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Auf der Suche nach langfristigen Trends

Seit Jahrtausenden denken die Menschen über das Glück nach. Viele Glücksforscher greifen auf die weltweit einzigartigen Langzeitdaten des Sozio-oekonomischen Panels in Deutschland zurück. Was die Daten über den Glückszustand der Bevölkerung sagen, wurde auf einer Tagung zum 30. Jubiläum des Panels diskutiert.

Von Adalbert Siniawski | 26.09.2013
    "Wie zufrieden sind Sie gegenwärtig, alles in allem, mit Ihrem Leben?" Geben Sie einen Wert an auf einer Skala von 0 für "unzufrieden" bis 10 für "zufrieden". Diese Frage steht ganz am Ende des umfangreichen Fragebogens "Leben in Deutschland" – und diese an sich simple Frage ist das zentrale Instrument der Glücksforscher.

    In ihren Untersuchungen sprechen die Wissenschaftler in der Regel nicht vom Glück, sondern lieber vom "subjektiven Wohlempfinden" oder der "Lebenszufriedenheit" der Menschen. Denn Glück ist zwar ein schillernder Begriff, der für öffentliche Aufmerksamkeit sorgt, er ist jedoch reichlich undifferenziert. Ob jemand Glück hat oder glücklich ist oder zufrieden, macht einen Unterschied.

    "Wir sind ungefähr schon vielleicht ein bisschen glücklicher als in den Jahren, als wir begonnen haben, als in den 80er-Jahren."

    Sagt Jürgen Schupp, Direktor des Sozio-oekonomischen Panels. Der jüngsten Auswertung der Daten von 2012 zufolge stufen sich die Bundesbürger bei der Frage nach ihrer Lebenszufriedenheit im Schnitt bei 7 ein. Die größte Gruppe, also etwa ein Drittel der Befragten, wählt die 8. Eine Schlussfolgerung könnte also lauten: Trotz der andauernden Eurokrise sind die Deutschen offenbar ziemlich glücklich.

    Dem so genannten "Glücksatlas" zufolge, der unter anderem auf die Daten des Sozio-oekonomischen Panels zurückgreift, wohnt der glücklichste Deutsche in Hamburg, lebt in einer festen Partnerschaft, pflegt einen stabilen Freundeskreis und geht einer Vollzeitbeschäftigung nach. Die Ostdeutschen haben in Sachen Lebenszufriedenheit in den letzten Jahren gegenüber dem Westen deutlich aufgeholt – dazu beigetragen haben steigende Reallöhne und der Rückgang der Arbeitslosigkeit. Die Zunahme der Beschäftigung und des Gehalts sind zwei wichtige Glücksfaktoren, die sich in der Langzeitbeobachtung seit 1984 zeigen.

    "Es gab, nachdem wir gestartet sind, zunächst einmal einen Rückgang der allgemeinen Lebenszufriedenheit. Die Vereinigung Deutschlands bescherte, insbesondere in Westdeutschland, einen kollektiven Zuwachs an Lebenszufriedenheit und der dauerte so ein, zwei Jahre. Einen Tiefpunkt hatten wir 2004 und 2005 zu Zeiten der Hartz-Reformen und auch der großen Arbeitslosigkeit, die damals bei fast 5 Millionen war.

    Danach ging es wieder aufwärts aus diesem Tal. Es gab einen kleinen Zacken um die letzte Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, wo es wieder zurückging, aber in den letzten zwei, drei Jahren dürfen wir stolz darauf sein, dass die generelle Lebenszufriedenheit in Deutschland zugenommen hat. Die Geschichte mit dem Einbruch, oder den Zusammenhang mit der hohen Arbeitslosigkeit, das können wir unmittelbar letztlich auch belegen mit unseren Daten."

    Welchen Einfluss Arbeitslosigkeit und Armut auf das subjektive Wohlbefinden haben und insbesondere ob sich Menschen mit der Zeit an schlechtere Lebensverhältnisse gewöhnen, hat eine Forschergruppe um die Sozialwissenschaftlerin Conchita d’Ambrosio von der Universität Luxemburg untersucht.
    Die sogenannte Adaptionsthese in der Glücksforschung geht davon aus, dass Menschen nach einem stark positiven Lebensereignis, wie zum Beispiel einem Lottogewinn, oder einem stark negativem Ereignis innerhalb von ein bis zwei Jahren zu einem stabilen Level des Glücklichseins zurückkehren.

    Der sogenannten Set-Point-Theorie zufolge hat jeder Mensch einen fest justierten Glückwert, von dem er bei bedeutenden Ereignissen nur für relativ kurze Zeit abweicht. Der US-Verhaltensgenetiker David Lykken hat gemeinsam mit dem Psychologen Auke Tellegen plausibel nachgewiesen, dass dieser Sollwert durch unsere Kindheitserlebnisse und die Gene bestimmt wird. Doch kehren Menschen, die in Krisenzeiten in die Armut abgleiten, ebenfalls nach einer Weile zu ihrer Zufriedenheitsnorm zurück?

    "Wir haben zum einen bestätigen können, was man allgemein erwarten konnte: Wohlhabendere Menschen sind im Schnitt glücklicher als ärmere Menschen. Eine weitere Erkenntnis aus unseren Daten ist hingegen neu – und zwar, dass Menschen sich nicht an Armut gewöhnen: Armut ist am Anfang schlimm, und sie bleibt auch im Zeitverlauf schlimm.

