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Auf die Empfindung kommt es an

Technik. - Rund achtzig Prozent aller Deutschen fühlen sich von Lärm gestört. Doch Lärm und vor allem störender Lärm sind offenbar stärker vom persönlichen Empfinden abhängig, als bislang gedacht. Bei künftigen Messungen wollen Forscher diesen Aspekt stärker berücksichtigen. Am Institut für Technische Akustik der TU Berlin wird an Methoden dafür gearbeitet.

    In der Regel werden Schallpegel zur Beurteilung der Lärmbelästigung gemessen. Doch ist inzwischen bekannt, dass ein und derselbe Pegel je nach Umgebung unterschiedlich empfunden wird. Auch kann die Art des Geräusches bei gleicher Lautstärke die Belästigung beeinflussen. Lärmforscher wollen solche Faktoren künftig berücksichtigen: mit Hilfe so genannter Soundscapes, die die Akustik von Straßen und Plätzen einfangen. Brigitte Schulte-Fortkamp vom Institut für Technische Akustik an der TU Berlin hat die Schlossstraße in Berlin auf ihre Soundscapes untersucht. Mit Fragebögen und Messgeräten ausgestattet, stellte sie sich mit ihren Studenten an verschiedene Abschnitte. Die ersten Ergebnisse waren erstaunlich. Wo schlichte Mietskasernen standen, fühlten sich die meisten Probanden vom Straßenlärm belästigt. In einem begrünten Teil der Straße, den schicke Gründerzeitbauten säumen, waren die Geräusche zwar genauso laut, sie irritierten aber viel weniger. Es gab allerdings auch Probanden, die sich hier besonders gestört fühlten: gerade wegen der schönen Umgebung.

    Nicht nur widersprüchliche Interpretationen, sondern allein schon die enorme Zahl der Faktoren, die die Lärmwahrnehmung beeinflussen können, stellt die Soundscape-Forscher vor Schwierigkeiten. Zudem gilt es, neben den externen Faktoren auch die Qualität der Geräusche selbst zu berücksichtigen. Rauhigkeit oder Tonhaltigkeit etwa bestimmen, wie angenehm oder unangenehm ein Geräusch empfunden wird. Um das zu ermitteln, benutzen die Wissenschaftler ein so genanntes Noisebook. Damit können sie akustische Signale so aufzeichnen, wie sie das menschliche Ohr wahrnimmt. Schulte-Fortkamp: "Was wir in den Wohnungen gefunden haben, war nicht nur die Belastung durch den hochfrequenten Schall, sondern auch durch tieffrequenten Schall. Der ganz offensichtlich bei Lärmmessungen gar nicht zum Tragen kommt. Es war ein ständiges Brummen in der Wohnung. Und zwar in allen Wohnungen. Bei einer Frequenz zwischen 50 und 100 Hz, teilweise sogar zwischen 20 und 50 Hz. Das sind unerträgliche Frequenzen, die sich in der Wohnung ständig einspielen."

    Forschergruppen in mehreren Ländern untersuchen derzeit, wie Fassaden und Baumaterialien den Schall in die Wohnung transportieren, und wie sich die auf Dauer gesundheitsschädigenden Frequenzen minimieren ließen. Die Untersuchungen stehen aber erst am Anfang, so wie die gesamte Soundscape-Forschung. Dennoch gibt es erste praktische Umsetzungen. So haben in Wien Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen - Soundscape-Forscher, Psychoakustiker, Stadt- und Raumplaner, Mediziner - gemeinsam mit Anwohnern Lösungen zur Lärmminderung in einem Innenstadtgebiet gesucht.

    [Quelle: Peter Podjavorsek]