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Auf der Suche nach Parallelen

Medizin. - Die so genannte Spanische Grippe tötete 1918 weltweit nach neuesten Schätzungen 50 Millionen Menschen. Forscher sehen Ähnlichkeiten zwischen dem Erreger von 1918 und H5N1, dem Erreger der Vogelgrippe von heute. Das alarmiert die Wissenschaftler, schafft aber auch Hoffnung. Denn wenn sie den Ursprung der weltweiten Grippeepidemie von 1918 verstehen, haben sie gegen die Vogelgrippe von heute viel eher eine Chance.

Von Kristin Raabe | 08.02.2006
    Der größte Massenmörder aller Zeiten wäre ohne den ersten Weltkrieg kaum denkbar. Ein winziges Grippevirus forderte mehr Opfer als Bomben, Giftgas und alle anderen Waffen, die in diesem Krieg eingesetzt wurden. Und es waren die Soldaten selbst, die in ihren Körpern mit dem Krieg das Virus von Land zu Land und Kontinent zu Kontinent transportierten. So gefährlich dieses Virus damals auch war: Heute hätten wir von dem Erreger von 1918 kaum noch etwas zu befürchten. Das meint jedenfalls John Oxford vom Royal Hospital in London:

    " Jeder über 50 ist immun gegen die Grippe von 1918. Denn dieses Virus ist nicht einfach so verschwunden. Es zirkulierte noch eine ganze Weile in der Bevölkerung, mindestens bis 1957. Jeder, der vor 1957 geboren wurde, hat also eine gewisse Immunität. Außerdem entkam 1977 ein sehr ähnliches Grippevirus aus einem Labor und dieses Virus gibt es immer noch. Es gibt also viele Menschen, denen das Virus von 1918 heute nichts mehr anhaben könnte. Dagegen gibt es gegen H5N1, den Erreger der Vogelgrippe, keine Immunität. Zu Zeit ist H5N1 viel gefährlicher als das Grippevirus von 1918. "

    Gefährlich ist H5N1, der Erreger der Vogelgrippe, auch deswegen, weil es mit dem Erreger der weltweiten Epidemie von 1918 soviel gemeinsam hat. Das zeigt sich besonders an dem so genannten Hämagglutinin, einem Eiweiß, das dem Virus dabei hilft in seine Wirtszelle einzudringen.

    " Wenn Sie die Röntgenstrukturanalyse des Hämagglutintins von H5N1 ansehen und sie mit der des Virus von 1918 vergleichen, dann ist die Verwandtschaft deutlich zu erkennen. Der Erreger der zur Zeit grassierenden Vogelgrippe hat mehr also nur einen Touch vom Erreger der Pandemie von 1918. Und schließlich wissen wir ganz genau, dass das Virus von 1918 ziemlich direkt vom Vogel auf den Menschen übergegangen ist. Das alles macht uns natürlich nur noch misstrauischer, denn mit H5N1 haben wir dieselbe Situation. Er gibt also einige ziemlich unglückliche Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Grippeviren."

    John Oxford hat eine große Hoffnung: Wenn er versteht, welche Entwicklung das Virus von 1918 durchlaufen hat, dann könnte er vielleicht auch verstehen, was dem derzeitigen Erreger der Vogelgrippe noch bevorsteht und vielleicht sogar verhindern, dass das heutige Virus dieselbe Entwicklung durchläuft und damit auch genauso gefährlich wird.

    " Ich wollte einfach wissen, wie dieses Virus 1918 plötzlich an so verschiedenen Orten gleichzeitig quasi explodieren konnte - an so entfernten Orten wie Afrika, Australien, Deutschland, Amerika, Frankreich, und England. Der Ausbruch muss langsam begonnen haben. Wahrscheinlich hat er schon mindestens ein halbes Jahr vorher angefangen. Schließlich fand einer meiner Studenten in der Fachzeitschrift "The Lancet" eine Veröffentlichung über einen Ausbruch in einem Armeelager irgendwo in Frankreich. Die Symptome der Spanischen Grippe waren dort alle beschrieben, es hieß auch, dass es sich wahrscheinlich um eine neue Krankheit handelte. Es dauerte Monate, bis wir von der Armee alle notwendigen Informationen bekamen und wussten, dass dieses Lager in Etaples in Nordfrankreich lag. Etaples war riesig. 100.000 junge Soldaten lebten dort, es gab Schweine und Hühner zu ihrer Versorgung. Etaples war 1917, als der Ausbruch begann, wie Hongkong heute im Jahr 2006."

    Leider fehlen John Oxford noch Gewebeproben der verstorbenen Soldaten aus dieser Zeit. Die wären wichtig, um den endgültigen Beweis zu liefern, dass es sich bei dem Ausbruch in Etaples tatsächlich um die Spanische Grippe handelte.

    "Dieses Camp in Etaples war wie Armageddon. Es gab dort 26 Lazarette. Die Ärzte und Krankenschwestern taten ihr Bestes. Sie behandelten verwundete deutsche Kriegsgefangene genauso wie französische und englische Soldaten. Als der Ausbruch begann, starben diese Soldaten innerhalb weniger Tage an einer respiratorischen Erkrankung, nicht an ihren Verwundungen. Besondere Besorgnis erregte immer der Tod eines deutschen Soldaten, da man Anschuldigungen fürchtete, die Deutschen wären ermordet worden oder hätten nicht die richtige Pflege erhalten. Bei jedem deutschen Soldaten gab es also eine Autopsie, um die Todesursache zu klären. Dabei wurden auch Gewebeproben aus der Lunge entnommen und konserviert. Wenn wir diese Proben nur finden könnten, dann hätten wir den endgültigen Beweis, dass es sich bei dem Ausbruch in Etaples tatsächlich um Influenza handelt. Und es wären die ersten frühen Proben, die wir überhaupt in die Hände bekämen. "

    Mit diesen Proben könnte John Oxford die Entwicklung des Killervirus von 1918 nachzeichnen. Dann ließe sich außerdem noch besser einschätzen, was uns mit der derzeitigen Vogelgrippe noch bevorsteht.