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Auf die Ziege gekommen

Das Grand Staircase-Escalante National Monument, eines der schönsten Naturschutzgebiete im Südwesten Utahs, zieht sich wie eine riesige Treppe über fast 8000 Quadratkilometer. Doch nicht per Pferd, sondern in Begleitung von Ziegen ist die Erwanderung des Gebietes besonders reizvoll.

Von Marion Trutter |
    Diese Tour ist anders – schon vom ersten Moment an. Die Stiefel sind geschnürt, der Rucksack gepackt. Aber los geht’s noch lange nicht. Im Jeep meckern nämlich unsere Begleiter: vier ausgewachsene Ziegen. Sie werden unser Gepäck in den Canyon schleppen – aber erstmal müssen wir sie ordentlich beladen.

    Weiche Teile wie Schlafsäcke nah am Ziegenkörper, harte Teile nach außen. Schön abwechselnd ein Zelt in die linke Packtasche, eines in die rechte, eine Matte nach links, eine nach rechts. Immer wieder wird mit der Handwaage gecheckt, ob die beiden Packtaschen eines Tieres gleich schwer sind. Maximal erlaubte Abweichung: ein Pfund. Und dann müssen wir noch ein paar Regeln lernen – zur Sicherheit von Mensch und Ziege:

    "Wir berühren nie die Hörner der Ziegen. Sie lieben es, wann man sie im Gesicht oder am Hals krault. Dort könnt ihr sie gern streicheln, aber bitte nie die Hörner festhalten. Die Ziegen wandern am liebsten, wenn ein Führer voran geht, dann die Ziegenherde und dann die Wanderer. Manchmal vergessen die Tiere, dass sie diese großen Packtaschen aufhaben. Dann rennen sie euch von hinten in die Beine, um vorbeizukommen. Das kann wirklich gefährlich werden, vor allem auf steilen Pfaden. Achtet also darauf, dass die Ziegen immer vor euch bleiben."

    Endlich trotten wir los: drei Touristen, unsere Führer Shawn und Shari Miller – und vier Ziegen. Schnell begreifen wir auch in der Praxis: Die Ziegen haben Vorfahrt – sonst wird’s ungemütlich. Kaum hat sich ein Zweibeiner nach vorne gewagt, drängeln die Tiere mit ihren Packtaschen wieder an uns vorbei – ohne Rücksicht auf Verluste.

    Zuerst geht’s am Escalante River entlang. Um diese Jahreszeit ist alles noch frisch und grün. Die Bäume hängen ihre Äste ins Wasser, und immer wieder müssen wir den Fluss durchqueren. Rot und weiß gestreifte Felswände flankieren den Weg. Die Schichten des so genannten Navajo Sandsteins sind hier fast 700 Meter dick. Es sieht aus, als hätte sich da ein Steinzeitkünstler so richtig ausgetobt: Türme und Spiralen, natürliche Brücken, Überhänge und Höhlen – wohin man schaut die verrücktesten Formationen.

    Am Nachmittag steigen wir vom Fluss hoch auf ein riesiges Plateau. Dies wird unser Lagerplatz sein: traumhaft gelegen – mit Blick über Berge in tausend Farben, über weite Täler und enge Canyons.

    Und tatsächlich: Kurze Zeit später sitzen wir in den Zelten und staunen. Es regnet und hagelt und donnert – ein Gewitter mitten in der Wüste.

    Nach der kleinen Sintflut machen wir mit den Ziegen noch eine Erkundungstour. Durch Gras und Dickicht runter zum Bach. Die Tiere sind kaum zu bändigen – endlich frei und ohne schwere Last auf dem Rücken.

    Shawn führt uns zu einer Höhle. Dicke Rußschichten an den Wänden verraten, dass sie lange Zeit bewohnt war – von den Anasazi- und Paiute-Indianern, später von Trappern und Cowboys. Die Beweise hat Shawn im Sand entdeckt:

    "Dies hier ist das erste Knochenwerkzeug, das ich gefunden habe. Ihr seht, wie sie das Ende angespitzt und es als Ahle verwendet haben. Und hier – das ist ein "mano und matate", ein spanisches Wort für Mahlstein. Und irgendwo hier war auch eine Pfeilspitze. Ja – hier, schaut: Das ist das Mittelstück einer Speerspitze, das war wohl mal sechs oder acht Inches lang. Ich denke, diese Dinge liegen hier seit tausend Jahren – und sie sollen hier auch nochmal tausend Jahre bleiben. Deshalb verstecke ich sie jetzt, damit niemand sie mitnimmt."

    Ganz sorgsam verbuddelt Shawn die Schätze wieder im Sand.
    Wie die Trapper schlagen wir uns weiter durchs Unterholz. Und wir lernen eine Menge über die Pflanzen der Wildnis.

