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Auf der Suche nach gemeinsamen Ansätzen

"Das sowjetische Imperium brach gerade rechtzeitig zusammen: Bundesrepublik und DDR konnten sich vereinigen, als es Deutschland noch gab und die Deutschen sich noch als Nation empfanden - wir hatten Glück."

Moderation: Hermann Theißen |
    Interview mit Peter Bender

    Bender:
    Wenn man sich den Zustand der vorigen vierzig Jahre nochmal verlängert vorstellt, vielleicht nochmal vierzig Jahre, dann wäre Honeckers Traum in Erfüllung gegangen, zwei deutschen Nationen, nicht nur Staaten.

    Theißen:
    Hätte es denn nach dem Zusammenbruch des Sozialismus, wo der nicht mehr aufhaltbar war, hätte es da eine Alternative zu dieser praktizierten Vereinigung gegeben? Hätte es einen dritten Weg gegeben?

    Bender:
    Es hatte eine Reihe von Leuten, Kräften, Gruppen gegeben, die sich das gedacht haben, hinter denen stand politisch viel zu wenig, als dass es eine Chance gehabt hätte, sich durchzusetzen. Fast alle dieser Bürgerbewegungen, die in der DDR die Revolution geschafft haben, haben nicht geschafft wirklich viel von der DDR einzubringen - so nannte man das damals - und das heißt soviel, DDR einzubringen, dass so etwas wie ein dritter Weg möglich gewesen wäre. Dieser großer Aufbruch von Christa Wolf und einer Reihe von anderen Künstlern, der ungefähr das sagte und dessen zweiter Teil, der sehr prophetisch fast war, sagte, wenn wir jetzt nicht etwas für den dritten Weg durchsetzen, dann werden wir ziemlich übernommen vom Westen und es wird nicht mehr viel von uns übrigbleiben. So war es dann ja auch.

    Theißen:
    Sie nennen Ihr Buch im Untertitel "Eine ungeteilte Nachkriegsgeschichte". Das heißt, Sie schreiben eine Geschichte, die es gar nicht gibt.

    Bender:
    Nein. Ich würde sagen, ich schreibe die einzige Geschichte, die es gibt. Denn bisher ist ja, mit geringen Ausnahmen, die deutsche Nachkriegsgeschichte nach '45, spätestens ab '49, getrennt geschrieben worden. Eine Geschichte Bundesrepublik, eine Geschichte DDR. Seit siebzehn Jahren nach der Vereinigung, aber auch schon früher, fragt man sich, können wir uns das eigentlich noch leisten, die deutsche Teilung historiographisch auch noch mal nachzuspielen? Grotesk. Gegen diese Tendenz habe ich versucht, gemeinsame Ansätze zu finden und diese ganz verschiedenen Gebilde, diese beiden deutschen Staaten, historiographisch zusammen zu bringen und der Weg, auf dem ich es versucht habe, war, wegzukommen von dem Demokratie-Diktatur-Schema. Denn darüber ist ja schon genug gesagt worden. Daraus ergeben sich auch nichts wie Unterschiede. Aber beide sind deutsche Staaten gewesen. Es hieß, Nachfolgestaaten des Hitlerreiches, und damit haben sich unvermeidlich ergeben eine ganze Reihe von Fragen oder besser gesagt von Notwendigkeiten, die beide als Nachfolgestaaten des Deutschen Reiches erfüllen mussten. Egal welches System es war, die Bundesrepublik wie die DDR mussten mit der Nazihinterlassenschaft fertig werden. Sie hatten beide Großmächte über sich. Sie mussten aus einem Zustand sehr starker Abhängigkeit versuchen, zur eigenen Bewegungsfreiheit zu kommen, sich zu emanzipieren. Sie mussten beide sich mit dem Problem Teilung/Einheit auseinander setzen. Wie machen wir es? Es war ja nicht weg. Machen wir es auch gegen die jeweiligen, eigenen Bewölkerungen? Was haben sie jeweils gesagt und was haben sie jeweils getan? Also, eine Reihe von solchen Fragen, die gibt es,die, wie mir scheint, einen Ansatzpunkt bilden, um eine politische Geschichte zu schreiben. Politische Geschichte bedeutet für mich, dass sie nicht von ideologischen Vorgaben bestimmt ist. Das hat nichts damit zu tun, dass die Bundesrepublik der demokratische Staat war, in dem ich, Gott sei Dank!, gelebt habe und dass die DDR ein ziemlich mieses Gebilde war, dieser Staat wohl gemerkt.

