprojektes bildet die Frage der Menschenwürde und der Menschenrechte. Sie werden nicht nur in vielen Ländern der Erde faktisch missachtet, es gibt ebenso theoretischen Streit um ihre Auslegung.
Welche Aussagen zu den Menschenrechten enthalten die verschiedenen Religionen, etwa der Buddhismus? Carmen Meinert:
"Wir haben uns zuletzt in einem Symposion mit dieser Frage auseinander gesetzt, und zwar zu dem Thema Buddhismus und Menschenrechte, das war sozusagen eine praktische Anwendung des humanistischen Konzeptes, und sind dort der Frage der Universalierbarkeit der Menschenrechte im religiösen, bzw. speziell im buddhistischen Kontext nachgegangen. Und haben dort an Fallbeispielen in Burma bzw. Thailand sowie in China und Tibet die Anwendbarkeit des Konzeptes der Menschenrechte untersucht: Die Universalierbarkeit ist im Falle der buddhistischen Tradition, des Dharmas, grundsätzlich gegeben, da die buddhistische Lehre einerseits Gebote formuliert, aber in den Geboten auch Rechte implizit sind - um ein Beispiel zu geben: Dem Gebot nicht zu töten, ist implizit das Recht auf Leben."
Wie steht es um das Recht zur Entfaltung der Persönlichkeit? Den alte Humanismus prägte eine pädagogische Bildungsidee: Bildung im engeren Sinne, dass Menschen Wissen und vielerlei Kompetenzen erwerben, aber auch Bildung in einem weiteren Sinne, dass Menschen sich in Richtung einer freien und autonomen Persönlichkeit entwickeln dürfen, so lange sie keinen anderen in seinen Rechten verletzen.
Aber hier geraten Vorstellungen von Menschenrecht und -würde in Konflikt mit Ehrbegriffen, wie die so genannten Ehrenmorde unter türkischen Migranten in den letzten Jahren blutig belegen: Mädchen oder junge Frauen, die ihr Recht auf ein selbst bestimmtes Leben suchten, wurden deshalb von ihren eigenen Brüdern oder Vätern im Namen der Ehre ermordet.
Aladdin Sarhan: "Meines Erachtens muss man unterscheiden zwischen Religion und Tradition. Man kann nicht alles Traditionelle als religiös verkaufen, weil es in einem religiösen Kontext stattgefunden hat. Meines Erachtens ist der Ehrbegriff kein islamischer Begriff, er kommt nicht in den heiligen Texten vor, ist kein Thema in der Hadith, in der Tradition des Propheten, davon war nie die Rede, dass man bestimmte Taten im Namen des Glaubens machen soll. Dass man versucht in einer bestimmten Hermeneutik, Texte aus dem Koran oder aus der Hadith zu verwenden, halte ich für sehr gefährlich für die Muslime und für die Nicht-Muslime auch."
Aladdin Sarhan, Islamwissenschaftler am Essener Kulturwissenschaftlichen Institut, bringt die Ehrenmorde nicht in Zusammenhang mit der Religion, hier mit dem Islam, sondern betrachtet sie als fatalen Erbe einer sozialen Tradition.
Die gewalttätigen Konsequenzen des Ehrbegriffs findet man nicht nur in der islamischen Welt, sondern in vielen patriarchalischen Gesellschaften. Man muss nur an die lange Tradition des Duells in Mitteleuropa denken, das viele Menschen ins Unglück stürzte. Fontanes Effi Briest ist nur das berühmteste literarische Beispiel. Auch als die Duellpraxis schon lange juristisch verboten war, vermochten sich viele Männer der grausamen Logik nicht zu entziehen.
Jörn Rüsen:
"Das Riesenproblem, das die Muslime haben, ist, dass sie ihre Glaubensüberzeugung in einer Form gepredigt und erzieherisch beigebracht bekommen, die ich vormodern nenne. Ehre ist zum Beispiel eine soziale Kategorie der Vormoderne. Das haben wir natürlich auch, in vormodernen Lebensformen wo die menschliche Gesellschaft nach dem Prinzip der Ungleichheit organisiert war, Ständegesellschaft, da gilt der Ehrbegriff."
Eine Humanismusdiskussion muss klären, in welchem Verhältnis Menschenwürde und Ehre zueinander stehen.