    "Diese Pflanze nennt man Wüstensalbei. Die Indianer benutzen sie zum Reinigen und klären. Das Faszinierende ist: Wenn du dich mit Salbei abräucherst, dann tötet der Rauch die Bakterien auf deiner Kleidung und Haut. Und dieser – wir nennen ihn Gummi-Hasenstrauch – ist eine Latexpflanze. Mit dem Latex haben die Indianer ihre Körbe wasserdicht gemacht."

    Von einem Strauch namens Squaw-Bush pflückt Shawn ein paar kleine rote Früchte. Man nennt sie Skunk-Beeren – und das mit Recht: Sie muffeln wie Stinktiere, schmecken aber nicht schlecht. Und sie haben viel Vitamin C, wie wir erfahren. Also nehmen wir gleich eine Handvoll mit – für eine Art Wüstenlimo zum Abendessen.

    Feierabend ist jetzt aber noch lange nicht. Wir haben nämlich keine normale Trekkingtour gebucht, sondern gleich das Goat Packing Seminar – für Leute, die mehr über Leben und Wandern mit Ziegen erfahren möchten. Mit den von Shari und Shawn geschriebenen Handbüchern sitzen wir vorm Zelt und lernen alles über die Merkmale verschiedener Rassen, über Vor- und Nachteile von Ziegen mit und ohne Hörner, über den richtigen Stall und das beste Futter. Wir erfahren, wie man aus Ziegenmilch Mozzarella macht – und wie man mit den Tieren umgeht.

    "Was dabei besonders wichtig ist: Ihr müsst wirklich die Zeit haben, um die Ziegen zu füttern und euch um sie zu kümmern. Außerdem brauchen sie einen sicheren Platz, wo ihr Heu trocken bleibt und wo sich kein Ungeziefer breit machen kann. Außerdem braucht ihr Zeit, um die Ziegen in Form zu halten. Ihr könnt sie nicht ewig im Stall stehen lassen und dann zu großen Touren aufbrechen und erwarten, dass sie das schaffen. Dafür könnt Ihr mit den Ziegen fit bleiben. Wenn ihr das alles geklärt habt und seht, dass ihr das hinkriegt, dann könnt ihr mit den Ziegen loswandern. Und Ziegen können eine Menge Spaß machen!"

    In den nächsten Tagen erkunden wir vom Lager aus einige Ecken des riesigen Naturparks – bis hinauf auf fast 2000 Meter. Shawn zeigt uns versteckte Canyons und Unterschlupfe, die sogar kaum ein Einheimischer kennt. Auf Händen und Füßen kraxeln wir zu einer Höhle. Sie liegt hoch über einer Schlucht, gut geschützt vor Wind, Regen und – vor neugierigen Menschen. Hier hat Shawn einen Schatz entdeckt, auf den manches Museum stolz wäre:

    Das ist ein wenig bekannter Getreidespeicher, den ich meinen Gästen gern zeige. Denn er ist immer noch intakt – eines der wunderschönen indianischen Stücke, die man hier draußen findet. Der Speicher ist ganz rund, etwa eins dreißig im Durchmesser und eins dreißig hoch, auf einem großen flachen Fels. Oben hat er ein Loch, wo mal ein Deckelstein draufsaß. Das Ganze ist aus Lehm mit eingesetzten Steinen und oben halten Holzstäbe das Dach zusammen. Und neben diesem großen Kornspeicher steht noch ein kleiner – nur 50 mal 30 Zentimeter groß. Darin liegt immer noch einer der größten Maiskolben, die ich hier draußen je gesehen habe.

    Auf einem Plateau in der Nähe stolpern wir am nächsten Tag über merkwürdige Kugeln – wie schwarzbraune Golfbälle, die halb im Gestein versunken sind. Dabei stammen sie tief aus dem Innern der Erde. Die Indianer nennen sie Moqui Marbles, was so viel heißt wie Treuer Schatz. Die Geologen nennen sie profan Limonitkugeln, aber viel mehr wissen sie nicht:

    Die Moqui Marbles sind Eisenkugeln, die vor Millionen von Jahren entstanden sind. Man nennt sie auch Blaubeeren vom Mars, denn auf dem Mars hat man auch solche Kugeln gefunden und festgestellt, dass sie Eisen enthalten. Die NASA hat dann hier im Naturpark untersuchen lassen, ob bei der Entstehung Wasser eine Rolle spielt. Sie gehören zu den ganz besonderen Dingen hier draußen – ich könnte sie den ganzen Tag anschauen.
    Auch Flüsse gilt es beim Ziegetrekking im trockenen Utah zu durchqueren
    Auch Flüsse gilt es beim Ziegetrekking im trockenen Utah zu durchqueren (Marion Trutter)
    Utah: Landschaftsimpressionen
    Utah: Landschaftsimpressionen (Marion Trutter)