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Auf in den Westen

In Polen müssen Patienten lange auf Termine warten, zum Teil versagt die Notfall-Versorgung. Nun schlagen die Krankenschwestern Alarm. Sie seien vor allem in kleineren Orten unterbesetzt. Ein Grund ist auch die Abwanderung in europäische Nachbarländer wie Deutschland.

Von Sabine Adler | 09.08.2013
    Ob in Bialystok in Polens Osten oder in Opole im Süden, landauf landab werben Arbeitsvermittlungen für Pflegeberufe in Deutschland. So mancher Nationalist gerät bei dem Gedanken in Rage, dass polnische Krankenschwestern in Deutschland Alte pflegen.

    Die Zeitschrift "Nowe Panstwo", Neuer Staat, fragte kürzlich polemisch: "Wenn jemand den Teilnehmern des Warschauer Aufstands 1944 gesagt hätte, dass sich Polen ein paar Dutzend Jahre später freiwillig zum Bettpfannenwechseln bei deutsche Greise melden werden, hätte es ihnen niemand geglaubt."

    Im Warschauer Universitätskrankenhaus teilt Grazina Krepka die Schwestern ein. In einem großen Saal stehen – getrennt durch spanische Wände - Betten umgeben von jeder Menge Medizintechnik.

    "So sieht unsere Intensivstation aus, hier haben wir acht Betten,”"

    Sagt die freundliche Mittfünfzigerin. Eine Arbeit im Ausland hat sie keinen Augenblick in Erwägung gezogen.

    Grazina Krepka:
    ""Es gibt hier Kolleginnen, die schon über 30 Jahre bei uns arbeiten, und die direkt von der Schule hier kamen. Wie ich. Das war meine erste Arbeitsstelle, ich bin geblieben und seit 32 Jahren hier."

    Ihre Chefin ist Alicja Trojanowska, die Oberschwester, die über exakt 1136 Krankenschwestern und rund 1000 Betten regiert. Knappe Finanzen, Arbeitsverdichtung sind Themen, die das Personal diskutiere, aber Abwanderung ins Ausland?

    Alicja Trojanowska:
    "Ich weiß nicht, ob viele emigrieren.Wenn ich nachzähle, komme ich für unser Krankenhaus nur auf fünf Personen."

    In diesem Warschauer Krankenhaus ist von Fluktuation keine Spur. Vielleicht wegen des angenehmen Arbeitsklimas oder weil es sich um eine Universitätsklinik handelt, die noch dazu in der Hauptstadt liegt. Eine typische Ausstattung mit medizinischem Personal weist es nicht auf, glaubt man der Vorsitzenden der Schwesternkammer, Grażyna Rogala-Pawelczyk
    Grażyna Rogala-Pawelczyk:
    "Wenn wir den Standard in Norwegen oder Deutschland mit dem in Polen vergleichen, also schauen, wie viele Krankenschwestern es pro Einwohner gibt, dann haben wir 30-40 Prozent weniger. Uns fehlt rund ein Drittel der Krankenschwestern."

    Personalmangel gebe es auch in Ländern, aus denen Krankenschwestern nicht abwandern, räumt die Schwestern-Vertreterin ein, denn die Medizin spezialisiere sich immer weiter, benötige somit immer höher qualifizierte Schwestern, die nicht mehr beliebig einsetzbar sind. Doch obwohl die Anforderungen stiegen, ändere sich nichts an der schon lange beklagten niedrigen Vergütung, erklärt Grażyna Rogala-Pawelczyk.

    "Wenn eine Krankenschwester durchschnittlich zwei Tausend Zloty bekommt, umgerechnet 500 Euro, und ein Liter Benzin sechs Zloty kostet, also fast so teuer ist wie in Deutschland, wenn für die Miete mindestens 500 Zloty abgehen, dann können die Krankenschwestern davon nicht leben.”"

    Immer mehr Schwestern wechseln in andere Unternehmen, dabei nimmt der Anteil der jungen Frauen, die sich zunächst enthusiastisch für den Beruf entscheiden, nicht ab. Grażyna Rogala-Pawelczyk.

    ""Nur ein Drittel ist dann aber tatsächlich als Krankenschwester tätig."

    So werden zwar unverändert viele ausgebildet, das Personal nimmt aber weiter ab und altert zunehmend.

    "Unsere Krankenschwestern sind im Mittel 48, Hebamme – 47 Jahre alt."

    Der Anteil älterer Menschen steigt in Deutschland wie in Polen. Befürchtungen werden bereits laut, dass die eigenen Landsleute nicht versorgt werden, dafür aber die Deutschen. Dennoch macht den emigrierenden Kolleginnen, niemand einen Vorwurf, sagt die Berufsvertreterin.

    "Wir bedauern, dass unsere jüngere Kolleginnen oder die im mittleren Alter emigrieren, aber jeder hat ein Recht auf sein eigenes Leben."