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Auf der Suche nach Harmonie

Die Unterschiede in den steuerpolitischen Traditionen, die Gegensätze in den Vorstellungen über Steuergerechtigkeit und der real existierende Steuerwettbewerb: Das sind die Hauptprobleme der europäischen Steuerlandkarte.

Von Constanze Hacke | 22.06.2009
    O-Ton Umfrage:

    "Ich glaube nicht, dass es in der Steuererklärung eine EU-Steuer gibt; jedenfalls ist es mir noch nicht aufgefallen."

    "Ich mache mir schon einige Gedanken darüber, aber wirklich wissen - nein, ich weiß es nicht wirklich. Man sollte die Bürger in der Beziehung vielleicht etwas besser aufklären."

    "Wir Deutschen sind die besten Nettozahler, wie ich weiß."

    "Ich nehme an, dass es über die Steuerzahler finanziert wird."

    "Wie das genau gemacht wird? Keine Ahnung, weiß ich nicht."

    "Und es geht ja alles von unseren Vermögen ab. Jetzt kommen die vielen ärmeren Länder dazu und die wollen absahnen. Und wir zahlen."

    Deutschland zahlt - Europa nimmt. Diese verkürzte Ansicht steckt noch in vielen Köpfen. Wie sich die Europäische Union allerdings tatsächlich finanziert, ist vielen Menschen völlig schleierhaft. Denn in Wirklichkeit sind die Finanzströme innerhalb der Gemeinschaft komplizierter.
    Für 2009 beläuft sich der Etat der Europäischen Union auf rund 116 Milliarden Euro. Das Geld dafür stammt aus einem Mix von Einnahmen: Dazu gehören Agrarzölle und Zuckerabgaben sowie Zölle, die an den EU-Außengrenzen erhoben werden. Daneben fließt auch ein festgesetzter Anteil der Mehrwertsteuereinnahmen der Mitgliedsstaaten in die gemeinsame EU-Kasse. Den größten Teil der sogenannten Eigenmittel machen jedoch die Beiträge aus, die die einzelnen Länder zahlen müssen. Diese orientieren sich an der Wirtschaftskraft, am Bruttosozialprodukt. Kredite darf die EU nicht aufnehmen. Und noch ein ganz entscheidender Unterschied besteht zu einem normalen nationalen Haushalt: Die EU erhebt keine eigenen Steuern. Auch ein gemeinschaftliches, europäisches Steuerrecht existiert bislang nicht. Die Kompetenz in Sachen Steuern liegt weiterhin bei den Mitgliedsstaaten. Immerhin war man sich bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaft einig, dass ein gewisses Maß an steuerlicher Harmonie für einen gemeinsamen Binnenmarkt wichtig ist.

    EG-Vertrag, Artikel 93
    Der Rat erlässt auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses einstimmig die Bestimmungen zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern, die Verbrauchsabgaben und sonstige indirekte Steuern, soweit diese Harmonisierung für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts notwendig ist.


    Seit 1993, seitdem es offiziell einen europäischen Binnenmarkt gibt, gestaltet die EU daher die nationalen Verbrauchsteuergesetze entscheidend mit. Harmonie sollte künftig nicht nur darin bestehen, was genau besteuert werden darf. Auch der Wettbewerb zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten im Binnenmarkt sollte durch Verbrauchsteuern nicht verzerrt werden. In Deutschland sind aus diesem Grund sogar mehrere Steuern abgeschafft worden. Dazu zählen einige der ältesten Abgaben, die es hierzulande gab: die Salzsteuer, die Zuckersteuer, die Teesteuer und auch die Leuchtmittelsteuer. Professor Christoph Spengel von der Universität Mannheim, Experte für europäische Steuerpolitik, erläutet, warum vor allem die Mehrwertsteuer auf europäische Linie gebracht wurde:

    "Die Gemeinschaft hat das Ziel, den Geschäftsverkehr, den Handel nicht zu behindern. Da liegt es auf der Hand, die Umsatzsteuer anzugleichen bis ins Detail. Die Bemessungsgrundlage ist vereinheitlicht, das System ist vereinheitlicht, dass Unternehmen die bezahlte Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen dürfen. Vereinheitlicht ist auch der Steuersatz: Der darf sich in einer Bandbreite von 15 bis 25 Prozent bewegen."
    Warum aber gibt es weiterhin 27 verschiedene Systeme, die Steuern auf Einkommen und Vermögen - also die sogenannten direkten Steuern - zu ermitteln und einzutreiben?

