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Auf Reisen in Vorarlberg

Wolfgang Hermann ist um die halbe Welt gereist. In vielen Büchern hat er davon berichtet. In Romanform, kleiner Prosa, aber auch in Gedichten oder poetischen Reiseberichten - aus Sizilien, New York, Paris und Tokio. Wolfgang Hermann wurde 1961 in Bregenz geboren, wo er heute, nach Jahren unterwegs, wieder lebt. Das Reisen war wohl auch eine Flucht aus den "kalten Zimmern" einer Kindheit in der Provinz, die er später beschrieben hat - und, immer wieder, ein Leicht-Werden.

Von Matthias Kußmann | 10.05.2006
    " Es ist zunächst einmal ein Sich-Freimachen, das Reisen. Man ist gewichtslos, das hat mich immer daran fasziniert. Da kommen keine Stromrechnungen, Telefonumfragen, (...) Bankabbuchungen. Man kann die Dinge hinter sich lassen, eine zeitlang wenigstens, bis sie einen wieder einholen. Man hat zwei, drei Monate mal völlig freie Hand, freien Atem. (...) Man hat einen Aufbruch, ganz poetisch, wie es bei Hölderlin heißt: (...) "die Freiheit, aufzubrechen wohin er will", "Andenken" heißt dieses Gedicht. Das hab ich vor langer Zeit gelesen und das hat mich sehr gepackt (...), Mensch, diese Freiheit hätt' ich auch gern! Das kann ja wie eine Sucht werden."

    Auch Hermanns neuer Roman handelt vom Reisen; aber ganz anders als seine bisherigen Bücher. Nach einer Reihe melancholisch-introspektiver Texte wechselte er mit "Herr Faustini verreist" überraschend zur Komödie. Und war hinter seinen Ich-Erzählern oft genug er selbst zu erkennen, geht es nun um eine Er-Figur, einen schrulligen, älteren Herrn. Wie kam es dazu?

    " Im Grund stand eine Auftragsarbeit dahinter. Der Verkehrsverbund der Provinz, in der ich lebe, also Vorarlberg, hat mich gefragt, ob ich eine Geschichte schreibe über das Reisen - aber innerhalb Vorarlbergs. Über Bus- und Zugfahren in Vorarlberg. Da hab ich mir diese Figur ausgedacht, diesen Herrn Faustini. Der fährt (...) jeden Tag an die Grenze seiner Netzkarte, er fährt diesen Raum aus und hat dort sehr charmante und komische Begegnungen, im Zug. Und da ist mir aufgefallen, wie viele ältere Menschen bei uns Regionalbahn fahren, eigentlich aus Einsamkeit. Es sind Menschen, die zuhause niemanden haben - oder nur eine Katze, einen Hund, oder allein sind, verwitwet, oder sonst irgendwie am Rand des Lebens stehen, ein bisschen. Und die fahren Zug, Regionalzug, mit der Netzkarte, wirklich, ganz viele! Da hab ich mir gedacht, so einen (...) Menschen würde ich gern näher beobachten. Dann hab ich eben diesen Herrn Faustini entwickelt - und die Abenteuer dieses Herrn Faustini haben sich immer mehr von selbst abgerollt ."

    Auch Faustini ist allein, hat eine Katze, ein extrem geregeltes Leben und eine Netzkarte - für Vorarlberg. Weiter wagt er sich nicht hinaus ins Leben, bis ihn seine Schwester zu ihrem 60. Geburtstag ins Tessin einlädt. Ein Schlag für diese schrullig-charmante Robert Walser-Figur, die das Warten schätzt, die Langsamkeit und das Gehen ohne Ziel. Doch die Tessin-Fahrt bricht seinen Gewohnheits-Panzer auf, hinter dem auch Einsamkeit steckt. Plötzlich entdeckt er eine neue Welt, Schönheit, Weite - und er lernt Menschen kennen, merkt, dass er nicht allein ist auf der Welt:

