"Das Nadelhorn in Saas Fee ist, wie soll ich's sagen, nicht so langweilig, dass man nur schneelaufen muss. Für die Anfänger ist Allalin wunderschön, dann Alphubel ein bisschen mehr, dann kommt's Weissmies und am Schluss kommen dann hier die Felsen. Ist anspruchsvoller, aber schön. Vor 14 Tagen waren 125 Mann am gleichen Tag auf dem Nadelhorn. Könnt ihr euch vorstellen, was da los war?"
Peter Lomatter, Wart der Mischabelhütte, hat das Nadelhorn rund 300 Mal bestiegen. Der Berg ist schon etwas Besonderes, er besteht aus drei, teils fast senkrecht abfallenden Graten. Eigentlich stimmt schon der Hütten-Aufstieg auf diese Bergformation ein. Das obere Drittel der insgesamt 1.500 Höhenmeter verläuft mit Fixseilen, Bügeln, Stahlstiften und einer Leiter auf dem Schwarzhorngrat. Ein Klettersteig.
Dafür kann man sich das untere Drittel Weg mit der Hannigbahn schenken. Das anschließende dreistündige Schweiß Vergießen belohnt Peters Frau Mary mit einem richtig guten Drei-Gang-Abendessen hoch über Saas-Fee, auf 3.340 Metern.
Die Ausgabe allerdings ist Chefsache. Mit seinen korpulenten mehr als 100 Kilo steht Peter an der großen Durchreiche und greift zu seiner Liste.
Ohne Gedränge geht es auch beim Essen zu. Umsichtig geht Peter von Tisch zu Tisch, schaut, bittet im Zweifel aufzurücken oder sich umzusetzen.
"Come here, you've got more place. Is that alright?"
Und selbstverständlich soll niemand sagen dürfen, er habe in der Mischabelhütte hungrig vom Tisch aufstehen müssen. Nachschlag versteht sich:
""Si vous voulez encore de la soupe, vous venez chercher, d'accord? ... Alright?"
"No problem."
"If you want to have some more soup, come and get please.”"
Die Gastfreundlichkeit hat in der Mischabelhütte wohl Familientradition. Schon Vater Pius hatte mit Mutter Anna ab 1962 die Hütte bewirtet. Den damals 13-jährigen Peter hat er als ältesten von fünf Söhnen mit hoch genommen zum Helfen.
""Früher war kein Telefon. Und dann waren Unfälle, und dann hat der Vater gesagt: 'Wie, was willst Du? Du musst jetzt runter laufen, Rettung holen!' Da war's hier und da Abend, so wie jetzt, wo's langsam dunkel wurde. Hast Angst gekriegt und bist gerannt da unten. Ich glaub, das Telefon kam erst '75."
Es war nicht alle Tage Sonntag, sagt Peter. Schon während der Grundschule hatte ihn der Vater während der freien Sommermonate zum Ziegenhüten geschickt. Die meisten Leute lebten damals von der Viehwirtschaft, mit Schafen und Kühen. Hotels gab es in Saas-Fee nur wenige. Mit zunehmendem Tourismus haben dann viele Ferienwohnungen gebaut, auch er. Das hat Wohlstand gebracht, aber auch die Dorfgemeinschaft verändert, bedauert Peter.
"Die Einheimischen leben auseinander. Das tut mir ein bisschen weh. Man sieht sie nicht mehr. Jeder ist in seinem Hotel oder in seinem Geschäft. So allgemein gemütlich zusammen sieht man sehr wenig mehr. Oder, wir hatten ja kein Auto, nichts, wir gingen nicht weg. Und jetzt, jeden Samstag, Sonntag, hauen alle ab, je nach Wetter."
Für etwas Ernüchterung sorgt inzwischen die weltweite Finanzkrise, die weniger Gäste nach Saas-Fee kommen lässt. Auf die Zahl der Tagesgäste in der Mischabelhütte hat das allerdings keine Auswirkungen. Das liegt an dem Klettersteig, der den alten, sehr leichten Hüttenweg seit zehn Jahren wegen hoher Steinschlaggefahr ersetzt.
"Dieser Weg ist viel schwerer. Es kommen praktisch keine Hüttenbesucher mehr. Normalerweise, unten, wenn das Dorf voll ist mit sechs-, siebentausend Fremdenbetten, sollten mehr als zwei, drei Leute kommen. Nee, es ist anspruchsvoll, es ist nicht leicht."