Würde kommt jedem Menschen zu, ungeachtet seines sozialen Status. In ihrer Würde sind die Menschen gleich und deshalb zu gegenseitigem Respekt verpflichtet. Dagegen ist der Ehrbegriff asymmetrisch. Wer sich in seiner Ehre gekränkt fühlt, bricht das Gespräch ab, pocht auf Sonderrechte, die er anderen nicht unbedingt zubilligt. So ist der Ehrbegriff mit Macht verbunden, Macht über Ehefrau, Familie oder soziale Gruppe.
Ehre erweist sich als äußerst kritikwürdiger Traditionsbestand, weil er das Kriterium der Gleichheit und Gegenseitigkeit verletzt.
Und Ebenbürtigkeit ist im Humanismusprojekt keine bloße Vokabel, sondern schon bei der Organisation berücksichtigt. Deshalb ist der Nachwuchswissenschaftler Aladdin Sarhan einer der beiden Koordinatoren des Projektes:
"Was ich an diesem Humanismus-Projekt gut finde, ist, dass der Projektleiter selbst sich für einen Koordinator entschieden hat, der einen Migrationshintergrund hat, der einen anderen Hintergrund hat als er selbst, das hat er bewusst gemacht, weil er die interkulturelle Ausrichtung des Projekts in den Vordergrund gestellt hat, - ... Für mich war das wirklich ein Aufgaben orientierter Dialog, das Jahr, das ich in diesem Projekt verbracht habe, da habe ich von dieser Zusammenarbeit vieles gelernt, auch für mich."
Das Humanismusprojekt am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen geht ins vierte Jahr seiner Förderung. Die Zeit der Publikation verschiedener Forschungsergebnisse ist gekommen. Aber mit der wissenschaftlichen Arbeit geht weiterhin ein Verständigungsprozess einher, der nur interkulturell gelingen kann, und auch nur, wenn er über die akademische Schranken hinausweist.
In der nächsten Zeit gehen die Mitglieder des Graduiertenkollegs, darunter Nachwuchswissenschaftler aus Mexiko, Brasilien und Südafrika in die Schulen des Ruhrgebiets, um mit deutschen Jugendlichen über das Gesicht eines neuen Humanismus in der Vielfalt der Kulturen zu diskutieren.
Jörn Rüsen: "Ohne Diskussion solcher grundsätzlicher Fragen blieben wir immer nur vordergründig. Denn wir müssen ja - und das ist das Entscheidende und das kann man nur im Rahmen solcher grundlegender Projekte machen, wir müssen lernen, uns auch von außen, mit den Augen der anderen anzusehen, wenn wir das richtig gut machen, dann gewinnen wir dabei eine weitere und tiefere Perspektive, auch eine Perspektive unserer selbst."
Jörn Rüsen, der ehemalige Präsident des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen, leitet das ehrgeizige Projekt mit dem Titel Humanismus in der Epoche der Globalisierung. Es will dem drohenden Clash of Civilizations, dem Kampf der Kulturen, eine gemeinsame Anstrengung entgegensetzen. Ziel dieser Arbeit ist ein neues Humanismus-Konzept, in dem die kulturellen Unterschiede wechselseitige Anerkennung finden, auf der Grundlage gemeinsam geteilter Normen.
Man kann aber nicht einfach den traditionellen Humanismus, wie er in Europa entwickelt wurde, auf die ganze Welt ausdehnen. Das lehnen nicht-westliche Kulturen als Eurozentrismus ab, weil sie ihr spezifisches Verständnis von Menschsein und Humanität darin nicht berücksichtigt finden.
Der Westen, so die Kritik, habe einen überzogenen Individualismus entwickelt, den Menschen wie die Romanfigur Robinson Crusoe entworfen.
"Robinson Crusoe ist so ein totales Individuum, weil er sein ganzes Leben organisiert, ausschließlich aus sich selber heraus. Und es gibt starke Traditionen des westlichen Denkens, in der die Zwischenmenschlichkeit konzipiert und gedacht wird wie eine äußerliche Beziehung von Robinsons. Und das ist von der Sache her nicht haltbar, das stimmt einfach nicht, weil wir unsere Individualität immer intersubjektiv entwickeln, das fängt schon mit dem Baby im Mutterleib an, und das hört auch nie auf, - diese Kritik muss man ernst nehmen und sagen: unser Individualismus ist unvollständig, wir müssen ihn durch eine soziale Dimensionierung überhaupt erst wirklich menschlich machen."