    Wie betäubt stieg Herr Faustini in Bellinzona aus dem Bus. Bellinzona, das klang irgendwie von fernher vertraut, als hätte er diesen Namen schon einmal geträumt. Bellinzona, was konnte an einem Ort mit einem solchen Namen nicht alles geschehen! Herrn Faustini bleib keine Zeit, die Palmen zu bestaunen, denn der Zug nach Locarno wartete. So viel Schönheit beiläufig am Wegrand! Ein paar aufgeregte Atemzüge, schon war Locarno erreicht. Auf dem Bahnhofvorplatz wartete der Bus. Weiße Segel standen auf dem See. Der See atmete mit so tiefblauem Atem zu Herrn Faustini herüber, daß der nicht wußte, wohin mit so viel Glück. Herr Faustini ahnte, daß sich hinter dem harmlosen Wort Reise eine endlose Folge von schier unverdaubaren Eindrücken verbarg, die ihn in Gefühlshöhen befördern konnten, von denen er bislang nichts wußte. Mit einem Zischen öffnete sich die Bustür. Ascona Posta. Blinzelnd betrat Herr Faustini festen Boden. Warm und süßlich stieg es ihm in die Nase. Die Welt roch hier so gut, daß er für einen Augenblick die Augen schloß.

    Die Arbeit an seinem Roman fiel Wolfgang Hermann leicht. Es sei wie eine Erholung gewesen nach den oft verschatteten, schwierigen Texten, die er zuletzt schrieb:

    " Da steckte ich fest in dem Projekt, da ging es stark um den Tod, das hat mir schwer auf den Magen gedrückt. Und da bin ich einfach zur Komödie gewechselt! Da hab ich wirklich das Gefühl gehabt: Jetzt ist Schluss mit Tragödie!"

    Die Erholung hat ihm sichtlich gut getan. "Herr Faustini verreist" ist ein wunderbar leichter, luftiger Text geworden, entspannt, mit feinem Humor - ein Buch, das vielleicht auch Zauderern helfen könnte, ihr Leben ein bisschen zu ändern. - Anspielungsreich ist der Roman natürlich auch, selbst Germanisten kommen auf ihre Kosten. Wie der Name schon sagt, ist Herr Faustini ein kleiner "Faust", der in die Welt aufbricht - und dass es nach Italien geht, ist auch kein Zufall. Der Autor ironisiert die Klassik und den Bildungsroman, doch das geschieht wie nebenbei, in leichtem Parlando, man muss es nicht mitlesen:

    " Das Humorvolle, und trotzdem einen Tiefgang haben. (...) Das Ganze: Die Welt ausleuchten, aber mit einem Lachen, das hat mich interessiert."

    Herr Faustini im Süden, in Schönheit, im Glück. Doch für ihn, den melancholischen Germanen, wird das bald zu viel. Als er dann auch noch von der Freundin seiner Schwester verführt wird, ergreift er die Flucht - zurück in sein gewohntes Leben, zur Katze, zur Netzkarten-Existenz. Aber dann spürt Faustini, dass ihm seine kleine, überschaubare Welt zu eng geworden ist. Er lernt, sich vom Korsett des eigenen Ichs und der eigenen starren Lebens-Regeln zu trennen. Es treibt ihn wieder hinaus. Am Ende steht eine Vision, in der er zum Meer aufbricht, das er nie gesehen hat. Egal ob Phantasie oder real: Faustini ist in Bewegung geraten, er lebt:

    Viele Stunden flog der Zug übers Land. Herr Faustini betrachtete die Welt, die sich unendlich neu vor ihm ausbreitete. Jeder Ort ist gleich weit entfernt, sagte er vor sich hin. Also ist jede Reise möglich. - Jede Reise ist möglich, sagte Herr Faustini.

    Ist diese Leichtigkeit ein Bruch im Werk des Autors, erleben wir künftig einen "neuen" Wolfgang Hermann? Das nicht, sagt er, denn die andern Themen, auch die schweren wir Krankheit und Tod, beschäftigen ihn weiter. Doch jetzt korrigiert er erst mal seinen zweiten "Faustini"-Roman, der fast fertig ist. Ein dritter soll folgen, eine Trilogie ist geplant. Und dann ist ja wieder Zeit und Raum für die schweren Themen.

    Wolfgang Hermann: Herr Faustini verreist. Roman. Deuticke Verlag, Wien. 140 Seiten, 14,90 Euro.