So wenig man sich die Hütte ohne Peters Führung vorstellen mag, so sehr bestimmt die Hütte auch ihn. Über die Jahre haben die ungezählten Auf- und Abstiege seine Knie kaputt gemacht. Was täglich vor allem an Lebensmittel gebraucht wird, fliegt zwar regelmäßig der Helikopter herauf. Doch alles andere, die schwierige Wasserversorgung sichern, die Hütte instandhalten, schon weit vor dem Morgengrauen in der Küche stehen, das zehrt schon an den Kräften des 62-Jährigen:
"Halb drei, drei gehen jetzt morgen alle auf die Lenzspitze, halb vier Nadelhorn. Dann gibt's noch einige, die machen das Ulrichhorn, die Langweiler. Für die ist sechs Uhr früh genug. Und denen stellen wir eben's Frühstück, sonst komm' ich gar nicht ins Bett."
Die Nacht ist kurz und für uns in der Höhe ohne viel Schlaf. Nach einem guten Frühstück, genau um 4 Uhr 30, stehen wir vor der Hütte. Dirk, Führer unserer Gruppe, prüft noch einmal das Wetter, Gerwald und Karin drängen zum Aufbruch:
"Hinten, im Süden, gibt's vermutlich 'ne kleine Störung, so wie auch im Norden, oben im Berner Oberland. Und wenn wir hier auf das Barometer schauen: Der Luftdruck 1034, für uns dürfte es heute noch reichen."
"Unten, Saas-Fee, liegt im Nebel. Da hoffen wir mal, dass der nicht zu früh 'rauskommt."
"Die kleine Morgenmüdigkeit macht sich noch in Sprechfaulheit bemerkbar. Die Freude auf den Berg ist groß, es kann losgehen."
Auf gut erkennbarer Spur steigen wir in leichter Kletterei den Felsgrat hinauf. Drüben, in Italien, flackert in nachtdunklen Wolken immer wieder ein Wetterleuchten auf. Zwischen den Wolken über uns zeigt sich auch Sternenhimmel. Schweißtropfen rinnen vom Oberkörper, als wir nach einer Dreiviertelstunde den Rand des Hohbalmgletschers erreichen. Dirk lässt uns anseilen:
"Jeder im Acht-Meter-Abstand, Pickel in der Hand, weil wir hier festes Eis haben oder hart gefrorenen Schnee. Wir werden gleich auch einige Eispassagen überbrücken. Angeseilt sind wir natürlich, weil der Gletscher hier komplett mit Spalten durchzogen ist und wir natürlich Acht geben müssen, dass wir in keine Gletscherspalte fallen."
Auf Steigeisen queren wir das Terrain in weitem, flachen Bogen, während im Osten allmählich die Wolken im Morgenrot erglühen. Raymond Butzberger, ein pensionierter Lehrer, mit einem Freund wie wir zum Nadelhorn unterwegs, genießt die Stimmung:
"Es ist großartig, majestätisch, einfach schön. Diese eisige Wand vor uns ist beeindruckend. Und wir sind kleine Ameisen, die da hinaufkrabbeln wollen."
Er meint die mehr als 30 Grad steile Eis- und Schneeflanke zum Windjoch, die wir nach einer halben Stunde erreichen. Hier lässt Dirk uns den Seilabstand verkürzen.
"Wir haben immerhin eine gut ausgetretene Spur. Wir orientieren uns daran, gehen also erst mal rechts in Richtung des Felsriegels. Kurz unterhalb des Felsriegels, falls wir den erreichen, gehen wir dann weiter links ab zum sogenannten Windjoch. Das sind immerhin 200 Höhenmeter, das wird jetzt auch 'was für die Pumpe. Müssen uns dabei konzentrieren, weil es ist nämlich überhaupt fraglich, ob man eine Viererseilschaft halten kann, wenn einer reinstürzt."
Nach einer Trinkpause auf dem Windjoch machen wir uns an die letzten rund 400 Höhenmeter.
In Bögen zieht der langgestreckte Nadelhorngrat aufwärts. Zwei Felspassagen umgehen wir vorsichtig in der steilen vereisten Gletscherflanke der Westseite. Ein etwa 100 Meter langes, teils nur fußbreites Stück verläuft direkt auf dem überwiegend festen Firn der Gratschneide.
Endlich erreichen wir nach halbstündiger Kletterei um 9 Uhr den 4.327 Meter hohen Gipfel. Mit Dirk halte ich mich am Kreuz fest, Gerwald lehnt mit Karin am Fels darunter – und weiß jetzt, warum der Berg "Nadel-horn" heißt:
"Ja, ist ein bisschen spitz dieser Gipfel, man kann ja nicht richtig sitzen hier oben. Aber sonst, gute Aussicht, muss man wirklich sagen."
