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Auf halbem Weg zurück ins Wasser

Paläontologie. - Einige Säugetierarten haben sich vor rund 50 bis 35 Millionen Jahren für die Rückkehr ins Wasser entschieden. Ihre Nachfahren sind zum Beispiel die Wale. Wie die Anpassung der frühen Wale vonstatten ging, ist in der Fachwelt seit langem umstritten. Zwei Fossilienfunde könnten Licht in das Dunkel der Theorien bringen.

Von Michael Stang |
    Obwohl die Entdeckung der beiden Urwale in Pakistan schon eine Weile her ist, kann Philip Gingerich sein Glück noch immer kaum fassen.

    "Nach solch einem Fund habe ich 30 Jahre lang gesucht und die Hoffnung nie aufgegeben; natürlich war es eine Überraschung. Das muss jetzt nicht heißen, dass dieser Urwal automatisch der Vorfahre aller heutigen Wale ist, weil es aus dieser Zeit sehr viele ähnliche Formen gibt, aber er gehört definitiv in den Stammbaum der späteren Wale."

    Im Jahr 2000 und 2004 stießen der Paläontologe von der Universität von Michigan und seine Kollegen auf zwei gut erhaltene Skelette einer Walspezies, die Paläontologen als Missing Link bezeichnen. Also ein fehlendes Bindeglied im Stammbaum der Wale, über das die Forscher bislang nur spekulieren konnten. Die beiden 47,5 Millionen Jahre alten Vertreter von Archaeocet gehören zu einer ausgestorbenen Säugetier-Unterordnung, die nun Licht ins Dunkel bringen sollen.

    "Der wichtigste Aspekt ist, dass wir im Bauch des Weibchens ein reifes Baby gefunden haben, die Mutter muss kurz vor der Niederkunft gestorben sein. Überraschenderweise liegt das Kalb so im Mutterleib, dass es mit dem Kopf zuerst zur Welt gekommen wäre - das ist typisch für heutige Landsäugetiere, aber nicht für marine Säugetiere."

    Heutige Wale verlassen allesamt mit dem Schwanz voran den Mutterleib, dies minimiert die Gefahr, dass die neugeborenen Säugetiere ertrinken. Damit konnte Philip Gingerich erstmals zeigen, dass die frühen Wale noch an Land niedergekommen sind. Die Veränderungen in der Evolution hin zu einer Schwanzgeburt sind demnach erst viel später entstanden. Die im Kiefer des Ungeborenen gefundenen Zähne weisen auch darauf hin, dass es nach der Geburt für sich selber hätte sorgen können. Das zweite Fossil ist ein Männchen, gut zweieinhalb Meter lang. Als Beleg für die normalerweise schwierige Geschlechtsbestimmung führt der amerikanische Paläontologe die wesentlich größeren Eckzähne, die Form des Beckens und die Körperlänge des Urwalmännchens an.

    "Das ist das erste Mal überhaupt, dass wir etwas über das Geschlecht der Tiere erfahren. Früher wussten wir nie, ob es sich bei einem Fossil um ein Männchen oder ein Weibchen handelt. Aber das ist nicht alles. Diese Urwale repräsentieren genau den Übergang von Landsäugetieren, die wieder zurück ins Wasser gingen - ihre Vorfahren waren reine Landsäuger, ihre Nachfahren waren vollständig an das Leben im Wasser angepasst. Zehn Millionen Jahre dauerte diese Umstellung. Sie fraßen schon im Wasser, kamen jedoch regelmäßig an Land zurück um sich auszuruhen, sich zu paaren und dort auch den Nachwuchs zu gebären, denn es war ein langer evolutionärer Prozess von der Niederkunft an Land hin zur Geburt im Wasser."

    Wie andere primitive Urwale benutzten auch die beiden in Pakistan ausgegrabenen Exemplare ihre vier Beine zum Schwimmen - die Umwandlung zu Flossen sollte noch etwas dauern. Die Tiere konnten zwar noch ihr Gewicht an Land tragen, vermutlich kamen sie dort aber nicht mehr weit. Rund zehn Millionen Jahre später waren sie vollständig an das Leben im Wasser angepasst und sind gar nicht mehr an Land zurückgekehrt.