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Auf der Suche nach Freiheit

Mitte des 19. Jahrhunderts hoffte der deutsche Auswanderer Jakob Burkel, weit im Westen der USA zu einem freien Leben zu finden. Stattdessen stieß er dort auf die Sklaverei - und beschloss, etwas dagegen zu unternehmen. Sein Haus in Tennessee ist nun für Touristen geöffnet.

Von Michael Groth | 04.08.2013
    Die Geschäfte laufen gut. Jakob Burkel - Jacob Burkle, wie er sich nun nennt - steigt in den Viehhandel ein. Das Haus, das er 1849 baut, steht unweit der Schlachthöfe. Die Gegend - damals belebt. Noch heute liegt das Burkle-Haus nur wenige Autominuten von der Innenstadt entfernt. Dennoch verirren sich kaum Touristen in das Viertel direkt hinter dem Deich. Die Häuser, verlebt und renovierungsbedürftig, grenzen an Industriebrachen.

    Memphis ist für Besucher die Heimat von Elvis und Johnny Cash, und es ist der Ort, an dem 1968 Martin Luther King erschossen wurde. Von diesem traurigen Ausrufezeichen der amerikanischen Bürgerrechtsgeschichte führt der Weg zurück ins Burklehaus:

    "Das ist eine Karte, auf der die Wege der 'Underground Railroad' eingezeichnet sind. Die roten Zeichen markieren die geheimen Wege, auf denen die Sklaven in die Freiheit gelangten. Das wichtigste Ziel war der Atlantik. Wer das Meer erreichte, der hatte gute Chancen, nach Kanada zu gelangen. Oder, wenn er weiter im Süden war, nach Kuba. Hier in der Mitte ist Memphis. Der Mississippi war eine der wichtigsten Routen der 'Underground Railway'."

    Elaine Turner führt durch das Burkle-Haus. Sie weiß, wovon Sie redet. Bürgerrechtsaktivistin der ersten Stunde, in den 1960er-Jahren mehrfach im Gefängnis. Wegen ihrer Überzeugungen. Heute vermittelt Elaine Turner den Besuchern der Stadt ein wenig bekanntes, frühes Kapitel der US-Geschichte.

    Die "Underground Railway" ist natürlich keine Eisenbahn. Sie ist - wie Vieles in dieser Geschichte - ein Synonym für den Weg vieler Sklaven, ihren Besitzern und Peinigern zu entkommen.

    Jacob Burkle ist angewidert. Die Afro-Amerikaner werden unweit seines Hauses verkauft und behandelt wie Vieh. Dies zu erleben, widerspricht Burkles Bild von Amerika. Er handelt. In den 1850er-Jahren - vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs, der 1865 zwar die Sklaverei beendete, nicht aber die Unterdrückung der Schwarzen, wird der Deutsche zum Retter ungezählter Flüchtlinge.

    ""Vielleicht brannte ein Licht, das den Flüchtlingen signalisierte: Es ist sicher, Ihr könnt kommen. Wir wissen nicht, wie vielen entlaufenen Sklaven Burkle half. Aber wir wissen, dass dieses 'Safe House' eine wichtige Station der 'Underground Railroad' war."

    Das Burkle-Haus ist seit 1997 für Touristen geöffnet
    Seit 1997 ist das Burkle-Haus unter dem Namen Slave Haven Museum zu besichtigen. Man muss schon genau hinsehen, um das Hinweisschild vor der Nummer 826 der North Second Street zu entdecken.

    Elaine Turners Führung beginnt in der Küche:

    "Die Figuren, die hier in der Küche am Tisch sitzen, repräsentieren die beiden Schwarzen, die damals im Burkle-Haus lebten. Jacob Burkle lässt sie gemeinsam mit den Flüchtlingen ziehen. Sie wohnten im Haus und wurden als Sklaven bezeichnet - was sie nicht waren. Die Sklavenhalter in Memphis sollten keinen Verdacht schöpfen, wozu dieser Freigeist fähig ist. Auch deshalb gibt Burkle in der Zeitung eine Anzeige auf, in der er den Verlust 'entlaufener Sklaven' beklagt."

    Eine gelungene "Undercover"-Operation.

