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Auf Schicht im Schacht

Thomas und Martin sind in den Kindergarten und in die Schule gebracht, entspannt sitzt Lars Nikolajsen hinter dem Lenkrad. Die Straße ist holprig. Kleine Kieselsteine schlagen an den Unterboden des Autos. Lars’ Blick schweift hinaus auf die karge, steinige Landschaft – weit und breit ist kein Baum, kein Strauch, kein Tier zu sehen. Wer auf Spitzbergen lebt, muss die Einsamkeit mögen.

Von Marc-Christoph Wagner |
    Etwa fünfzehn Kilometer liegt die Kohlengrube von Longyearbyen entfernt. Sachte fährt Lars die Serpentinen des Berges hinauf. Im Tal ist eine Staubfahne zu erkennen – sie kommt von dem roten Laster, der das Heizkraftwerk der Stadt mit Kohle versorgt.

    Der Bergbau gehört zu Spitzbergen dazu. Es ist über hundert Jahre her, dass man mit dem Abbau von Kohle hier begonnen hat. Und es wird, denke ich, noch viele Jahre so weitergehen – zumindest hoffe ich das. Alles andere wäre schade. Ich glaube, Spitzbergen würde nicht überleben, wenn es die Kohlenwirtschaft nicht gäbe. Vom Tourismus und der Forschung allein, könnten die Menschen meines Erachtens nicht leben.

    Ohne die Kohle gäbe es auf Spitzbergen keine Infrastruktur, und auch kaum Unternehmen. So viele Menschen und Betriebe sind von der Kohle abhängig – Zulieferer, alle möglichen Dienstleister. Nicht nur Store Norske, unsere Kohlengesellschaft, lebt von der Kohle, sondern viele andere Firmen auch.

    Helm, Schachtlampe, der Gürtel mit den Werkzeugen – Lars kontrolliert alles einmal extra. An einer der Maschinen sollen die Messer gewechselt werden – in sechs Kilometern Tiefe, sagt er lächelnd, wäre es dumm, etwas zu vergessen. Mit dem Finger deutet Lars auf eine große Karte vor sich auf dem Tisch:

    Hier – wir befinden uns hier in der Werkstatt – hier! Und hier, das ist der Hauptschacht, der ist viele Kilometer lang, fünf oder sechs Kilometer. Da fahren wir gleich rein, mit einem Pickup-Wagen, und zwar … hier, bis zu diesem Querschacht, 157. Hier parken wir den Transporter und dann fahren wir in diese Schächte hinein, die sehr eng und flach sind – und zwar mit einem dieser flachen Transporter wie er hier in der Werkstatt steht. Und hier, hier müssen wir hin – in diesem Teil des Berges stehen zurzeit die Maschinen, hier wird die Kohle abgebaut. Na, vielleicht sind sie inzwischen etwas weiter als auf dieser Karte.

    Gesagt, getan. Es geht hinein in den Stollen, das Licht der Scheinwerfer tanzt an den Wänden und weist gleichzeitig den Weg. Netze an der Decke sollen vor Steinschlag schützen.

    Mit halboffenem Overall und dem gelben Helm neben sich auf der Bank steuert Lars den Wagen umsichtig – langsam führt der enge, unebene Schacht in die Tiefe. Im Rückspiegel ist außer einer schwarzen Wand nichts zu erkennen, auf den Scheiben beschlägt der Atem. Um Lars’ Hals baumelt ein kleines Messgerät im Rhythmus des Wagens hin und her:
    Das Gas ist das Gefährliche, Methan-Gas. Es entsteht zusammen mit der Kohle, und wenn man die Kohle abbaut, wird es freigesetzt. Der Gas-Anteil in der Luft darf nie einen gewissen Prozentsatz übersteigen, dann kann es explodieren. Und das kann zu einer Kettenreaktion führen – Kohlenstaub wird aufgewirbelt, so dass man in den Schächten nicht mehr atmen kann. Das ist eine der größten Gefahren.
    Halb hinter dem Steuer des flachen Schachtwagens liegend, guckt Lars über seine rechte Schulter. Den Kopf schön unten halten, die Hände nicht über das Eisengitter, was kommt, ist nichts für Klaustrophobiker! Ich werde langsam fahren, schreit er zur Beruhigung.

    Es geht hinein in eine andere Welt. Nur wenige Zentimeter zieht die Schachtdecke über dem Kopf direkt an einem vorbei. Eiskristalle funkeln im Licht der kleinen Lampe am Helm. So in etwa muss es sich anfühlen, lebendig begraben zu sein.

    Vom Schachtwagen zur Kohlenmaschine, Lars erklärt den Weg
    Den letzten Teil des Weges geht es zu Fuß – in der Hocke, teilweise auf allen Vieren. Der Untergrund ist staubig und weich, an manchen Stellen ist der Schacht nicht höher als 70 Zentimeter. Etwas entfernt sind verschwommen einige Lichter zu erkennen – der genaue Abstand ist schwer zu schätzen:
    Man kann sich an den Kabeln orientieren, denn an ihnen hängen die Maschinen. Aber man muss aufpassen: Wenn sich die Maschine bewegt, können sich die Kabel plötzlich spannen. Man darf sich nicht in sie verwickeln.

    An der Maschine angekommen, macht sich Lars sogleich an den Wechsel der Messer. Zwei Kollegen, die tagtäglich hier unten arbeiten und den Abbau der Kohle überwachen, gönnen sich eine Pause – ab und an gehen sie Lars zur Hand. Ein einziges Mal, sagt er, habe er Monika hierher mitgenommen, wohl gefühlt habe sie sich dabei nicht:

    Das hängt vom Typ ab: Die einen wollen im Büro arbeiten, die anderen hier im Berg. Man kann sich an alles gewöhnen, mir macht die Enge nichts aus, ich fühle mich absolut sicher. Meine Kollegen hier, die sind seit Jahrzehnten dabei – das sind Veteranen, echte Arbeiter, mit ihnen kann ich mich nicht messen, im Vergleich dazu bin ich ein richtiger Jungspund.

    Jungspund oder nicht – nach gut einer Stunde sind die Messer gewechselt. Unter großem Getöse bohrt sich die Maschine in die Bergwand, ein Transportband befördert die Kohlebrocken in einen Trolly, alles ist automatisiert. Eingehüllt in eine Wolke von Staub gibt Lars das Zeichen für den Aufbruch.