    "Nennen wir einfach mal zwei: Das ist die Einkommensteuer, die alle bezahlen, die auch Unternehmen bezahlen, so sie Personengesellschaften oder Einzelunternehmen sind, und die Körperschaftssteuer für Kapitalgesellschaften. Warum haben wir da keine stärkere Harmonisierung? Weil es unendlich schwieriger ist, so etwas auch systematisch und auch im Sinne eines politischen Konsenses umzusetzen. Wir haben in Europa - auch in Deutschland - deutlich niedrigere Körperschaftssteuersätze als Einkommensteuersätze. Um es kurz zu machen, jede Angleichung der Unternehmenssteuer zieht Angleichung bei der Einkommensteuer nach sich. Und das ist sehr teuer."
    Im Grunde genommen machen die einzelnen Mitgliedsstaaten also in punkto direkte Steuern weiterhin das, was den nationalstaatlichen Interessen am meisten nützt. Dazu gehört für einige Länder, sich im steuerlichen Wettbewerb immer weiter zu unterbieten - und damit eine Trumpfkarte für den eigenen Standort auszuspielen.
    Dies wurde bei der letzten großen Erweiterung vor fünf Jahren deutlich, als sich ein steuerpolitischer Graben zwischen neuen und alten Mitgliedsstaaten auftat: In der Kritik standen vor allem die niedrigen Unternehmenssteuersätze in den osteuropäischen Beitrittsländern. Von einem unfairen Steuerwettbewerb war die Rede - aber auch von Mindeststeuersätzen, die europaweit festgelegt werden sollten.
    Übrig geblieben von dem handfesten Streit sind die Bemühungen der Mitgliedsstaaten, das eigene Steueraufkommen zu erhalten und zu schützen; und dafür immer neue nationale Regelungen zu treffen. Denn wenn es um Steuern geht, ist der Kern staatlichen Handelns betroffen, wie Rolf Diemer, Referatsleiter in der Generaldirektion Steuern und Zollunion bei der EU-Kommission in Brüssel, feststellt:

    "Es geht um die Einnahmen, die dazu dienen, staatliche Ausgaben und damit auch staatliche Politik zu finanzieren. Und es ist nun mal so, dass zum Beispiel der Sozialstaat eine unterschiedliche Bedeutung hat. Manche Mitgliedsstaaten möchten ein sehr weit ausgebautes soziales Netz verwirklichen, andere sind da etwas bescheidener. Und selbst da, wo der Sozialstaat weit ausgebaut ist, wird er teilweise im Wesentlichen über Steuern finanziert - das wäre der Fall zum Beispiel in Dänemark, wo man Sozialversicherungsabgaben so gut wie überhaupt nicht kennt. Und in anderen Staaten - Frankreich, Tschechien, vielleicht auch Deutschland - sind die Sozialversicherungsbeiträge die wesentliche Finanzierungsquelle. Und dies zu harmonisieren, ist natürlich durchaus sehr schwierig."
    In einer europaweit verflochtenen Wirtschaft wirken sich Steuern aber nicht nur im eigenen Land aus, sondern auch in anderen Staaten. Zum Beispiel, wenn Waren oder Dienstleistungen ins Ausland verkauft werden - oder Menschen sich jenseits der nationalen Grenzen eine Arbeit suchen.
    Der Mann mit den angegrauten Schläfen und dem schwarzen Cord-Jackett schiebt sich die Nickelbrille auf der Nase hoch. Hinter ihm hängen Landkarten und Kalender; bunte Tabellen sind eng nebeneinander gepinnt, auf zwei schmalen Wandregalborden stapeln sich Broschüren. An den aufeinander gestellten grauen Ablagekästen kleben und rollen sich gelbe Haftnotizen, daneben dicht gedrängt mehrere Aktenordner. Herman Lammers lehnt sich in seinem Bürostuhl zurück: Kurze Pause für den Berater in der EUREGIO-Geschäftsstelle in Gronau. Hier, genau an der Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden, sollen Hürden genommen werden, die trotz EU-Binnenmarkt noch immer bestehen. Lammers berät gemeinsam mit seinen Kollegen von der EUREGIO-Initiative Arbeitnehmer und Unternehmen, die innerhalb der Europäischen Union Grenzen überschreiten wollen oder müssen. Sozialversicherungsrecht, Arbeitsrecht, Steuern - trotz Binnenmarkt und Freizügigkeit können sich in vielen Bereichen Probleme ergeben. Wie auch bei dem deutschen Speditionsfahrer, der gerade bei Lammers in der Sprechstunde war:

    "Diese Person wohnt in Deutschland, arbeitet dann für eine niederländische Firma und fährt durch ganz Europa als Fernfahrer. Schwierigkeit gibt es immer bei den Fernfahrern mit den Steuern. ES ist nämlich so, dass, wenn man in den Niederlanden dann fährt, in den Niederlanden versteuert werden und alle anderen Tage in Deutschland versteuert werden. Wenn man dann weiß, dass die Steuern in Deutschland manchmal dreimal so hoch sind wie in den Niederlanden, dann kann man sich vorstellen, dass das von brutto nach netto - also, was hat man in die Tasche, wovon kauft man sich das Brot - relativ niedrig wird. Niederländische Löhne sind ja meistens höher als in Deutschland, und der finanzielle Vorteil fällt dann ganz weg."

    EG-Vertrag, Artikel 39
    Innerhalb der Gemeinschaft ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet. Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedsstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.


    Die Realität sieht für Grenzgänger anders aus. Sie haben nicht nur mit den unterschiedlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten zu kämpfen, sondern müssen sich auch in einem Dickicht von Bürokratie zurechtfinden.

    "Denn wenn man zum Beispiel Steuervergünstigungen haben möchte, muss man das beantragen im Staat, wo man auch die Steuern zahlt, sonst kann überhaupt nichts zurückgezahlt werden. Ein Beispiel: Jemand arbeitet ein volles Jahr nur in den Niederlanden und hat in Deutschland keine Einkünfte, dann werden in Deutschland keine Steuern gezahlt und kann man auch nichts zurückverlangen. Also muss man in den Niederlanden eine Steuererklärung machen, um jedenfalls Steuergelder wieder zurückverlangen zu können. Jeder Grenzgänger hat zweimal soviel Papierkrieg wie ein anderer. Man hat ja mit zwei Staaten zu tun, mit zwei verschiedenen Instanzen."
    Und immer öfter kommt noch eine dritte dazu: Denn Steuern sind nach EU-Sicht nur solange eine Angelegenheit der nationalen Souveränität der Mitgliedsstaaten, wie sie grundlegendes europäisches Recht nicht verletzen. Das entscheidende Stichwort hierfür sind die vier Grundfreiheiten des Binnenmarkts: Freier Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital - auch das ist im EG-Vertrag festgelegt. Und bietet der EU eine Möglichkeit, sich in Steuerfragen einzumischen. Jan Sedemund, Fachanwalt für Steuerrecht bei der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg in Bonn, erklärt, wie.

