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Auf Kosten der Angestellten

Die Restrukturierung eines Unternehmens bedeutet für Mitarbeiter extremen Stress und Druck. Um dies zu vermeiden, müssen die Firmen die interne Kommunikation verbessern, meint Thomas Kieselbach, Leiter des Instituts für Psychologie der Arbeit an der Uni Bremen.

Thomas Kieselbach im Gespräch mit Elif Senel | 23.10.2009
    Elif Senel: Allein zwischen April und Juni dieses Jahres haben sich 370 Unternehmen in der EU umstrukturiert. Ein Beispiel für so ein Unternehmen im Umbruch ist France Télécom, das Unternehmen, in dem innerhalb von 20 Monaten 25 Menschen Selbstmord begangen haben. Die Mitarbeiter wurden für den Umbau der Firma in andere Abteilungen oder an andere Standorte versetzt, Druck und Stress sind gewachsen, viele fühlten sich allein und überfordert. Gesundheit und Restrukturierung - das ist ein Begriffspaar, das plötzlich Brisanz bekommt. Professor Thomas Kieselbach ist Leiter des Instituts für Psychologie der Arbeit, Arbeitslosigkeit und Gesundheit an der Uni Bremen, und ich habe ihn gefragt, was die größten Fehler bei der Umstrukturierung von Betrieben sind.

    Thomas Kieselbach: Ja, ich denke, gerade das Beispiel von France Télécom ist insofern interessant, als wir bereits vor drei Jahren jemanden eingeladen hatten zu einem Workshop der EU-Kommission, der bei France Télécom Untersuchungen durchführt über das Stressniveau der Beschäftigten.

    Das war ein Vertreter der Gewerkschaften, die dort ein Institut gegründet hatten und wissenschaftlich sehr fundierte Untersuchungen durchgeführt haben. Und die haben vor zwei, drei Jahren bereits gewarnt und haben gesagt, diese hohen Stressniveaus der Beschäftigten dort sind ein deutliches Frühwarnsignal, das die Unternehmensleitung dazu nutzen sollte, zu überlegen, ob sie bei der Restrukturierung andere Schritte und andere Formen der Kommunikation betreiben sollten, als sie es bislang getan haben.

    Senel: Was ist der konkrete Fehler, der vielleicht in Unternehmen gemacht wird? Warum fühlen sich Mitarbeiter nicht mitgenommen?

    Kieselbach: Sehr häufig - und ich leite ja eine EU-Expertengruppe zu diesem Thema "Wie wirken sich Restrukturierungen auf die Gesundheit der Beschäftigten aus?" - sehr häufig werden die Beschäftigten nur sehr unzureichend einbezogen in die Planungen und in die konkrete Durchführung einer Restrukturierung.

    Das heißt, häufig erfahren sie erst aus der Presse, was geplant ist, und das ist schon eine sehr schlechte Voraussetzung dafür, um den Beschäftigten das Gefühl zu geben, dass sie auch Einfluss haben auf die Restrukturierung, dass ihre Interessen wichtig sind für die Firma, und dass die Firma also auch von vornherein sie als Experten ihres eigenen Arbeitsplatzes mit einbeziehen will.

    Wir haben festgestellt bei Fallstudien, die wir in Großbritannien durchgeführt haben, zum Beispiel bei der British Telecom im Unterschied zur France Télécom, zeigt sich, dass ein sehr differenziertes System besteht, um das Stressniveau in einzelnen Abteilungen zu messen, um im Rahmen eines Intranetsystems zum Beispiel dem Einzelnen die Möglichkeit zu geben, Signale auszusenden und zu sagen: Hier passieren Dinge im Moment, bei denen ich mich nicht mehr beteiligt fühle, bei denen die Anforderungen für mich zu hoch geworden sind.

    Dies ist ein sehr beispielhaftes System, was dort eingeführt worden ist, ein sogenanntes Monitoringsystem, über den Stress der Beschäftigten, und das hat dazu geführt, dass dort - weil auch alle Maßnahmen im sozialen Dialog mit den Vertretern der Beschäftigten durchgeführt worden sind - sehr viel weichere Formen von Restrukturierung und auch effizientere Formen von Restrukturierung realisiert wurden.