    Theißen:
    Aber das interessante an Ihrem Ansatz ist, und deswegen habe ich es ja wirklich gerne gelesen, bei anderen Rückblicken auf die DDR ist seitenweise von der Staatssicherheit, von Bautzen, von der ganzen Repression die Rede, bei Ihnen kommt auch das Andere in den Blick. Es gab ja auch Zustimmung, es gab ja auch eine Identifikation mit diesem Staat eine Zeitlang.

    Bender:
    Ja vor allem kommt man mit dem Schema dafür und dagegen nicht aus. Ich glaube, man kann einfach unter solchen Verhältnissen nicht dauernd leben, ohne sich in einem gewissen Maße anzupassen, ja fast auch ein bisschen zu identifizieren. Was immer einer für einen Beruf hat, er musste ja nunmal unter den Verhältnissen, wie die DDR sie hatte, seine Sache machen können. Und da gab es durchaus auch einiges, was in vielen Bereichen gar nicht abstoßend war, sondern dass sich die Leute ganz gut eingefügt haben. Diese schwierige Lage plus Pro und Contra zum Regime, das wird ja, für mein Gefühl, 1990 zu wenig differenziert betrachtet. Ich habe mich in den ersten Jahren nach 1990 zurückversetzt gefühlt in die Bundesrepublik der 50er Jahre. Es war der gleiche, dogmatische, engstirnige Antikommunismus, der fast nichts mehr von dem bewahrte, was sich seit den 70er Jahren an vernünftiger, realtistischer, fragmatischer Betrachtungsweise eingestellt hatte.

    Theißen:
    Das war das Eine. Was mir auch aufgallen ist, das Andere, was ich selber überraschend fand, war diese große Zustimmung zu der Vereinigung. Ich bin in dem Jahr, 1954, geboren, wo Sie schon Journalist waren, das ist eine andere Generationenperspektive. Und in unserer Sozialisation spielte die Deutschlandfrage eine untergeordnete Rolle. Wir waren orientiert nach London, nach Paris, nach Brüssel. Warschau oder Ostberlin, das war eine andere Welt und trotzdem gab es diese große Zustimmung.

    Bender:
    Das Problem der Einheit war ja doch, dass sie in den Reden zum 17. Juni vorkam, aber niemand, nahezu niemand eine Verwirklichungschance gesehen hat. Und etwas, was ich nicht mehr erwartet habe, geschieht plötzlich - und das muss man ja nicht vergessen - es geschieht in einer ungewöhnlich eindrucksvollen, dramatischen Form. Was sich da abgespielt hat hier in Leipzig, in der gesamten DDR, eine Revolution im friedlichen Sinne mit der die Vereinigung von den Ostdeutschen erzwungen wurde. Die haben etwas in Gang gebracht, was niemand mehr aufhalten konnte, Moskau nicht, Washington nicht und die beiden deutschen Regierungen schon gar nicht. Das heißt, die Form, in der sich das Unerwartete einstellte, die war so eindrucksvoll, dass sich kein Mensch mehr mit ein bisschen Gefühl dem entziehen konnte.

    Theißen:
    Soweit Peter Bender. Sein Band "Deutschlands Wiederkehr - Eine ungeteilte Nachkriegsgeschichte 1945 - 1990 ist bei Klett Cotta in Stuttgart erschienen, 330 Seiten, Euro 23,50.