    "Das ist der Europäische Gerichtshof, der sagt, Mitgliedsstaaten, ihr habt zwar eure Kompetenzen behalten, ihr dürft eure Steuergesetze im Prinzip so machen wie ihr wollt, ihr müsst aber darauf achten, dass das europarechtskonform ist. Und wann immer es zu einer Diskriminierung kommt - sprich ausländische Sachverhalte, grenzüberschreitende Sachverhalte schlechter gestellt werden als rein inländische Sachverhalte, besteht theoretisch die Möglichkeit, dass ein Eingriff, eine Verletzung der Grundfreiheiten - insbesondere der Niederlassungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit - vorliegt. Und das ist halt EG-rechtlich nicht zulässig."
    Bis so ein Fall allerdings auf europäischer Ebene gerichtlich entschieden ist, können 15 bis 20 Jahre ins Land gehen. Der Weg vom Steuerbescheid über die einzelnen Instanzen bis hin zu den europäischen Richtern ist weit. Und nur die nationalen Gerichte können sich rechtlich beim Europäischen Gerichtshof - EuGH - absichern, wann das gemeinschaftliche Recht gilt und wie es ausgelegt werden soll. Für den normalen Bürger ist eine Klage beim EuGH nicht möglich, so der Steuerjurist Sedemund:

    "Das sind in aller Regel Musterprozesse, so dass die Wirkung von EuGH-Entscheidungen rein faktisch, nicht formalrechtlich, in aller Regel darin zu sehen ist, dass das Bewusstsein des deutschen Gesetzgebers geschärft wird und der dann reagiert. Nur wenn Sie eine Verfahrensdauer haben von 15, 20 Jahren, ob das dann noch ein effektiver Rechtsschutz ist, das ist meines Erachtens nicht nur vom Europarecht her sehr fraglich, sondern auch vom nationalen Verfassungsrecht sehr fraglich. Denn das kann nicht sein, dass Sie so lange brauchen, um Ihr Recht zu kriegen."
    Dem Fiskus kommt eine solch langwierige Reaktionszeit entgegen. Denn die Urteile zu steuerlichen Vorschriften haben teilweise gravierende Folgen für die Etats in den Mitgliedsländern: Dadurch, dass nationales Steuerrecht an Gemeinschaftsrecht angepasst werden muss, ergeben sich immer wieder Steuerausfälle in Milliardenhöhe.
    Mittlerweile hat der Europäische Gerichtshof in mehr als 100 Urteilen zu direkten Steuern zu einem Bereich Stellung bezogen, der eigentlich in der Kompetenz der Mitgliedsstaaten liegt. Wäre eine Angleichung der Rechtssysteme da nicht einfacher? Der europäische Steuerexperte Spengel ist sich da nicht so sicher:

    "Es ist letztlich die Frage, auf welchem Niveau eine solche Harmonisierung stattfinden soll. Reden wir über Verhältnisse in Deutschland und Frankreich, wo wir traditionell sehr hohe Steuern haben, aber auch einen sehr aktiven Staat, der umverteilt aus Steuern, also einen großer Teil des Steueraufkommens wieder in Sozialleistungen transferiert oder reden wir über neu beigetretene Staaten wie Bulgarien oder Rumänien mit sehr niedrigen Steuern und sehr niedrigen Teilleistungen oder reden wir über einen etablierten Staat mit ebenfalls niedrigen Steuern wie Irland."
    Zudem ist Steuerpolitik immer auch Wirtschaftspolitik. Und derartige Lenkungsinstrumente möchte man ungern nach Brüssel übertragen. Die EU wiederum möchte die nationale Souveränität in puncto Steuern eigentlich nicht antasten.

    EG-Vertrag, Artikel 5
    Die Gemeinschaft wird innerhalb der Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig. In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedsstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können. Die Maßnahmen der Gemeinschaft gehen nicht über das für die Erreichung der Ziele dieses Vertrags erforderliche Maß hinaus.

    Und manche Dinge lassen sich zumindest dem jetzigen Verständnis der Union nach besser auf nationalstaatlicher Ebene regeln. Rolf Diemer von der Generaldirektion Steuern und Zollunion bei der EU-Kommission:

    "Es gibt sicher Steuerarten, die mit Europa gar nichts zu tun haben. Nehmen wir mal die Grundsteuer, die grundstücksbezogen ist - da stellen sich keine grenzüberschreitenden Fragen, warum muss man das harmonisieren. Es geht auf keinen Fall darum, Harmonisierung um ihrer selbst willen anzustreben, und das Subsidiaritätsprinzip gilt auch hier im Bereich des Steuerwesens."
    Bleibt die Frage, ob eine ureigene Gemeinschaftsaufgabe wie der Haushalt der Union nicht aus einer EU-Steuer finanziert werden sollte. Dass die gegenwärtige Situation ernstzunehmende Nachteile aufweist, belegt ein aktuelles Gutachten des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Darin heißt es, dass der Status quo den Transfercharakter des EU-Haushalts begünstigt: Nationale Regierungen seien vor allem an Ausgaben interessiert, die im eigenen Land sichtbar werden - und weniger an der Finanzierung gesamteuropäischer Politikfelder. Ob eine direkte EU-Steuer, wie sie immer wieder vorgeschlagen wird, dieses Problem beheben würde, bezweifeln die Autoren der Studie jedoch ebenfalls. Ein solcher Paradigmenwechsel in der europäischen Steuerpolitik wird von der EU-Kommission allerdings nicht grundsätzlich negativ bewertet. Rolf Diemer:

    "Vorteile gäbe es in dem Sinne, dass die EU-Steuer direkter ist, transparenter in Finanzierung der EU. Es wäre ganz sicher sehr viel Wert darauf zu legen, dass die EU-Steuer nicht zusätzlich zu den Beiträgen eingeführt würde, sondern dass sie diese ersetzen würde, also keine Erhöhung der Beiträge an die EU. Ein weiterer Vorteil wäre natürlich, dass man Debatten vermeiden könnte, wie sie ja immer wieder auftauchen, darüber, ob denn der Beitrag des ein oder anderen Mitgliedsstaates gerechtfertigt wäre, zu hoch, zu niedrig. Die direkte EU-Steuer würde das vermeiden, so dass man mehr auf die EU-Politik und weniger auf die etwas schwierige Debatte der Gerechtigkeit der jetzigen Beiträge sich fokussieren könnte."
    Angesichts der Einstimmigkeit, mit der steuerliche Beschlüsse auf EU-Ebene gefällt werden müssen, ist ungewiss, ob es eine solche Systemumstellung in naher Zukunft geben wird - ganz gleich, ob in Form einer eigenständigen EU-Steuer oder eines Europa-Zuschlags auf bestehende, nationale Steuern. Fachleute wie der Steuerjurist Sedemund weisen außerdem daraufhin, dass ein wie auch immer harmonisiertes Steuerrecht allein nicht ausreicht:

    "Ich glaube, was sehr wesentlich ist, dass man nicht nur das materielle Recht, die materiellen Steuern anpasst, sondern auch das Verfahrensrecht anpassen muss. Und da ist europaweit relativ wenig geregelt. Da gibt es ein paar Abkommen, da gibt es ein Amtshilfeverfahren, was in der Praxis mehr oder weniger gar nicht funktioniert, jedenfalls in gewissen Ländern nicht funktioniert. Da ist ein gewisser Aufholbedarf, und das klingt wahrscheinlich chauvinistisch: Da habe ich Vertrauen in ganz, ganz wenige Finanzverwaltungen - und da noch am ehesten in die deutsche. Das ist teilweise auch eine andere Denkstruktur."
    Die Unterschiede in den steuerpolitischen Traditionen und Gerechtigkeitsvorstellungen, der real existierende Steuerwettbewerb: All das zeichnet eine europäische Landkarte voller singulärer Interessen. Vielleicht sollten Politiker aufhören, die Welt in Deutschland und Europa zu teilen. Denn der momentane Stillstand könnte über kurz oder lang weitreichende Folgen für die europäische Sache haben, meint der Mannheimer Wirtschaftsprofessor Spengel:

    "Es ist letztendlich notwendig, auch in den Kernbereichen eine Angleichung herbeizuführen, sonst ist die Idee eines gemeinsamen Marktes ad absurdum geführt. Gleiche Wettbewerbsbedingungen in einem zusammenwachsenden Markt mit gleicher Währung, gleichen Zinsen, das funktioniert ohne eine Angleichung der Steuern in den Kernbereichen nicht."