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"Auf die Berge will ich steigen ..."

Schon in der Zeit der Romantik war der Harz ein beliebtes Wandergebiet und Heinrich Heine besang ihn in seiner "Harzreise". Die deutsche Teilung teilte auch den Harz: Jahrzehntelang versperrte die Grenze Wanderfreunden den Weg. Heute führt der 75 Kilometer lange Harzer Grenzweg den früheren Grenzstreifen entlang von Walkenried am Südrand bis Ilsenburg im Norden mit Abstecher auf den Brocken.

Von Eva Firzlaff | 28.10.2012
    Das früher bedeutende Kloster Walkenried ist nun Museum. Von außen sieht man nur die große Kirchenruine, doch es lohnt sich reinzugehen. Gästeführerin Dorothea Bothe:

    "Das ist eben der Aha-Effekt. Man denkt: oh Ruine, und kommt dann in den gut erhaltenen Kreuzgang, die Klausur wurde restauriert, um den Gästen das so zu präsentieren."

    Drinnen finden Konzerte statt, das Museum zeigt Klosterleben und, womit das Kloster sein Geld verdient hat. Dem gehörten Anteile am Silber- und Kupferbergwerk von Goslar, Weinberge bei Würzburg, Wald und Felder ... Einige Gebäude der riesigen Domäne stehen noch.

    "Die hatten hier alles: Pferdeställe, Gesindehäuser, ein Hospital, das Gäste und Kranke aufgenommen hat. Es war in Feld und Forst und sämtlichen Werkstätten das pralle Leben hier."

    Doch im Bauernkrieg wurde die Kirche schwer beschädigt und später das Kloster verlassen. Am Kloster beginnt der Wanderweg, gekennzeichnet mit einem grünen G auf weißem Grund. Der Grenzweg nutzt oft den sogenannten Kolonnenweg der DDR-Grenzsoldaten. Gelochte Betonplatten - eine Folterstrecke für Radfahrer, dem Wanderer macht es nichts. Wir sind ziemlich alleine im Wald. 19 Kilometer sind es bis Hohegeiß. Als die Grenze noch dicht war, kamen mehr Gäste, erzählt die Pensionswirtin Ingrid Langner. Aus Westdeutschland, mal Grenze gucken... Die war gleich hinter ihrem Haus,
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    "Hinterm Haus ist noch ein kleines Stückchen Wiese und dort war damals auch für uns die Welt zu Ende. Wir konnten dann als die Grenze geöffnet war erst sehen, wie alles befestigt war. Wir hatten von vornherein nur den Zaun gesehen, den gepflügten Streifen, den Lochstreifen - sag ich immer - diesen Betonstreifen für die Kontrollfahrzeuge, aber weiter hinten war ja noch mehr. Da waren noch Hundegräben, ein Graben mit Betonplatten. Es waren teilweise auch Selbstschussanlagen, die später wieder abgenommen wurden, das war nur vorübergehend. Es waren Wachtürme da mit riesigen Scheinwerfern. Wenn sich irgendetwas rührte, dann wurde sofort die ganze Umgebung ausgeleuchtet, damit ja nichts entging."

    Die Wachtürme sind verschwunden. Wir laufen auf dem früheren Grenzstreifen und staunen, wie schnell sich die Natur diesen zurückerobert. Die ehemals kahle Grenze erkennen wir nur noch daran, dass die Bäume ein bisschen kleiner sind, als die anderen, und gelegentlich an den Betonplatten. Vor dem kleinen Ort Sorge liegt im Wald der Ring der Erinnerung. Um ein großes Wiesen-Rund wurden alte Baumstämme zu einem wilden Verhau geschichtet. Daneben stehen noch einige Zaunsäulen, an denen einst der Streckmetallzaun befestigt war.

    Am Waldrand dann blieb ein Stück Originalzaun erhalten. Eine Mauer - wie in Berlin - wurde nur gebaut, wenn ein DDR-Dorf direkt an der Grenze lag, im Harz nicht.

    Im Tal der warmen Bode - so heißt ein Fluss - sehen wir kleine Kühe mit lockigem rotbraunen Fell und weißen Hörnern - das Harzer Rote Höhenvieh. Früher hatte jeder Bergbauer zwei bis drei Kühe. Doch dann verschwanden sie. Uwe Thielecke:

    "Tier war fast ausgestorben, regelrecht ausgerottet worden in den 70er-Jahren. Es war ursprünglich eine Dreinutzungsrasse, wurde also auch aus Zugtier eingesetzt, ist klar, dass man das nicht mehr brauchte. Und sie gab eben ein bisschen Milch und ein bisschen Fleisch. Deswegen ist die Rasse an sich unwirtschaftlich gewesen."

    Aber sie passt eben in die raue Bergwelt. Seine Kühe weiden im Naturschutzgebiet Bodetal - ehemals Grenzgebiet - und auf den Bergwiesen, die dadurch erhalten werden. Dafür bekam Bauer Thielecke als einer der ersten den Förderpreis "Naturschutzhöfe".