Eigentlich soll der Name des Berges von einem ovalen Felsloch knapp unterhalb des Gipfels rühren. Während Gerwald es sich nicht nehmen lässt, in der luftigen Höhe zu einer Zigarette zu greifen, genießen wir gemeinsam die Prachtaussicht. Wir blicken auf den nahen vergletscherten Dom, höchster schweizer Berg, auf die etwas entfernteren Gipfel von Matterhorn und Weißhorn sowie, ganz im Westen, den Mont Blanc, höchster Berg der Alpen. Nach einigen Minuten mahnt Dirk zum Abstieg:
"Wir müssen jetzt erst mal diesen Felssporn wieder herunterklettern durch geschichtetes Gestein. Nicht auf jeden Griff konnte man sich verlassen. Und dann müssen wir den steilen Schnee- und Eisgrat entlang wieder herunterkommen bis zum Joch. Und das wird ein ganzes Stück Arbeit."
Dirk soll recht haben. Nach dem Felsabstieg, auf der 100 Meter langen, schmalen Gratschneide bricht unerwartet unter den Steigeisen zweimal Eis weg. Die mittlerweile starke Sonne hat es antauen lassen. Heikle Augenblicke, die in Sekundenbruchteilen unsere Konzentration binden. Gerwald kurz danach:
"Man muss irgendwie richtig reagieren, das Gleichgewicht halten. Das ist das Wichtige. Da geht einem nichts durch den Kopf, da denkt man nicht nach. Wenn man das irgendwie nicht macht, dann ist es zu spät. Man muss auf dem Punkt, auf dem man da ist, dann zum Sitzen kommen, das ist das Optimale. Wenn das nicht gelingt, dann Pickel 'raus und 'reinhauen."
Eine letzte Reaktionsmöglichkeit, die unserer Viererseilschaft erspart geblieben ist. Die warme Sonne bereitet uns auch auf dem Gletscher Schwierigkeiten. Immer wieder hat sie inzwischen Schneebrücken bedenklich aufgeweicht. Als wir es fasst wieder auf festen Fels geschafft haben, öffnet sich unter Gerwald doch noch jäh ein großes Eisloch. Mit Glück kommt er auf dem Rand zu sitzen. Eine halbe Stunde darauf, am Mittag, erreichen wir wieder die Hütte. Und freuen uns, eine rundum lohnende Hochtour erlebt zu haben.
Peter Lomatter, Wart der Mischabelhütte, hat das Nadelhorn rund 300 Mal bestiegen. Der Berg ist schon etwas Besonderes, er besteht aus drei, teils fast senkrecht abfallenden Graten. Eigentlich stimmt schon der Hütten-Aufstieg auf diese Bergformation ein. Das obere Drittel der insgesamt 1.500 Höhenmeter verläuft mit Fixseilen, Bügeln, Stahlstiften und einer Leiter auf dem Schwarzhorngrat. Ein Klettersteig.
Dafür kann man sich das untere Drittel Weg mit der Hannigbahn schenken. Das anschließende dreistündige Schweiß Vergießen belohnt Peters Frau Mary mit einem richtig guten Drei-Gang-Abendessen hoch über Saas-Fee, auf 3.340 Metern.
Die Ausgabe allerdings ist Chefsache. Mit seinen korpulenten mehr als 100 Kilo steht Peter an der großen Durchreiche und greift zu seiner Liste.
Ohne Gedränge geht es auch beim Essen zu. Umsichtig geht Peter von Tisch zu Tisch, schaut, bittet im Zweifel aufzurücken oder sich umzusetzen.
"Come here, you've got more place. Is that alright?"
Und selbstverständlich soll niemand sagen dürfen, er habe in der Mischabelhütte hungrig vom Tisch aufstehen müssen. Nachschlag versteht sich:
""Si vous voulez encore de la soupe, vous venez chercher, d'accord? ... Alright?"
"No problem."
"If you want to have some more soup, come and get please.”"
Die Gastfreundlichkeit hat in der Mischabelhütte wohl Familientradition. Schon Vater Pius hatte mit Mutter Anna ab 1962 die Hütte bewirtet. Den damals 13-jährigen Peter hat er als ältesten von fünf Söhnen mit hoch genommen zum Helfen.