    Wäre Burkle entdeckt worden wäre er Opfer der Lynchjustiz geworden. Das Risiko war hoch - für den deutschen, noch mehr natürlich für die Flüchtlinge.

    "Die Sklaven durften sich auf den Plantagen nicht versammeln. Einzige Ausnahme waren die Gottesdienste. Die erlaubten die Besitzer. Also versteckten ihre Botschaften in religiösen Liedern. Das war ziemlich erfolgreich. Die Spirituals, die wir heute noch hören: Alle hatten eine doppelte Bedeutung. Eine für den Sklavenhalter, eine andere für die Afro-Amerikaner."

    "'Geht durch das Wasser', heißt es im Lied. Warum? Wenn Du wegläufst, dann lauf' durch Wasser. Deine Verfolger und ihre Hunde werden dann Deine Spur verlieren. Und was dachte der Sklavenbesitzer? Er dachte, sie bereiten sich auf eine Taufe vor. Dabei haben sie sich auf die Flucht vorbereitet. Geh's durch das Wasser, es wird Deine Sünden fortwaschen und die Hunde finden Deine Spur nicht..."

    Jacob Burkle baut sein Haus mit Blick auf künftige Rettungsaktionen. Ein kleines Hinterzimmer, Richtung Mississippi, mit einer Falltür. Die Tür wird erst entdeckt, als das Haus vor rund 15 Jahren zum Museum wird. Darunter Stufen, die in den Keller führen. Im Keller ist es eng. Die Decke: kaum 1,80 Meter hoch. Elaine Turner knipst das Licht an, ein Luxus, den es Mitte des 19. Jahrhunderts nicht gibt.

    "Wir glauben nicht, dass die Flüchtlinge auf diesen Treppen in den Keller kamen. Schauen Sie mal dort in die Ecke. Dort ist eine Treppe aus Ziegeln - sie endet an der Mauer. Das macht keinen Sinn. Die Mauer kam wohl erst später, und die Treppe, die wir sehen, führte ins Freie. Von hier liefen die Menschen zum Mississippi. Natürlich nachts - und die Rinder des Viehhändlers Burkle, die rund um das Haus in ihren Koppeln standen, boten zusätzlichen Schutz. Wenn das Signal kam, war das Boot bereit, und die Reise nach Norden konnte beginnen."

    Geschichte des größten Sklavenmarktes der Südstaaten
    Das Slave Haven Museum beschreibt nicht nur diese gefährliche Reise. Es erzählt die Geschichte des größten Sklavenmarktes in den Südstaaten - mit Objekten, die den Besucher gruseln lassen: zum Beispiel angesichts einer Peitsche, auf deren Griff die Blutspuren noch deutlich zu erkennen sind.

    Nicht jede Flucht gelingt. Elaine Turner greift zu einer alten Zeitung.

    "In dem Artikel geht es um einen Mann, der sich in einer Holzkiste versteckte. Die sollte auf ein Schiff verladen werden. Leider vergaß er die Luftlöcher. Er machte sich bemerkbar, sie brachen die Kiste auf. Er war wieder gefangen…"

    Burkles Enkelin, Katherine Compton, erwähnt einen Dankesbrief, den ein Flüchtling seinem Retter aus der Sicherheit in Kanada schickt. Nach Katherines Tod verkauft ihre Tochter das Haus.

    "Sie hat Niemanden etwas erzählt. Dabei hatte ihre Mutter einigen Leuten in Memphis Jacob Burkles Geschichte erzählt. 'Little Katherine' - so nannte man Katherine Comptons Tochter. Verbrannte den Brief 1978. Sie wollte jede Erinnerung an die 'Underground Railroad' und die Rolle ihres Urgroßvaters auslöschen. Ich vermute, es war ihr peinlich. Ende der 1970er hatten sich die Bürgerrechte offiziell zwar durchgesetzt - aber hier im Süden gab es damals noch viele, die von Jacob Burkles Mut überhaupt nichts hielten. Diskrimierung gab es immer noch und sie wollte mit all dem nichts zu tun haben."

    Eine Geschichte, ein Teil von Memphis. Genau wie Martin Luther King, Elvis Presley oder Otis Redding.