    Senel: Was passiert denn konkret bei einem Mitarbeiter, der in diesem Betrieb, der umstrukturiert wird, nicht mitgenommen wird, der nicht auf die Veränderungen eingestellt wird quasi, was passiert da in seiner Psyche?

    Kieselbach: Es gibt folgendes Phänomen: Dass, wenn eine Restrukturierung in einer Weise durchgeführt wird, dass die Beschäftigten den Eindruck haben, dass sie daran nicht hinreichend beteiligt sind, dann passieren solche Phänomene wie innerer Rückzug, man identifiziert sich nicht mehr mit dem Unternehmen, man macht Dienst nach Vorschrift, man wird in geringerem Maße produktiv, als das vorher noch der Fall war.

    Also Restrukturierungen werden immer mit dem Ziel durchgeführt, die Firma wettbewerbsfähiger zu machen, produktiver und auch profitabler zu machen. Und das Interessante ist, dass in der Mehrzahl von Restrukturierungen dieses Ziel nicht erreicht wird. Das heißt, dass ein kontraproduktiver Verlust von Produktivität und Profitabilität die Folge ist. Also wir finden ... Neben dem inneren Rückzug, der geringeren Identifikation mit der Firma finden wir auch das Phänomen, dass diejenigen, die sehr gute Qualifikationen haben, marktgängige Qualifikationen, auf eigenen Wunsch die Firma verlassen und damit also auch die Produktivität der Firma weiter reduziert wird.

    Senel: In Ihrem Bericht "Gesundheit und Restrukturierung" erklären Sie auch, welche Handlungsstrategien sinnvoll wären, um ein gesundes Unternehmen, aber nicht wirtschaftlich, sondern auch tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes körperlich gesundes Unternehmen zu fördern. Was sind das für Maßnahmen, welche Handlungsempfehlungen geben Sie?

    Kieselbach: Ja, zuerst mal ist es eine wichtige Unterscheidung, die Sie selbst auch getroffen haben in Ihrer Frage: Ein gesundes Unternehmen wird normalerweise immer nur als ein ökonomisch gesundes Unternehmen betrachtet, und es ist wichtig, diesen Begriff des gesunden Unternehmens auch auf die Gesundheit der Beschäftigten, die in dem Unternehmen verbleiben, aber auch die Gesundheit derjenigen, die entlassen werden müssen als letzte Maßnahme, zu beziehen.

    Und wir haben in dem Forderungskatalog, den wir in dieser EU-Expertengruppe entwickelt haben, haben wir eine Vielzahl von Maßnahmen, auch von Instrumenten zusammengestellt, die helfen können, gesündere Formen von Restrukturierung herbeizuführen.

    Ich will ein Beispiel nur geben: Wir haben die Personalchefin von Ericsson in unserer Gruppe gehabt, Ericsson Schweden, und die haben dort einen sehr differenzierten - in einer Phase, in der insgesamt 40.000 Menschen entlassen worden sind über einen Zeitraum von zehn Jahren - haben sie einen sehr differenzierten Kommunikationsplan entwickelt für: Wer, welche Akteure in welcher Form, in welchem Zeitraum, mit welchen Mitteln auch informiert werden müssen und beteiligt werden müssen.

    Informieren heißt nicht nur von oben herab informieren, sondern Information heißt auch ein zweiseitiger Fluss der Kommunikation. Das ist nur ein kleines Beispiel. Die Entwicklung von Routinen ist, glaube ich, ein ganz zentraler Punkt, damit man sich auf diese Routinen verlassen kann und sie nicht erst in einer krisenhaften Situation neu entwickeln muss.

    Ich denke, dass das Management, das mittlere Management, was ja der Träger von Restrukturierungsmaßnahmen ist, oft sehr guten Willens ist, aber über kaum Instrumente verfügt, weil sie oft zum Beispiel in ihrer Ausbildung, in ihrer Qualifizierung sich mit solchen Fragen, wie man die Gesundheit schützt, gerade in Phasen von Umbruch, in Phasen von Innovation, in Phasen von massiver organisationaler Veränderung nicht konfrontiert worden sind.

    Senel: Wie sieht eine gesunde Umstrukturierung in Unternehmen aus? Professor Thomas Kieselbach war das, Leiter des Instituts für Psychologie der Arbeit an der Uni Bremen. Vielen herzlichen Dank!