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Auf Plastik über die Schlucht

Technik. - Europas erste Straßenbrücke, die ohne Schrauben und Nägel nur aus Kunststoff und Stahl zusammengeklebt wurde, steht seit Ende Juli im hessischen Friedberg und kann befahren werden, sobald die Übergänge von den Betonpfeilern zur Brückenfahrbahn fertig gestellt sind. Beim Hessischen Landesamt für Straßen und Verkehrswesen ist man überzeugt, dass Kunststoff bei Brücken in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird.

Von Carl-Josef Kutzbach |
    Wo kürzlich auf der Bundesstraße 455 bei Friedberg am Vortag nur die Betonwiderlager einer Brücke standen, überspannte einen Tag später nun eine 27 Meter lange Brücke die Straße - eine Brücke, wie man sie von jeder Autobahn kennt, allerdings nicht aus Beton, sondern aus zwei dunkelroten Stahlträgern, darauf eine recht dünne fünf Meter breite weiße Fahrbahn samt Gehwegen und einem Geländer aus Edelstahl. Das war keine Zauberei, sondern Ergebnis genauer Planung des Institutes für Tragkonstruktion und Konstruktives Entwerfen der Universität Stuttgart. Denn die gesamte Brücke aus Stahlträgern, Kunststoff-Fahrbahn und Geländer wurde vorher in einer Halle, vor Wind und Wetter geschützt, zusammengeklebt. Diplom-Ingenieur Markus Gabler:

    "Insgesamt war die Brücke dann fertig montiert in der Halle inklusive Geländer und Fahrbahnbelag und hatte ein Gewicht von 58 Tonnen. Der Transport wurde dann innerhalb von einer Nacht durchgeführt, das heißt, auf einem Tieflader aufgeladen, 25 Kilometer verfahren und dort mit zwei Autokränen eingehoben. Das heißt, es ging alles, was außerhalb der Halle war, innerhalb von einer Nacht vonstatten."

    Der erste große Vorteil einer Brücke aus Kunststoff ist die Gewichtseinsparung und damit die Möglichkeit, sie rasch und ohne lange Verkehrsbehinderungen zu bauen. Die Fahrbahnplatte, sonst der schwerste Teil von Brücken, ist hier hohl. Was bei einer Holzbrücke die Bohlen wären, auf denen der Verkehr rollt, sind hier hohle Kunststoffprofile von 22 Zentimeter Höhe, die miteinander verklebt werden. Sie bestehen aus glasfaserverstärkten Kunststoffen. Bei ihrer Herstellung werden die Glasfasern in einem Kunstharzbad getränkt und dann durch Wärme in der Backform zum fertigen Profil gehärtet. Glasfaserverstärkte Kunststoffe sind beim Bau von Kajaks, Autokarosserien und Flugzeugen nichts Neues. Auch bei Brücken bieten sie erhebliche Vorteile:

    "Faserverbundwerkstoffe können, je nach dem, wie man die auch ausgestaltet, die höchste Tragfähigkeit aller Werkstoffe haben, auch deutlich über Stahl. Das heißt, hier haben wir natürlich einen sehr leistungsfähigen Werkstoff. Und die zweite Sache ist, dass faserverstärkerter Kunststoff unempfindlich gegen Wasser ist und das ist ja ein sehr großes Problem bei all den anderen Werkstoffen, bei Stahlbau, Beton und eben auch bei dem Holzbau ist Feuchtigkeit sehr schwierig."

    Fäule, Rost, oder durch Eis abgesprengter Beton führen zu erheblichen Schäden und hohen Kosten. Die eigentlich tragende Schicht ist nur fingerdick. Dass sie selbst schwerste Lastwagen trägt, beruht darauf, dass im Kunststoff Glasfasern so eingebettet wurden, dass sie die Kräfte aufnehmen und verteilen. Auch der vier Zentimeter dicke Fahrbahnbelag ist aus Kunststoff. Markus Gabler:

    "Die Oberfläche ist ganz glatt, spiegelglatt im Prinzip. Deswegen gibt es auf der Brücke einen Fahrbahnbelag. Und in diesem Fall ist es kein Asphalt, sondern es ist ein Klebstoff, der mit Sandeinstreuung, Silikateinstreuung verstärkt wird, und letzten Endes bekommen wir eine sehr griffige Oberfläche, die ist dann eben mit relativ groben Oberflächensteinen noch belegt."

    Die neue Brücke wurde mit 137 Sensoren ausgestattet. So ist man auf der sicheren Seite und lernt zugleich, ob und wo man in Zukunft bei Straßenbrücken noch mehr Material sparen könnte. Weil sie länger hält, durfte die Brücke auch teurer sein. Markus Gabler erklärt,...

    "...dass wir ungefähr 50 Prozent Mehrkosten hatten im Vergleich zu einer Stahlbetonbrücke, dass wir aber davon ausgehen, dass wir ungefähr nach 40, maximal 50 Jahren wirtschaftlich sind, weil eben bei dieser Brücke keine Instandsetzungsmaßnahmen erforderlich sind bis auf rein ästhetische Maßnahmen. Bei Stahlbetonbrücken ist es eben so, dass die Erfahrung zeigt, dass nach ungefähr 20 Jahren eine Generalsanierung notwendig wird. Die kostet ungefähr 50 Prozent des Neubaues."

    Hinzu kommt, dass eine Studie des Hessischen Landesamtes für Straßen- und Verkehrswesen zu dem Schluss kam, dass ein Tag Stau auf einer Autobahn die Allgemeinheit 400.000 Euro kostet. Und Baustellen mit Fahrbahnverengungen führen häufig zu Staus. Auch deshalb lohnen sich leichte Kunststoffbrücken, die man in einer Nacht einbauen kann.