Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Auf der Suche nach einer Utopie

Die Künstler Danielle de Picciotto und Alexander Hacke hatten genug von Berlin - wo sie von ihrer Kunst nicht mehr leben konnten. Also zogen sie los, um den perfekten Ort zum Leben zu finden. Die Suche blieb ohne Erfolg. In einem Buch beschreibt de Picciotto, was sie stattdessen auf ihrer Reise erreicht haben.

Von Ina Plodroch | 29.05.2013
    "Am Anfang, als wir angefangen haben, war ich ziemlich sauer - das gibt es doch gar nicht, ich habe so wahnsinnig viel initiiert, ich habe die Love-Parade mit initiiert, ich habe so viel gemacht, wie kann es sein, dass ich keine Aufträge bekomme innerhalb Berlins?"

    Von der Kunst leben? In Berlin unmöglich, meint Danielle de Picciotto. Über 20 Jahre hat sie in der Stadt gelebt - in Bands gespielt, gezeichnet, kuratiert, gefilmt. Vor allem in den 90ern liebte sie die kreative Utopie der Stadt - Techno, Freiheit, ein Leben für die Kunst. Heute scheint das kaum noch möglich.

    "Bei den Ausstellungen haben kaum Leute Bilder gekauft, bei den Events kamen Leute aber wir hatten eine Gästeliste von 500 Leuten, die umsonst reinkommen wollten."

    De Picciotto kritisiert Berlins Umsonstkultur. Deshalb wollte sie raus aus der Stadt und einen Ort suchen, an dem sie von der Kunst leben kann. Ganz schön ambitioniert. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Alexander Hacke, Bassist der Einstürzenden Neubauten, hat sie Berlin deshalb für 18 Monate verlassen, um ihre Utopie zu finden. An jedem Ort wollten die beiden zwei Monate bleiben und einen Job finden. Das gemeinsame Haus haben die beiden dafür aufgeben, genau wie ihren Besitz - nur ein paar Bücher, Geschenke von den Eltern und die eigene Kunst haben sie eingelagert. Die nächsten Monate wollten sie mit nur wenig Gepäck leben, den Verzicht üben.

    "Ich hatte mir vorgenommen, jeden Tag eine Zeichnung machen, weil ich das schon immer machen wollte."

    So ist ihre Graphic Novel "We Are Gypsies Now. Vom Weg ins Ungewisse." entstanden, ein persönliches Reisetagebuch. Ihre Zeichnungen sind wie Skizzen, schwarz-weiß ohne Schattierungen. Mit dem Fineliner zog sie die Linien, verschnörkelte die Texte mit Rahmen. Auf gut 200 Seiten dokumentiert sie schlicht und episodenhaft ihre Reise - manchmal stichpunktartig, als hätte sie den Stift zwischen Stadttour und einem Konzert der Einstürzenden Neubauten nur mal kurz in die Hand genommen. Eine Chronologie der Reise ergibt sich für den Leser nicht.

    "Inzwischen haben wir uns in der Wiener Wohnung eingerichtet. Sie ist möbliert und es gibt einen Fernseher in jedem Zimmer. Alex hat im Wohnzimmer sein Studio aufgebaut, um an der Filmmusik für Paul Poet zu arbeiten. Ich nutze das Gästezimmer als Atelier und arbeite gleichzeitig sowohl an einem Filmschnitt als auch an neuen Kompositionen für unsere nächste Platte."

    Auf der Reise hat das Paar Songs für ihr gemeinsames Album "Hitmann's Heel" geschrieben und aufgenommen - Stücke, die vom rastlosen Leben erzählen. Die Platte war ein Traum der beiden. Gekostet hat er 10.000 Euro, die sie aus eigener Tasche gezahlt haben, ohne damit etwas zu verdienen. De Picciotto wird oft enttäuscht, muss für ihre Kunst kämpfen. Das fehlende Geld hat sie auf die Reise getrieben, auch unterwegs bleibt das Thema ihr roter Faden.

    "Ich frage mich wirklich, wie Leute wie wir in der Zukunft überleben sollen. Ich habe nicht dreißig Jahre gearbeitet, um jetzt aufzugeben, aber wir sind weder reich noch haben wir wohlhabende Eltern. Jeder Pfennig ist hart erarbeitet. Es ist deprimierend zu sehen, wie wenig Unterstützung es gibt. Unsere Welt wäre so viel weniger farbenprächtig ohne experimentelle Kreativität."

    Danielle de Picciotto wirkt niemals resigniert, manchmal melancholisch, aber die Hoffnung verliert sie nie. Selbst als sie zugeben muss, dass sie ihre Utopie niemals finden wird.

    "Wir sind dem Ganzen irgendwie nicht wirklich sehr viel näher gekommen, wir haben zwar sehr viel gelernt, aber eine perfekte Stadt gefunden haben wir noch nicht. Nicht so perfekt, wie Berlin es war."

    "We Are Gypsies Now" zeigt auch deshalb keine Porträts der Orte, sondern nur ihren höchst subjektiven Eindruck: Wien gefällt ihr gut - viel lebendige Kultur, aber die beiden bleiben Touristen, die Finnen findet sie unterhaltsam. In Mexiko ist Materielles nicht so wichtig, das Klima bekommt ihr gut. Turin ist de Picciottos Lieblingsstadt in Italien. Von der Kunst leben scheint jedoch an keinem dieser Orte möglich.

    "Das Ergebnis dieser Reise - bis jetzt - ist, dass es eben ganz klar ist, es ist nicht Berlin, es ist ein Zeitgeist. Berlin ist in der Sicht immer noch eine tolle Stadt, weil sie so offen ist und viele Möglichkeiten bietet. Aber es ist ein Zeitgeist-Problem, dass es zu viele Künstler gibt, und dass es zu wenig Möglichkeiten gibt, davon zu leben."

    Auch wenn sie keine Antwort findet: Ihre Graphic Novel ist ein eindrucksvolles Dokument der Reise. Danielle de Picciotto und Alexander Hacke ziehen weiter, mittlerweile leben sie seit drei Jahren als "Gypsies" - immer unterwegs, von Auftrag zu Auftritt. Bis nächsten Sommer sind die beiden ausgebucht, sie waren in so vielen Städten, da ergibt sich eben vieles. Ihr eigentliches Ziel haben sie aufgegeben. Ohne zu resignieren.

    "Die Suche hat sich gewandelt, dass es eine Suche ist, nach einer Art und Weise zu leben und nicht an einen bestimmten Ort gebunden."

    Literaturhinweis:
    Danielle de Picciotto: "We Are Gypsies Now. Der Weg ins Ungewisse"
    Metrolit Verlag, April 2013
    22,99 Euro