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Auf Lehrstellensuche in Berlin

In Berlin widmen sich sowohl die Industrie- und Handelskammer als auch die Arbeitsagentur der schwierigen Aufgabe, jungen Menschen eine Ausbildungsstelle zu vermitteln. Ihre Daten über Angebot und Nachfrage gleichen sie aber nicht ab - mit teils ärgerlichen Folgen.

Von Michael Castritius |
    Zwei Männer, ein gemeinsames Anliegen - aber sich um 180 Grad widersprechende Lageanalysen. Beide Männer wollen Jugendlichen Ausbildungsplätze anbieten und Berliner Betrieben Lehrlinge vermitteln: zum einen Olaf Möller von der Arbeitsagentur und Leif Erichsen von der Berliner Industrie- und Handelskammer.

    Erichsen: "Also ganz klar, in Berlin haben wir die Situation, dass es mehr offene Stellen gibt als Bewerber. Die Unternehmen suchen händeringend nach Auszubildenden."

    Möller: "Es gibt viele Menschen, die in Berlin noch einen Ausbildungsplatz suchen. Diese Diskrepanz zwischen fast 8000 jungen Menschen, die suchen, und 4500 offenen Stellen ist doch eine, die wir in den letzten Jahren so noch nicht hatten."

    Ja, was denn nun: Suchen die Betriebe verzweifelt Jugendliche oder suchen Ausbildungswillige verzweifelt einen Platz?

    Die Zahlen von der IHK einerseits und von der Arbeitsagentur andererseits sind völlig unterschiedlich. Ein gemeinsamer Nenner findet sich erst bei der Nachfrage: Woher kommt diese eklatante Diskrepanz? Zunächst der Mann von der Kammer, Leif Erichsen:

    "Es ist so, dass kein Unternehmen verpflichtet ist, seine freien Ausbildungsplätze bei der Arbeitsagentur zu melden. In erster Linie sind wir als IHK ja mit der Betreuung und Durchführung der Ausbildungsverhältnisse betraut. Dementsprechend haben wir genau den Überblick, wie viele freie Ausbildungsplätze gibt es."

    Olaf Möller: "Diese Diskrepanz, das sind Betriebe, die ihre Stellen bei uns melden, also uns bei der Besetzung ihrer Lehrstellen einschalten. Und es sind auch junge Menschen, die uns einschalten, wenn sie eine Ausbildungsstelle suchen, denn auch ein junger Mensch ist nicht verpflichtet, sich an die Berufsberatung der Arbeitsagentur zu wenden."

    Da arbeiten also zwei Institutionen, die tatsächlich dasselbe Anliegen haben, aneinander vorbei - und das führt zu den unterschiedlichen Zahlen und damit zu den konträren Warnungen - auf Kosten der jungen Leute und der Betriebe.

    Sowohl die Industrie- und Handelskammer als auch die Arbeitsagentur widmen sich der schwierigen Aufgabe, die Wünsche der Schulabgänger und die Interessen der Unternehmen unter einen Hut zu bringen, aber sie gleichen ihre Daten über Angebot und Nachfrage nicht ab.

    Für die Jugendlichen heißt das: Wenn sie nur im Berufsinformationszentrum der Arbeitsagentur nach offenen Stellen suchen, entgeht ihnen möglicherweise die ideale Stelle, die nur bei der Industrie- und Handelskammer gemeldet wurde. Denn auch die bietet Beratung an, so Leif Erichsen:

    "Wir haben die IHK-Lehrstellenbörse, das ist auch eine Internetplattform, wo jeder reingehen kann, sich anschauen kann, was ist mein Wunschberuf, was passt zu mir. Und dann klicke ich mich durch und finde ganz konkret das Angebot in dem Ausbildungsberuf, und mit dem Kontakt zu dem Unternehmen und kann darüber auch Kontakt aufnehmen."

    Dabei ist die Suche nach der künftigen Arbeit auch so schon eine große Aufgabe: 340 Ausbildungsberufe gibt es in Deutschland, selbst bei koordiniertem Informationsangebot bliebe es schwer, einen Überblick zu bekommen. Mit den zwei Suchmöglichkeiten umso schwieriger.

    Das erhöht die Gefahr, dass letztendlich der Auszubildende und das Unternehmen nicht zueinanderpassen. Abgebrochene Lehren aber sind gerade in Berlin problematisch, da hier viele kleine, mittelständische Betriebe ausbilden. Wenn bei acht oder noch weniger Mitarbeitern der eingeplante Auszubildende wegfällt, dann ist der Verlust oft kaum auszugleichen.

    Und junge Menschen, die frustriert hinschmeißen, kann sich Deutschland bei der demografischen Entwicklung auch nicht leisten, mahnt Olaf Möller von der Arbeitsagentur:

    "Die Betriebe wissen ganz genau, wie die Personaldecke in den nächsten Jahren ist, wie viele Menschen aus ihrem Unternehmen in den Ruhestand gehen und wie viel nachwächst. Und sie wissen natürlich auch sehr genau: Die Fachkräfte von morgen, die können sie heute schon selber qualifizieren. Ein Betrieb weiß dann am besten, was er für Mitarbeiter hat, wenn er die selbst ausgebildet hat."

    Das ist die Binsenweisheit: Ein Fachkräftemangel morgen kann nur mit Ausbildung heute vermieden werden. Mit einer Ausbildung, die die Jugendlichen inspiriert, die zu ihnen passt. Denn auch darin besteht weitgehend Einigkeit: Motivation ist wichtiger für Lehrling und Betrieb, als die Schulnoten, die in Phasen der Pubertät oft schlecht ausfallen, die Möglichkeiten des Jugendlichen nicht widerspiegeln.

    Da sollte ihnen zumindest mit einer koordinierten Lehrstellenvermittlung geholfen werden, statt der derzeitigen Konkurrenz zwischen Arbeitsagentur und Industrie- und Handelskammer.