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Auf Kosten der Zivilbevölkerung

Bei den Kampfhandlungen in Afghanistan werden immer wieder Zivilisten getötet. Genaue Zahlen gibt es nicht. Doch in der afghanischen Bevölkerung mehrt sich die Kritik an der Bundeswehr.

Von Marc Thörner | 25.07.2009
    Auf einer Allee unweit dem deutschen Feldlager in Kunduz rollt ein Konvoi der Bundeswehr. Dahinter fahren wir: der Deutschlandfunkreporter und ein lokaler Journalistenhelfer. Plötzlich stoppen die Fahrzeuge vor uns. Wir stoppen auch, in weitem Abstand von der Kolonne. Dann sehen Redaktionsassistent Haroun und ich, wie etwa fünfzig Meter vor uns ein roboterartig aussehendes Männchen in Helm und Schutzweste in Richtung unseres Autos zielt und feuert. Das Geschoss, offenbar Signalmunition, ist neben uns ins Weizenfeld geschlagen und hat dort einen Streifen Gras in Brand gesetzt.

    "Unsere 'Rules of Engagement' geben her, dass wir uns in dem Moment, in dem wir uns bedroht fühlen, verschiedene Eskalationsstufen einsetzen dürfen, bis hin zum Schusswaffengebrauch. Dazu gehört das Bewerfen mit Wasserflaschen, um deutlich zu machen, bis hierhin und nicht weiter, aber auch der Einsatz einer Signalpistole","

    ... sagt Major Markus Beck, Pressesprecher des deutschen Wiederaufbauzentrums Kunduz. Das klingt nach einer sorgfältig abgestuften Reaktion. Nur: Was hatten wir eigentlich falsch gemacht, um diese Signalrakete auf uns zu ziehen? Kommen afghanische Zivilisten durch Schüsse der Bundeswehr ums Leben, dann ist in den offiziellen Verlautbarungen des Einsatzführungskommandos in der Regel vom Fehlverhalten der Afghanen die Rede: Mit überhöhter Geschwindigkeit seien sie auf Checkpoints oder Bundeswehrfahrzeuge zugerast, hätten deutliche Warnsignale missachtet. Doch in der afghanischen Bevölkerung mehrt sich die Kritik.

    An einem Taxenplatz in Mazar-e Sharif wimmelt es von Fahrzeugen mit Löchern in den Windschutzscheiben, die wie die Fahrer sagen, durch die Wasserflaschen der deutschen Soldaten entstanden seien. Nervös und unberechenbar verhalte sich das deutsche Militär, so schimpfen viele. Zuerst komme die Sicherheit der Deutschen, dann komme eine Zeit lang gar nichts und dann erst kämen die Afghanen.

    Am schlimmsten sei es, beklagt sich ein Taxichauffeur, dass die Soldaten auf jedes afghanische Fahrzeug zielten und eine Kontaktaufnahme verweigerten. Oft wolle man nur einen Kranken dringend zur Behandlung fahren und werde durch einen Militärkonvoi daran gehindert. Diverse Menschen seien schon gestorben, weil Militärfahrzeuge sie nicht zum Krankenhaus durchließen
    Locals, Einheimische, so bezeichnet die Bundeswehr die Bewohner dieses Landes. Ein Local, also ein Bewohner dieses Landes, das ist für die Bundeswehr ein unbekanntes und gefährliches Wesen.

    ""Wir sind heute im Bereich Ortschaft. Es haben keine Locals was in unserem Bereich zu suchen, weder mit Fahrzeugen, noch abgesessen."

    "Zur Einsatzunterstützung: Jeder von uns zehn Magazine, dabei zwei Magazine Sperrbestand, MG ist klar. MG 4: 1100 Schuss, dabei 100 Sperrbestand. Jeder Nebel dabei. Jeder Handgranate dabei. Ausreichend Zibis sollte vorhanden sein."

    Als eine Bundeswehreinheit nahe der tadschikischen Grenze patrouilliert, gilt das Augenmerk der Soldaten sämtlichen entgegenkommenden Fahrzeugen. Sie alle könnten aus Sicht der Bundeswehr von Selbstmordattentätern gesteuert werden.