""Früher war kein Telefon. Und dann waren Unfälle, und dann hat der Vater gesagt: 'Wie, was willst Du? Du musst jetzt runter laufen, Rettung holen!' Da war's hier und da Abend, so wie jetzt, wo's langsam dunkel wurde. Hast Angst gekriegt und bist gerannt da unten. Ich glaub, das Telefon kam erst '75."
Es war nicht alle Tage Sonntag, sagt Peter. Schon während der Grundschule hatte ihn der Vater während der freien Sommermonate zum Ziegenhüten geschickt. Die meisten Leute lebten damals von der Viehwirtschaft, mit Schafen und Kühen. Hotels gab es in Saas-Fee nur wenige. Mit zunehmendem Tourismus haben dann viele Ferienwohnungen gebaut, auch er. Das hat Wohlstand gebracht, aber auch die Dorfgemeinschaft verändert, bedauert Peter.
"Die Einheimischen leben auseinander. Das tut mir ein bisschen weh. Man sieht sie nicht mehr. Jeder ist in seinem Hotel oder in seinem Geschäft. So allgemein gemütlich zusammen sieht man sehr wenig mehr. Oder, wir hatten ja kein Auto, nichts, wir gingen nicht weg. Und jetzt, jeden Samstag, Sonntag, hauen alle ab, je nach Wetter."
Für etwas Ernüchterung sorgt inzwischen die weltweite Finanzkrise, die weniger Gäste nach Saas-Fee kommen lässt. Auf die Zahl der Tagesgäste in der Mischabelhütte hat das allerdings keine Auswirkungen. Das liegt an dem Klettersteig, der den alten, sehr leichten Hüttenweg seit zehn Jahren wegen hoher Steinschlaggefahr ersetzt.
"Dieser Weg ist viel schwerer. Es kommen praktisch keine Hüttenbesucher mehr. Normalerweise, unten, wenn das Dorf voll ist mit sechs-, siebentausend Fremdenbetten, sollten mehr als zwei, drei Leute kommen. Nee, es ist anspruchsvoll, es ist nicht leicht."
So wenig man sich die Hütte ohne Peters Führung vorstellen mag, so sehr bestimmt die Hütte auch ihn. Über die Jahre haben die ungezählten Auf- und Abstiege seine Knie kaputt gemacht. Was täglich vor allem an Lebensmittel gebraucht wird, fliegt zwar regelmäßig der Helikopter herauf. Doch alles andere, die schwierige Wasserversorgung sichern, die Hütte instandhalten, schon weit vor dem Morgengrauen in der Küche stehen, das zehrt schon an den Kräften des 62-Jährigen:
"Halb drei, drei gehen jetzt morgen alle auf die Lenzspitze, halb vier Nadelhorn. Dann gibt's noch einige, die machen das Ulrichhorn, die Langweiler. Für die ist sechs Uhr früh genug. Und denen stellen wir eben's Frühstück, sonst komm' ich gar nicht ins Bett."
Die Nacht ist kurz und für uns in der Höhe ohne viel Schlaf. Nach einem guten Frühstück, genau um 4 Uhr 30, stehen wir vor der Hütte. Dirk, Führer unserer Gruppe, prüft noch einmal das Wetter, Gerwald und Karin drängen zum Aufbruch:
"Hinten, im Süden, gibt's vermutlich 'ne kleine Störung, so wie auch im Norden, oben im Berner Oberland. Und wenn wir hier auf das Barometer schauen: Der Luftdruck 1034, für uns dürfte es heute noch reichen."
"Unten, Saas-Fee, liegt im Nebel. Da hoffen wir mal, dass der nicht zu früh 'rauskommt."
"Die kleine Morgenmüdigkeit macht sich noch in Sprechfaulheit bemerkbar. Die Freude auf den Berg ist groß, es kann losgehen."
Auf gut erkennbarer Spur steigen wir in leichter Kletterei den Felsgrat hinauf. Drüben, in Italien, flackert in nachtdunklen Wolken immer wieder ein Wetterleuchten auf. Zwischen den Wolken über uns zeigt sich auch Sternenhimmel. Schweißtropfen rinnen vom Oberkörper, als wir nach einer Dreiviertelstunde den Rand des Hohbalmgletschers erreichen. Dirk lässt uns anseilen:
"Jeder im Acht-Meter-Abstand, Pickel in der Hand, weil wir hier festes Eis haben oder hart gefrorenen Schnee. Wir werden gleich auch einige Eispassagen überbrücken. Angeseilt sind wir natürlich, weil der Gletscher hier komplett mit Spalten durchzogen ist und wir natürlich Acht geben müssen, dass wir in keine Gletscherspalte fallen."