Die kritischen Stimmen kommen vor allem aus dem asiatischen Raum. In China zum Beispiel fühlt und versteht sich der Einzelne immer schon als Mitglied der Familie, des Kollektivs, der Nation, das ist nicht erst von Mao eingeführt worden, sondern entspricht der Ethik des Konfuzius. Sie hat das chinesische Menschenbild viel nachhaltiger geprägt hat als die gegenwärtige kommunistische Phase vermuten lässt, erläutert die Sinologin und Tibetologin Carmen Meinert, eine der beiden Koordinatoren des Humanismusprojektes:
"In China geht man auf ganz andere Wurzeln zurück, und die Verbindungen, die Beziehungen untereinander in einer Gruppe sind viel stärker und wirken stärker als die Individualität des Menschen. Das zeigt sich auch dadurch zum Beispiel, dass sich die Chinesen an verschiedenen Orten in der Welt, wenn es um die Sache des Nationalstaates China geht, um eine Identitätsfrage letztendlich, in dieser Gruppe wieder zusammenfinden, ... das sieht man auf allen Ebenen, sei es im staatlichen Gefüge oder auf der zwischenmenschlichen Beziehung, es gibt einen chinesischen Begriff "Qianxi" Beziehungen pflegen, das ist das A und O für den Umgang im chinesischen Kulturraum."
Humanistische Traditionen anderer Kulturen könnten die westliche Schlagseite in Richtung eines überzogenen Individualismus korrigieren, der die Menschen isoliert.
Aber welche unveräußerlichen Rechte hat der Einzelne, die kein Kollektiv, kein Machthaber antasten darf? Ein zentrales Thema des gesamten Humanismusprojektes bildet die Frage der Menschenwürde und der Menschenrechte. Sie werden nicht nur in vielen Ländern der Erde faktisch missachtet, es gibt ebenso theoretischen Streit um ihre Auslegung.
Welche Aussagen zu den Menschenrechten enthalten die verschiedenen Religionen, etwa der Buddhismus? Carmen Meinert:
"Wir haben uns zuletzt in einem Symposion mit dieser Frage auseinander gesetzt, und zwar zu dem Thema Buddhismus und Menschenrechte, das war sozusagen eine praktische Anwendung des humanistischen Konzeptes, und sind dort der Frage der Universalierbarkeit der Menschenrechte im religiösen, bzw. speziell im buddhistischen Kontext nachgegangen. Und haben dort an Fallbeispielen in Burma bzw. Thailand sowie in China und Tibet die Anwendbarkeit des Konzeptes der Menschenrechte untersucht: Die Universalierbarkeit ist im Falle der buddhistischen Tradition, des Dharmas, grundsätzlich gegeben, da die buddhistische Lehre einerseits Gebote formuliert, aber in den Geboten auch Rechte implizit sind - um ein Beispiel zu geben: Dem Gebot nicht zu töten, ist implizit das Recht auf Leben."
Wie steht es um das Recht zur Entfaltung der Persönlichkeit? Den alte Humanismus prägte eine pädagogische Bildungsidee: Bildung im engeren Sinne, dass Menschen Wissen und vielerlei Kompetenzen erwerben, aber auch Bildung in einem weiteren Sinne, dass Menschen sich in Richtung einer freien und autonomen Persönlichkeit entwickeln dürfen, so lange sie keinen anderen in seinen Rechten verletzen.
Aber hier geraten Vorstellungen von Menschenrecht und -würde in Konflikt mit Ehrbegriffen, wie die so genannten Ehrenmorde unter türkischen Migranten in den letzten Jahren blutig belegen: Mädchen oder junge Frauen, die ihr Recht auf ein selbst bestimmtes Leben suchten, wurden deshalb von ihren eigenen Brüdern oder Vätern im Namen der Ehre ermordet.
Aladdin Sarhan: "Meines Erachtens muss man unterscheiden zwischen Religion und Tradition. Man kann nicht alles Traditionelle als religiös verkaufen, weil es in einem religiösen Kontext stattgefunden hat. Meines Erachtens ist der Ehrbegriff kein islamischer Begriff, er kommt nicht in den heiligen Texten vor, ist kein Thema in der Hadith, in der Tradition des Propheten, davon war nie die Rede, dass man bestimmte Taten im Namen des Glaubens machen soll. Dass man versucht in einer bestimmten Hermeneutik, Texte aus dem Koran oder aus der Hadith zu verwenden, halte ich für sehr gefährlich für die Muslime und für die Nicht-Muslime auch."