    Ziel der Patrouille ist der Grenzübergang nach Tadschikistan. Im Fadenkreuz der Bundeswehr sind zwar die Aufständischen, die Taliban. Doch hinter den Kulissen, so ist durch geduldiges Nachfragen zu erfahren, finden in Kunduz ganz andere Kämpfe statt. Für die Provinzbeamten ist die Grenze nämlich eine sprudelnde Quelle von Bestechungsgeldern. Um die besonders einträgliche Zollstation, so erklärt der Patrouillenführer, gebe es zurzeit heftige Konflikte zwischen dem örtlichen Bürgermeister und den Provinzbehörden.

    "Der Bürgermeister und der Verantwortliche für die Zollstation sind so ein bisschen im Clinch. Es gibt Gerüchte, dass der Bürgermeister circa 1000 Dollar am Tag verdienen soll."

    Ursache der sich verschlechternden Sicherheitslage im Norden sind nach Einschätzungen lokaler afghanischer Beobachter weniger die Taliban, als die Strukturen in der Provinzregierung. Der Bürgermeister der Grenzstadt Imam Sahib, der Provinzgouverneur, sie alle sind nach Angaben aus zuverlässigen Quellen in den Drogenhandel verstrickt. Dabei versuchen sie oft, Rivalen auszuschalten - und schwärzen sie deshalb nicht selten einfach als Talibansympathisanten an. Nicht bei der Bundeswehr, sondern gleich bei der US-Armee. Denn die führt im deutschen Regionalkommando, unbekümmert um die Deutschen, ihren eigenen Krieg - unter dem von der ISAF offiziell getrennten Mandat der Operation Enduring Freedom. Und sie tut das manchmal mit fatalen Folgen.

    Im Haus des Bürgermeisters von Imam Sahib, unweit von Kunduz, sind noch die Blutspuren von dem Enduring-Freedom-Einsatz zu sehen, der am 22. März 2009 hier stattfand. Bilanz des US-Spezialeinsatzes: fünf tote Zivilisten - allesamt Hausangestellte des Bürgermeisters, zwei von ihnen wurden in ihren Betten erschossen. Colonel Greg Julian, Sprecher der US-Streitkräfte in Afghanistan:

    "Dem Bericht der zuständigen Einheit zufolge, lagen nachrichtendienstliche Informationen aus unterschiedlichen Quellen vor, die darauf hindeuteten, dass sich an dem infrage stehenden Ort eine Person mit Verbindungen zur El Kaida aufhielt. Infolgedessen wurde alles Nötige veranlasst, um dort hineinzugehen und diese Person gefangen zu nehmen."

    Anders als diejenigen, die an Kontrollpunkten der Bundeswehr erschossen werden, tauchen diese irrtümlich im deutschen Regionalkommando Getöteten nicht in den Berichten des Einsatzführungskommandos auf. Gibt es in Nordafghanistan überhaupt so etwas wie eine US-geführte Operation Enduring Freedom, kurz OEF? Thomas Kossendey, Staatssekretär im Verteidigungsministerium:

    "Wir haben diese OEF-Operation seit dem 15. November aus unserem Mandat rausgenommen. Derzeit finden im Bereich der ISAF-Nordregion, da wo Deutschland die Verantwortung trägt, keine OEF-Aktionen statt."

    ISAF - das ist die Abkürzung für International Security Assistance Force. Doch, so fragen sich die Menschen in Nordafghanistan zusehends: Wen schützt die Bundeswehr denn eigentlich: Eine Regierung, deren Mitglieder mit Drogen handeln? Die US-Armee, die ohne Vorankündigung im deutschen Regionalkommando zuschlägt? Oder schützt sie in erster Linie sich selbst? Solange sich die Debatte in Deutschland nicht um diese Fragen dreht, sondern darum, wie Bundeswehrsoldaten nach Todesschüssen auf Zivilisten am mildesten bestraft werden können - so lange dürfte die Nervosität ihrer Kameraden auch nicht nachlassen.

    "Wenn es zu eng wird, zu viele Menschen da sind und irgendjemand stellt für sich fest: Das ist hier nicht mein Ding. Dann, bevor wir hier weiche Knie kriegen, ziehen wir uns komplett wieder ab; und dann ist das Ding vorbei. Reserve steht bereit, Funkverbindung steht. So - Fragen? Keine? Schili, Bibo hier vorne - vorwärts, marsch."