    "Weil wir eben 200 verschiedene Arten an Kräutern und Gräsern, letztendlich bunte Wiesen hier haben. Es ist nicht nur eine Grasart, die viel Eiweiß oder Energie produziert für eine wirtschaftliche Landwirtschaft. Sondern wir haben eben bunte Kräuterwiesen, wo eben nicht nur die Rinder von fressen, sondern auch Schmetterlinge und anderes Kleingetier von leben können."

    Und auch den Wanderer erfreut die Blütenpracht. Seine Harzkühe fressen nur das, was sie auf der Weide finden, oder im Winter das Heu von den Bergwiesen. Die umliegenden Gastwirte schätzen das aromatische Fleisch.

    Wo die Bremke in die Bode mündet, steht die "Silberfuchsfarm", wo man tatsächlich mal Silberfüchse gezüchtet hat. Dann wurde es eine kleine Gastwirtschaft für Wanderer aus Braunlage. Später war der Bach hinterm Haus die Grenze und die Bäume auf der Ostseite gab es nicht, man guckte auf einen kahlen Grenzstreifen.

    "Wer das nicht kannte, kann sich auch gar nicht vorstellen, dass die Mauer oder eben der Zaun hier lang ging, es war ein Zaun mit Todesstreifen."

    Jan Schröder hat das alte Haus umgekrempelt zum gastfreundlichen Pausenplatz am Grenzwanderweg. Ziel unseres zweiten Wandertages ist Schierke, das lag im Grenzgebiet und war damals nur mit Passierschein zu betreten. Der schönste Aufstieg zum Brocken führt von Schierke über den Eckerlochstieg. Ein steiler Aufstieg über Stock und Stein, kein gemütlicher Wanderweg, lässt er die Harzsagen lebendig werden, von Geistern, die sich riesige Steine zuwerfen.

    Und gelegentlich hören wir die Brockenbahn schnaufen. Ja, man kann es auch bequemer haben. Der kleine Dampfzug fährt von Wernigerode über Schierke bis auf den Brocken. Der war 28 Jahre für Besucher gesperrt, war aber nicht die Grenze. Die verlief 2,5 Kilometer westlich vom Brocken. Selbst als schon Wanderer wieder auf den Brocken kamen, saß noch eine russische Abhör-Einheit oben. Daran erinnert eine riesige Parabolantenne, zu sehen im Brockenhaus. Nationalpark-Ranger Mario Netzel.

    "Der Wurmberg war eine Abhörstation. Auf dem Stöberhai war - glaube ich - der Franzose drauf. Dann gibt es den Bocksberg bei Hahnenklee, da waren auch die Franzosen drauf. Und wir hatten die Staatssicherheit hier oben auf dem Brocken. Die dann von hier aus bis zum Atlantik, zum Ärmelkanal, bis nach England abgehört haben."

    Und die NATO horchte bis zum Ural. Das Brockenhaus informiert über das Militär auf dem Brocken und den Nationalpark. Die neuen Wanderkarten verzeichnen neben dem Brocken drei weitere Tausendmetergipfel, zu DDR-Zeiten gab es diese nicht.

    "Das ist hier der Kleine Brocken und die Heinrichshöhe und natürlich der Königsberg - die Berge, die über 1000 Meter hoch sind. Aber die Berge waren ja damals im Sperrgebiet gelegen und waren auch kartografisch nicht aufgenommen worden in die freiverkäuflichen Wanderkarten. Das Wandergebiet an der Grenze entlang gab es auf Karten nicht."

    Der Wald hat viele Gesichter: mal leuchtendes Grün, mal mystisch. Unter riesigen Steinen plätschert die versteckte Ilse. Wir genießen das grenzenlose Wanderparadies, steigen ab vom Brocken runter nach Ilsenburg wie einst Heinrich Heine. Nach ihm ist der wild-romantische Wanderweg direkt an der Ilse benannt.
    Schon 995 wurde die königliche Jagdpfalz Ilsenburg erstmals erwähnt und kurz darauf das Benediktiner-Kloster gegründet. Auch dieses hatte, wie das Kloster Walkenried, im Bauernkrieg gelitten. Später bauten die Grafen von Stolberg-Wernigerode rings um die Klosterkirche ihr Schloss und bezogen auch einige romanische Klosterteile mit ein. Eine Stiftung sorgt nun dafür, dass Kloster und Schloss erhalten und genutzt werden. Die gut 900-jährige Klosterkirche gehört zur Straße der Romanik, die etwa 80 Bauten in Sachsen-Anhalt verbindet.
    Der ehemalige Kolonnenweg der DDR-Grenzsoldaten besteht aus gelochten Betonplatten.
    Der ehemalige Kolonnenweg der DDR-Grenzsoldaten besteht aus gelochten Betonplatten. (Eva Firzlaff)
    Harzer Grenzzaun
    Harzer Grenzzaun (Eva Firzlaff)