Aladdin Sarhan, Islamwissenschaftler am Essener Kulturwissenschaftlichen Institut, bringt die Ehrenmorde nicht in Zusammenhang mit der Religion, hier mit dem Islam, sondern betrachtet sie als fatalen Erbe einer sozialen Tradition.
Die gewalttätigen Konsequenzen des Ehrbegriffs findet man nicht nur in der islamischen Welt, sondern in vielen patriarchalischen Gesellschaften. Man muss nur an die lange Tradition des Duells in Mitteleuropa denken, das viele Menschen ins Unglück stürzte. Fontanes Effi Briest ist nur das berühmteste literarische Beispiel. Auch als die Duellpraxis schon lange juristisch verboten war, vermochten sich viele Männer der grausamen Logik nicht zu entziehen.
Jörn Rüsen:
"Das Riesenproblem, das die Muslime haben, ist, dass sie ihre Glaubensüberzeugung in einer Form gepredigt und erzieherisch beigebracht bekommen, die ich vormodern nenne. Ehre ist zum Beispiel eine soziale Kategorie der Vormoderne. Das haben wir natürlich auch, in vormodernen Lebensformen wo die menschliche Gesellschaft nach dem Prinzip der Ungleichheit organisiert war, Ständegesellschaft, da gilt der Ehrbegriff."
Eine Humanismusdiskussion muss klären, in welchem Verhältnis Menschenwürde und Ehre zueinander stehen.
Würde kommt jedem Menschen zu, ungeachtet seines sozialen Status. In ihrer Würde sind die Menschen gleich und deshalb zu gegenseitigem Respekt verpflichtet. Dagegen ist der Ehrbegriff asymmetrisch. Wer sich in seiner Ehre gekränkt fühlt, bricht das Gespräch ab, pocht auf Sonderrechte, die er anderen nicht unbedingt zubilligt. So ist der Ehrbegriff mit Macht verbunden, Macht über Ehefrau, Familie oder soziale Gruppe.
Ehre erweist sich als äußerst kritikwürdiger Traditionsbestand, weil er das Kriterium der Gleichheit und Gegenseitigkeit verletzt.
Und Ebenbürtigkeit ist im Humanismusprojekt keine bloße Vokabel, sondern schon bei der Organisation berücksichtigt. Deshalb ist der Nachwuchswissenschaftler Aladdin Sarhan einer der beiden Koordinatoren des Projektes:
"Was ich an diesem Humanismus-Projekt gut finde, ist, dass der Projektleiter selbst sich für einen Koordinator entschieden hat, der einen Migrationshintergrund hat, der einen anderen Hintergrund hat als er selbst, das hat er bewusst gemacht, weil er die interkulturelle Ausrichtung des Projekts in den Vordergrund gestellt hat, - ... Für mich war das wirklich ein Aufgaben orientierter Dialog, das Jahr, das ich in diesem Projekt verbracht habe, da habe ich von dieser Zusammenarbeit vieles gelernt, auch für mich."
Das Humanismusprojekt am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen geht ins vierte Jahr seiner Förderung. Die Zeit der Publikation verschiedener Forschungsergebnisse ist gekommen. Aber mit der wissenschaftlichen Arbeit geht weiterhin ein Verständigungsprozess einher, der nur interkulturell gelingen kann, und auch nur, wenn er über die akademische Schranken hinausweist.
In der nächsten Zeit gehen die Mitglieder des Graduiertenkollegs, darunter Nachwuchswissenschaftler aus Mexiko, Brasilien und Südafrika in die Schulen des Ruhrgebiets, um mit deutschen Jugendlichen über das Gesicht eines neuen Humanismus in der Vielfalt der Kulturen zu diskutieren.
Jörn Rüsen: "Ohne Diskussion solcher grundsätzlicher Fragen blieben wir immer nur vordergründig. Denn wir müssen ja - und das ist das Entscheidende und das kann man nur im Rahmen solcher grundlegender Projekte machen, wir müssen lernen, uns auch von außen, mit den Augen der anderen anzusehen, wenn wir das richtig gut machen, dann gewinnen wir dabei eine weitere und tiefere Perspektive, auch eine Perspektive unserer selbst."