Archiv


Auf nach Prag

Ein kleines Dorf an der deutsch-tschechischen Grenze hat beschlossen, Teil von Prag zu werden. Dabei liegt das Örtchen mit seinen knapp 400 Einwohnern über 100 Kilometer von der Landeshauptstadt entfernt. Hintergrund des skurrilen Vorgangs: Großstädte in Tschechien bekommen mehr Steuergelder pro Einwohner als kleine Gemeinden. Das Wohlstandsgefälle zwischen Stadt und Land sorgt in den kleineren Kommunen zunehmend für Probleme. Kilian Kirchgeßner berichtet.

    Idyllisch sieht es aus an der Dorfstraße des Ortes Hora svate Kateriny. Ein paar Dutzend Häuser stehen verstreut in der hügeligen Landschaft, in der Mitte erhebt sich der Zwiebelturm der kleinen Pfarrkirche. Von hier aus ist es nur ein kleiner Spaziergang ins benachbarte Sachsen. Der kleine Ort an der deutschen Grenze hat zwar nur 410 Einwohner, doch seit einigen Tagen ist er überall bekannt, denn Bürger haben ihre Eingemeindung in die Hauptstadt Prag beantragt - obwohl die weit mehr als 100 Kilometer entfernt liegt. Die Idee stammt von Ratsherr Petr Pakosta.

    " Ich weiß, dass die Sache rein juristisch etwas irreal klingt, zumindest im Moment noch. Aber ich hoffe, dass wir wenigstens einen Denkanstoß geben können. "

    Seine Gemeinde, so der Ratsherr, drohe zu verarmen - und das, weil der Staat die eingenommen Steuern ungerecht verteile. In Tschechien bekommt jeder Ort sein Geld nach der Einwohnerzahl zugewiesen. Große Städte bekommen aber fast fünfmal mehr Geld pro Einwohner als kleine Orte. Damit soll die aufwendigere Infrastruktur der Großstädte finanziert werden. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, findet Petr Pakosta, der Ratsherr aus der Provinz.

    " Es kann doch nicht sein, dass die Hauptstadt, die noch viele andere Einnahmequellen hat, so viel mehr Geld bekommt! Deshalb wollen wir auch zu Prag gehören, dann wären wir unsere Sorgen los. Wir müssen ja immerhin eine Schule und einen Kindergarten betreiben. Unsere Einwohner haben ohnehin schon eine niedrigere Lebensqualität, weil wir so weit weg sind von der Prager Infrastruktur. "

    Die Prager Stadtverwaltung hat das Ansinnen des kleinen Ortes Hora svate Kateriny mit einem Schmunzeln abgewiesen. Trotzdem wirft der Fall ein Schlaglicht auf die Situation in Tschechien: Zwischen Stadt und Land klafft eine gewaltige Wohlstandslücke. Während in Prag beinahe Vollbeschäftigung herrscht und die Firmen ihren Mitarbeitern hohe Gehälter zahlen, sind viele abgelegene Orte nicht einmal an die Kanalisation angeschlossen. Jetzt formiert sich der Widerstand gegen die Praxis der Geldzuweisungen. Stanislav Polacek ist Gründungsmitglied einer kommunalen Initiative, zu der sich vor allem die Bürgermeister der kleineren Ortschaften zusammen geschlossen haben.

    " Unser Ort Vysoke Pole hat 800 Einwohner und liegt an der Grenze zur Slowakei. Unser Haushalt beträgt fünf Millionen Kronen pro Jahr, das sind etwa 200.000 Euro. Wenn ich davon die laufenden Kosten für Personal und Gebäude abziehe, bleiben 25.000 Euro übrig - und die reichen einfach nicht aus, um Stadtentwicklungsprojekte zu realisieren . Ein paar hundert Meter Bürgersteig können wir damit vielleicht bezahlen, mehr aber nicht. "

    Und die Gelder werden immer weniger. Die Landflucht macht fast allen kleinen Gemeinden zu schaffen. Wer jung ist und gut ausgebildet, zieht um und sucht sich Arbeit in einer der großen Städte. Zurück bleiben die Alten - und die Wohlhabenden, die sich die leerstehenden Häuser als Wochenend-Refugium einrichten. Ihren Wohnsitz haben die aber woanders, für sie bekommen die Dörfer folglich kein Geld. Jaromir Jech kann darin allerdings trotzdem keine Ungerechtigkeit entdecken. Er ist Vize-Vorsitzender des Verbandes der tschechischen Städte und Gemeinden, der auch die großen Orte vertritt - jene also, die mehr Geld bekommen.

    " Um festzustellen, ob das System für die kleinen Gemeinden vorteilhaft ist oder nicht, braucht man einen Vergleich. Was leisten sie also für die Allgemeinheit - und was leisten dagegen die größeren Städte? Wer zum Beispiel nach Prag kommt, erwartet einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr, und in den großen Kreisstädten will man einen Zoo, ein Theater und alle diese Annehmlichkeiten. Es ist ja klar, dass die Städte dafür mehr Geld brauchen. "

    Für die nötigen Investitionen in den armen Ortschaften setzt Jaromir Jech vom Städteverband vor allem auf die Europäische Union. Deren Regionalfonds können gerade in den abgelegenen Gemeinden bei den großen Aufgaben mithelfen, von neuen Kläranlagen bis hin zur Renovierung der Dorfschulen. Von den Steuereinnahmen allein lasse sich das alles einfach nicht bewerkstelligen, sagt Jech.

    " Das ist einfach die Realität. Reicher sind wir hier in Tschechien halt noch nicht, wir können den Kuchen nur einmal verteilen. Wenn der eine mehr Geld bekommt, kriegt der andere weniger, so ist das eben. Das müssen auch die Bürgermeister der kleineren Orte einmal erkennen. "

    Den größeren Finanzbedarf der Städte akzeptieren die Kleinen auch. Dass sie deshalb aber gleich fünfmal mehr Geld pro Einwohner bekommen, erscheint ihnen übertrieben. Sie haben deshalb ein Gutachten auf den Weg gebracht, das die tatsächlichen Ausgaben der unterschiedlich großen Ortschaften ermitteln soll. Wenn die Ergebnisse vorliegen, so hoffen sie, lässt der Finanzminister vielleicht noch einmal mit sich reden.