So beginnt Tivadar Soros seine Memoiren eines Überlebenskünstlers. Er ist der Vater des berühmten George Soros, der mit seinen spektakulären Erfolgen an der Börse in New York weltberühmt wurde. Einen Großteil seiner enormen Geschäftsgewinne investierte er in sein weitverzweigtes Stiftungsnetzwerk in Ostmitteleuropa, das vor 1989 die Demokratie- und Bürgerrechtsbewegungen jenseits des Eisernen Vorhangs unterstützte und nach dem Fall des Kommunismus den Aufbau der Zivilgesellschaft förderte. Liest man die Lebenserinnerungen seines Vaters Tivadar Soros, so lässt sich leicht erschließen, woher die philantropischen Neigungen des Sohns George rühren.
Ich habe die Kunst des Überlebens von einem großen Meister gelernt.
schreibt Soros junior im Vorwort über Soros senior. Der aus einer relativ wohlhabenden jüdischen Familie stammende Rechtsanwalt Tivadar Soros hatte bereits im Ersten Weltkrieg aberwitzige Überlebensstrategien entwickelt. Nachdem er in russische Gefangenschaft geriet, in ein sibirisches Lager verschleppt wurde und ausbrach, schlug er sich auf abenteuerliche Weise durch das vom Bürgerkrieg zerrissene Russland gen Westen durch und landete nach Monaten schließlich wieder in Budapest.
Die Maskerade, so der Titel des Buchs, ist eine subjektive Widerstandsgeschichte Budapests, vom März 1944, als die Nationalsozialisten Ungarn besetzten, bis zur Befreiung durch die Russen im Februar 1945. Elf Monate lebten der Anwalt Tivadar Soros, seine Frau und seine Söhne Paul und George in ständiger Todesgefahr. Ende April begannen die ersten Deportationen nach Auschwitz. Anfang Juli hatten die Nationalsozialisten bereits eine halbe Millionen Juden, die gesamte jüdische Bevölkerung Ungarns außerhalb von Budapest, zur Vernichtung abtransportiert.
Soros‘ Großmut, seiner Menschenliebe, seinem unglaublichen Geschick und seiner Scharfsichtigkeit verdanken zumindest der engste Kreis seiner Familie, viele Freunde und Bekannte ihr Überleben. Während viele gelähmt vor Entsetzen waren, realisierte der Anwalt schnell, dass die gewaltsame Außerkraftsetzung bestehender Regeln und Gesetze nun zu ungewöhnlichen und verwegenen Handlungen zwingt: Kühn organisierte er falsche Ausweise und neue Quartiere und erfand die dazu passenden Biographien. Denn überleben konnte man in Budapest nur mit christlicher Identität. Mehr als die Hälfte der 280.000 Juden aus der Stadt wurden bis Kriegsende von den Nationalsozialisten und ihren ungarischen Helfern deportiert und umgebracht. Die erforderlichen Geldmittel für diesen Überlebenskampf besorgte Tivadar Soros aus seinem Handel mit gefälschten Papieren:
Ich hatte für die Dokumente drei Kategorien von Preisen. 1. für Menschen, die mir sehr nahe standen oder in einer ernsten Notlage waren, sie erhielten die Dokumente völlig unentgeltlich. 2. für Menschen, bei denen ich mich moralisch verpflichtet fühlte, keinen Gewinn auf ihre Kosten zu machen, sie zahlten nur meine Auslagen, ohne Rücksicht auf die aufgewandte Mühe oder das Risiko. Und 3. für meine reichen Mandanten; von ihnen verlangte ich, was der Markt hergab. In dieser Kategorie kannte ich keine obere Grenze.
Leidenschaftlich kritisierte Tivadar Soros die Politik des Judenrats und forderte vergeblich dessen Rücktritt. Ein Überleben sei nur möglich, wenn sich die Juden nicht in Ghettos oder Judenhäuser pferchen ließen, sondern sich auf eigene Faust durchschlügen. Lakonisch stellt er fest:
Meine Freunde waren dabei, aus eigenem Antrieb ins Schlachthaus zu gehen. Man musste sie nicht antreiben: Sie nahmen die Straßenbahn.
Trotz des wachsenden Terrors und der monströsen Grausamkeit - enge Freunde begingen Selbstmord, wurden abtransportiert oder auf offener Straße erschossen - ließ sich Tivadar Soros nicht entmutigen. Selbst in diesem Alltag unter ständiger Todesdrohung ging es ihm um die Wahrung ziviler Lebensformen. Im Schutz seiner falschen Identität besuchte er seine geliebten Cafés, ging ins Schwimmbad oder ins Theater, Orte, die den Juden längst streng untersagt waren.
Auf abenteuerliche Weise gelang es ihm, Fässer besten Weines aufzutreiben, die der Bestechung und dem eigenen Genuss dienten. Eine Art Kompensation für den nächtlichen Kampf gegen die Wanzen in der illegalen Notunterkunft. Trotz aller Widrigkeiten und Risiken hielt die Familie bis zum Ende des Kriegs und dem Einmarsch der Sowjets in Budapest stand. Seine Söhne gingen 1947 in die Emigration. Er folgte ihnen mit seiner Frau nach der Niederschlagung der Ungarischen Revolution im Jahre 1956 in die USA.
Obwohl die Memoiren Tivadar Soros‘ einem der grausamsten Zeitabschnitte der europäischen Geschichte gewidmet sind, macht sein Lebensmut und seine Lebenslust, sein warmherziger Humor die Lektüre dieses Buchs zu einem großen Genuss. Die Lebenserinnerungen dieses außergewöhnlichen Mannes, geschrieben frei von Bitterkeit und ohne zu moralisieren, bezeugen ein jüdisches Lebens, das den zugeschriebenen Opferstatus renitent und erfolgreich verweigerte.
Ulrike Ackermann über Tivadar Soros, Maskerade. Die Memoiren eines Lebenskünstlers. Der Band ist erschienen bei der Deutschen Verlags-Anstalt in München. 317 Seiten, 24,90 €.