    Und dabei ist es egal, ob man vor einem oder vor fünf Jahren sozial abgestiegen ist. Die Zufriedenheitskurve geht nicht auf das persönliche Normalmaß zurück, wie es nach anderen einschneidenden Lebensereignissen der Fall ist, wie beispielsweise Scheidung, Gehaltserhöhung oder Kindernachwuchs."

    D’Ambrosio sieht darin Implikationen für die Politik – nicht nur in den westlichen Staaten, die jetzt unter der Eurokrise leiden, sondern auch den Entwicklungsländern:

    "Politiker könnten versucht sein zu denken, dass Menschen, die in die Armut schlittern, mit der Zeit zu ihrer früheren Lebenszufriedenheit zurückkehren, und dass die Regierung sich deswegen keine großen Sorgen machen muss. Mit unseren Ergebnissen zeigen wir, dass Armut eine Bedrohung für die Gesellschaft bleibt, weil sich die Menschen nicht mit der Armut arrangieren."

    Doch inwieweit kann Geld glücklich machen? Diese Frage wurde empirisch breit untersucht. Der Schweizer Ökonom Bruno S. Frey beschreibt 2010 in einem Buch zur Happiness, dass Menschen mit höherem Einkommen im Durchschnitt glücklicher sind als Menschen mit niedrigerem Einkommen. Doch der Grenznutzen eines höheren Verdienstes sinkt, sobald Menschen in obere Einkommensklassen gelangen. Sprich: Wer viel verdient und noch etwas mehr bekommt, wird nicht wesentlich glücklicher. Frey sieht zwei Mechanismen als Ursache.

    Erstens: Wir vergleichen uns mit anderen. Uns interessiert nicht die absolute Höhe unseres Verdienstes, sondern vielmehr unsere Position auf der Einkommensleiter im Vergleich zu den Anderen – also das relative Einkommen. Und zweitens: Wir gewöhnen uns rasch an ein höheres Einkommen, das uns eine bessere materielle Versorgung erlaubt. Obwohl in vielen Ländern das Pro-Kopf-Einkommen gestiegen ist, sind die Menschen nicht wesentlich glücklicher geworden.

    Zu diesem Ergebnis kam auch der US-Ökonom Richard A. Easterlin, als er 1974 in einer Meta-Analyse 30 Umfragen aus 19 verschiedenen Ländern und mehreren Jahren untersuchte. Obwohl der Lebensstandard in Ländern wie den USA und Japan in wenigen Jahrzehnten rasch gestiegen ist, erhöhte sich die Zufriedenheit der Einwohner nicht signifikant. Vergleicht man das Pro-Kopf-Nationaleinkommen mit dem Lebensglück über Landesgrenzen hinweg, gibt es kaum einen Effekt: Wohlhabendere Völker sind nicht wesentlich zufriedener als ärmere Nationen. Man nennt diesen Befund das Easterlin-Paradox.

    Daraus könnte man den Schluss ziehen: Der alleinige Fokus auf das Wachstum ist keine Lösung. Das Glück hängt nicht nur am Einkommensniveau oder materiellen Gütern. Das sieht auch der Direktor des Sozio-ökonomischen Panels, Jürgen Schupp, so:

    "Ist es wirklich das Geld allein, oder sind es nicht die Umstände, die mit dem Geld sozusagen zusammenkommen. Also: Ist es die höhere Bildung, die einhergeht mit dem höheren Einkommen? Sind es die besseren, verlässlicheren Netzwerke, die Menschen haben? Ist es die bessere Gesundheit, die man sich leisten kann oder das bewusstere Ernährungsverhalten?

    Und dann stellen wir fest, dass Investitionen in vergemeinschaftende Aktivitäten, also sprich: dass ich mit Freunden zusammen bin, dass ich mich ehrenamtlich engagiere, dass ich dem Nachbarn helfe – dass solche Veränderungen, die wir im Lebenslauf messen und identifizieren, eine viel höhere Glückrendite nach sich ziehen, als wenn da eine Lohnerhöhung von 500 oder 800 Euro kommt."

    Dass wichtige Entscheidungen im Leben – entgegen der Aussagen der Set-Point-Theorie – die Glückkurve nachhaltig nach oben treiben können, hat der Soziologe Bruce Headey von der Universität Melbourne mit seinen Kollegen nachgewiesen. Er hat die deutschen Panel-Daten mit ähnlichen Befragungen aus Großbritannien und Australien verglichen. Die Auswertung zeigt: Um die Glücksrendite zu steigern, sollte die tatsächliche Arbeitszeit möglichst mit den persönlichen Vorlieben übereinstimmen. Genauso wichtig ist der Einfluss der sozialen Faktoren, sagt Bruce Headey:

    "Wichtig ist, dass sie den richtigen Partner wählen. Menschen, die eher neurotische oder emotional instabile Partner heiraten, haben eine unglückliche Zeit vor sich. Menschen, die altruistisch und sozial eingestellt sind und die sich in einer Gemeinschaft engagieren, führen ein glücklicheres Leben, als diejenigen, die nur auf Karriere und Finanzen schielen.

    Auch kleinere Dinge haben einen Einfluss auf die Zufriedenheit: Wer sich regelmäßig bewegt zum Beispiel, tendiert dazu, glücklicher zu sein. Heutzutage haben wir mehr Möglichkeiten als früher, unser Leben so zu gestalten, wie wir es wollen und damit haben wir vielleicht auch mehr Möglichkeiten, unsere Lebenszufriedenheit zu steigern. Aber Menschen treffen auch falsche Entscheidungen im Leben. Also ist das gar nicht so einfach."