Auf Steigeisen queren wir das Terrain in weitem, flachen Bogen, während im Osten allmählich die Wolken im Morgenrot erglühen. Raymond Butzberger, ein pensionierter Lehrer, mit einem Freund wie wir zum Nadelhorn unterwegs, genießt die Stimmung:
"Es ist großartig, majestätisch, einfach schön. Diese eisige Wand vor uns ist beeindruckend. Und wir sind kleine Ameisen, die da hinaufkrabbeln wollen."
Er meint die mehr als 30 Grad steile Eis- und Schneeflanke zum Windjoch, die wir nach einer halben Stunde erreichen. Hier lässt Dirk uns den Seilabstand verkürzen.
"Wir haben immerhin eine gut ausgetretene Spur. Wir orientieren uns daran, gehen also erst mal rechts in Richtung des Felsriegels. Kurz unterhalb des Felsriegels, falls wir den erreichen, gehen wir dann weiter links ab zum sogenannten Windjoch. Das sind immerhin 200 Höhenmeter, das wird jetzt auch 'was für die Pumpe. Müssen uns dabei konzentrieren, weil es ist nämlich überhaupt fraglich, ob man eine Viererseilschaft halten kann, wenn einer reinstürzt."
Nach einer Trinkpause auf dem Windjoch machen wir uns an die letzten rund 400 Höhenmeter.
In Bögen zieht der langgestreckte Nadelhorngrat aufwärts. Zwei Felspassagen umgehen wir vorsichtig in der steilen vereisten Gletscherflanke der Westseite. Ein etwa 100 Meter langes, teils nur fußbreites Stück verläuft direkt auf dem überwiegend festen Firn der Gratschneide.
Endlich erreichen wir nach halbstündiger Kletterei um 9 Uhr den 4.327 Meter hohen Gipfel. Mit Dirk halte ich mich am Kreuz fest, Gerwald lehnt mit Karin am Fels darunter – und weiß jetzt, warum der Berg "Nadel-horn" heißt:
"Ja, ist ein bisschen spitz dieser Gipfel, man kann ja nicht richtig sitzen hier oben. Aber sonst, gute Aussicht, muss man wirklich sagen."
Eigentlich soll der Name des Berges von einem ovalen Felsloch knapp unterhalb des Gipfels rühren. Während Gerwald es sich nicht nehmen lässt, in der luftigen Höhe zu einer Zigarette zu greifen, genießen wir gemeinsam die Prachtaussicht. Wir blicken auf den nahen vergletscherten Dom, höchster schweizer Berg, auf die etwas entfernteren Gipfel von Matterhorn und Weißhorn sowie, ganz im Westen, den Mont Blanc, höchster Berg der Alpen. Nach einigen Minuten mahnt Dirk zum Abstieg:
"Wir müssen jetzt erst mal diesen Felssporn wieder herunterklettern durch geschichtetes Gestein. Nicht auf jeden Griff konnte man sich verlassen. Und dann müssen wir den steilen Schnee- und Eisgrat entlang wieder herunterkommen bis zum Joch. Und das wird ein ganzes Stück Arbeit."
Dirk soll recht haben. Nach dem Felsabstieg, auf der 100 Meter langen, schmalen Gratschneide bricht unerwartet unter den Steigeisen zweimal Eis weg. Die mittlerweile starke Sonne hat es antauen lassen. Heikle Augenblicke, die in Sekundenbruchteilen unsere Konzentration binden. Gerwald kurz danach:
"Man muss irgendwie richtig reagieren, das Gleichgewicht halten. Das ist das Wichtige. Da geht einem nichts durch den Kopf, da denkt man nicht nach. Wenn man das irgendwie nicht macht, dann ist es zu spät. Man muss auf dem Punkt, auf dem man da ist, dann zum Sitzen kommen, das ist das Optimale. Wenn das nicht gelingt, dann Pickel 'raus und 'reinhauen."
Eine letzte Reaktionsmöglichkeit, die unserer Viererseilschaft erspart geblieben ist. Die warme Sonne bereitet uns auch auf dem Gletscher Schwierigkeiten. Immer wieder hat sie inzwischen Schneebrücken bedenklich aufgeweicht. Als wir es fasst wieder auf festen Fels geschafft haben, öffnet sich unter Gerwald doch noch jäh ein großes Eisloch. Mit Glück kommt er auf dem Rand zu sitzen. Eine halbe Stunde darauf, am Mittag, erreichen wir wieder die Hütte. Und freuen uns, eine rundum lohnende Hochtour erlebt zu haben.